Traditionsreiches Verfahren
Handwerk in jungen Händen: Blaudruck in Jever

06.08.2021 | Stand 21.10.2021, 14:47 Uhr

Blaudruckerin Sabrina Schuhmacher zieht den gefärbten Leinenstoff aus der sogenannten Küpe, einem Bottich mit blauer Indigo-Lösung, heraus.- Foto: Hauke-Christian Dittrich/dpa

Weiße Muster auf blau gefärbten Stoffen: Blaudrucke mit ihrem klaren Stil gelten als typisch norddeutsch. Das Handwerk ist nur noch an wenigen Orten zu finden - wie im friesischen Jever.

Vorsichtig dreht Sabrina Schuhmacher an einem Eisenrad an der Wand ihrer Werkstatt in der Altstadt von Jever. Vor ihr taucht langsam ein Tuch, das an einem Metall-Reifen hängt, Stück für Stück aus einem metertiefen schwarz-blauen Farbbad empor.

Während der Stoff abtropft, lässt sich bei genauem Hinsehen in den nächsten Minuten eine Farbveränderung erkennen: Erst ist das Tuch gelb, dann etwas grünlich und schließlich läuft es kräftig blau an. «Nun gibt es ein blaues Wunder», sagt Schuhmacher und betrachtet zufrieden ihr Werk. Die Redewendung hat im Blaudruck ihren Ursprung.

Jüngste Blaudruckerin Deutschlands

Die 24-Jährige ist die wohl jüngste Blaudruckerin Deutschlands - das Handwerk ist so nur noch an wenigen Orten in Deutschland zu finden. Nach dem Bad in einem Bottich mit Indigo-Lösung, der sogenannten Küpe, reagiert der getränkte Stoff mit dem Sauerstoff in der Luft und wird blau. Die mit einer wachsartigen Paste zuvor aufgedruckten Muster bleiben dagegen weiß. «Früher konnten sich die Leute das nicht erklären und hielten es für Hexerei», erklärt Schumacher.

Mit seinen klaren, typisch norddeutsch anmutenden weißen Mustern auf dem unverwechselbaren Naturblau gehört der Blaudruck zu Jever wie das Wattenmeer zu Friesland. Erst vor kurzem hat Sabrina Schuhmacher die museale Blaudruckerwerkstatt übernommen, die in einem alt-ehrwürdigen Backsteinhaus von 1822 untergebracht ist. Ihr Vorgänger Georg Stark hatte die Werkstatt in den 1980er Jahren aufgebaut und sich das Blaudruckverfahren selbst beigebracht. Stark bemühte sich zusammen mit anderen Blaudruckern um eine Anerkennung des Handwerks zur Stoffveredelung bei der Unesco - seit 2018 ist der Blaudruck immaterielles Weltkulturerbe. Als Georg Stark, 70 Jahre alt, in den Ruhestand wollte, stand die Frage im Raum: Wie soll es mit dem Blaudruck in Jever weitergehen?

Per Zufall auf den Blaudruck gestoßen

«Das war eher Zufall, dass ich auf den Blaudruck gestoßen bin», erinnert sich die Maßschneiderin und Modedesignerin. Für ihre Abschlussarbeit an der Modeschule Fahmoda in Hannover, zu dem Thema «norddeutsche Heimat» war Schuhmacher auf der Suche nach Inspiration. Eine Dozentin gab ihr einen Tipp für den Blaudruck in Jever. Schuhmacher bestellte bei Stark Stoff für ein Kleid und kam für einen Dokumentationsfilm nach Jever. Nach ihrem ersten Besuch in Jever sei ihr die Blaudruckerwerkstatt «einfach nicht mehr aus dem Kopf» gegangen, sagt die 24-Jährige. Das Handwerk weckte ihr Interesse. Schuhmacher zog nach Jever, begann mitten in der Corona-Pandemie probeweise mitzuarbeiten und übernahm schließlich von Februar an den Betrieb. «Das wird mein Lebenswerk», sagt die 24-Jährige.

Traditionsreiches Druckverfahren

Beim Blaudruck handelt es sich um ein Reservedruckverfahren. Die Druckstöcke, die sogenannten Modeln, sind das wichtigste Werkzeug. Allein in der Jeveraner Werkstatt stapeln sich hunderte Modeln - die ältesten sind etwa 300 Jahre alt. Für den Druck werden die Modeln zunächst mit einer wachsartigen Masse, dem Papp, bestrichen. Danach werden die Muster, oft Ranken, Blüten oder Dekore, mit der Hand auf den weißen Stoff gedruckt. Leinen und Baumwolle eignen sich, auch Seide, sagt Schuhmacher. Der farbabweisende Papp-Aufdruck bewirkt, dass die Stoffe an diesen Stellen beim Bad in der Indigo-Lösung keine Farbe annehmen. Nach der Färbung wird der Papp mit Lauge und mehreren Waschgängen entfernt und die weißen, typisch klaren Muster setzen sich deutlich von dem blau gefärbten Stoff ab.

Mit dem Indigo nach Europa gekommen

Das Naturblau erinnert etwa an das blaue friesische Teeporzellan, der Blaudruck war einst nicht nur an den Küsten beliebt. Händler brachten das Verfahren zusammen mit dem Indigo, einem Farbstoff der Indigo-Pflanze, im 17. Jahrhundert aus Indien mit nach Europa. Zeitweise gab es in Europa Tausende Blaudruckerbetriebe. Die Industrialisierung löste den Blaudruck mit der Zeit ab, viele Betriebe schlossen. In Deutschland gibt es laut Unesco nur noch etwas mehr als eine Handvoll. In Niedersachsen finden sich Werkstätten etwa noch in Einbeck und in Scheeßel. Oft sind es auch familiengeführte Betriebe, die Wissen und Können an Nachfahren weitergeben.

In Schleswig-Holstein etwa ist die Familie Koch seit 1803 in Neustadt im Textilgeschäft tätig und betreibt eine der letzten verbliebenen Textilhanddruckmanufakturen in Deutschland. Mittlerweile in der siebten Generation. Seit 2010 ist Klaus Koch-Süzen Geschäftsführer des Betriebs. Mit seiner Frau Ilka entschied er sich, den Fokus des Betriebs wieder auf den traditionellen Handdruck und die Färberei zu legen. Die Vielschichtigkeit und die Fülle an gestalterischen Möglichkeiten gefielen ihm besonders daran, sagt Koch-Süzen.

Beim Direktdruck wird bunte Farbe aufgebracht

Auch in Holstein wird mit hunderte Jahre alten Modeln gearbeitet, dem «Schatz», des Betriebes, wie Koch-Süzen sagt. Neben dem Reserve- und dem Ätzdruck haben die Neustädter Blaudrucker den Direktdruck neu für sich entdeckt, «mit der Möglichkeit, den aktuellen Farbtrends und den Farbwünschen der Kunden zu entsprechen», wie es auf der Webseite des Unternehmens heißt. Beim Direktdruck wird bunte Farbe mit den Modeln direkt auf den Stoff aufgebracht. Rein optisch gibt es nach Angaben Koch-Süzens zwischen Reserve- und Ätzdruck fast keinen Unterschied, zum Direktdruck schon. Dennoch werden hier ebenso in alter Handwerkskunst etwa filigrane Blumenmotive per Hand gedruckt.

Auch Sabrina Schuhmacher will in ihrer Werkstatt Neues ausprobieren. Klar, Tischtextilien, Kissenbezüge und Kleidungsstücke sollen weiter zum Blaudruck-Angebot gehören. «Man kann noch so viel mehr machen», sagt die Unternehmerin. Federmäppchen, Zopfgummis, Taschen - eine eigene Kollektion? «Da kann man in jede Richtung denken», sagt Schuhmacher und arbeitet am nächsten «blauen Wunder».