Von Niedersachsen nach Holland
Radfahren am Nordhorn-Almelo-Kanal

05.08.2021 | Stand 09.08.2021, 14:36 Uhr

Es geht schnurstracks gerade aus: Kanalweg bei Denekamp.- Foto: Wolfgang Stelljes/dpa-tmn

Radeln ohne Karte, einfach immer geradeaus: Am Nordhorn-Almelo-Kanal ist das möglich. Der Radweg an der historischen Wasserstraße verbindet zwei traditionsreiche Textilstädte.

Wie eine Bucht ragt die Grafschaft Bentheim in die Niederlande hinein. Wer in Nordhorn wohnt, für den ist der kleine Grenzverkehr eine Selbstverständlichkeit. Die Touristiker beiderseits der Grenze besannen sich auf eine Verbindung, die vor allem für Radfahrer ihre Reize hat: den Nordhorn-Almelo-Kanal.

Er verbindet seit über 100 Jahren die Textilstadt Nordhorn im äußersten Südwesten von Niedersachsen mit der Textilstadt Almelo in der niederländischen Provinz Overijssel.

Auf dem Kanal transportierten noch bis in die 1960er Jahre hinein Frachtschiffe Kohle für die Nordhorner Textilindustrie. Dann allerdings wurde die künstliche Wasserstraße zu klein.

Auf dem Sattel über die Grenze

Wer in Nordhorn beim VVV-Turm startet, radelt zunächst im Schatten einer Allee zwischen Kanal und Vechtesee. Nach knapp fünf Kilometern ist die Grenze erreicht. Noch auf deutscher Seite ragt ein Fachwerkbau, teils auf Pfählen, in den Kanal hinein: das alte Zollhaus, heute denkmalgeschützt.

Radelte man eben noch nebeneinander auf einem geteerten Weg, so geht es nun hintereinander auf einer rund eineinhalb Meter breiten Betonspur am Kanal entlang. Nichts für Verliebte oder beschwingte Vatertagsradler, wenn man nicht im Kanal landen will. Ansonsten kann man kaum vom Weg abkommen. Bis Almelo geht es schnurstracks geradeaus.

Hier wartet das beste Eis Europas

Ein paar Stopps und Abstecher sollte man allerdings unbedingt einplanen. Der erste Halt empfiehlt sich bereits nach knapp zwei Kilometern beim Eiscafé «De IJskuip» direkt am Kanal.

Das hat gleich zwei Gründe. Zum einen gibt es hier das hausgemachte Eis von Erik und Hermien Kuiper. Ihr Honig-Joghurt mit Himbeeren und Walnüssen wurde 2017 in Bologna zum besten Eis Europas gekürt.

Zum anderen ist hier Hennie Kuiper aufgewachsen, eine niederländische Radsport-Legende. 1972 gewann der damals 23-Jährige bei den Olympischen Spielen in München völlig überraschend Gold beim Straßenrennen über 182,4 Kilometer. Wer am Eingang einer Scheune einen Euro in eine Milchkanne wirft, darf sich das Rad ansehen, mit dem Kuiper Gold holte, dazu Pokale, Medaillen, Trikots und Fotos.

Ein Herrenhaus voller Antiquitäten

Etwas südlich des Kanals liegt das nächste Ziel: das Landgut Singraven mit einer alten Wassermühle und einem Herrenhaus mit neo-klassizistischer Fassade. Wer es einrichten kann, sollte seine Radtour so legen, dass er an einer Führung durch das Haus teilnehmen kann, um einen Blick auf all die Schätze zu werfen, die Willem Frederik Laan, der letzte private Eigentümer, angesammelt hat.

Laan - reich geworden durch den Handel mit Öl, Getreide und Reis - erwarb das Haus 1915 und stattete es nach und nach mit Kunst und Antiquitäten aus. Zwei Schränke zeigen Porzellan aus China, fast 350 Jahre alt. 1956 überschrieb Laan das Landgut der Stiftung Edwina van Heek, deren Ziel der Erhalt von Kulturdenkmälern ist. Umgeben ist das Herrenhaus von einem Park und einem Arboretum, einem Baumgarten. Beides kann auch ohne Führung besucht werden.

Rast im Brückenwärterhäuschen

Spätestens bei Fraans Marie wird man vermutlich einen weiteren Stopp einlegen. Das einzige noch erhaltene Brückenwärterhäuschen beherbergt seit 1920 ein Café, das über die Jahre immer größer wurde, sagt Mart Woesthuis, der den Betrieb heute leitet.

Danach reicht die Kraft für den Endspurt nach Almelo. Oder für die Rückfahrt nach Nordhorn, einer der bedeutendsten Standorte der deutschen Textilindustrie. Im Nachkriegsdeutschland hingen in fast jedem Kleiderschrank Produkte der Firmen NINO, Povel und Rawe.

Mehr darüber erfährt man im NINO-Hochbau, im Povelturm und in der Alten Weberei, den drei Ausstellungsorten des Stadtmuseums. Im NINO-Hochbau sind unter anderem Modefotografien renommierter Fotografen wie Helmut Newton und F.C. Gundlach zu sehen. Sie erinnern an eine Zeit, in der auch Karl Lagerfeld wusste, wo Nordhorn liegt.