Niemand verbringt gerne Zeit auf dem Zahnarztstuhl. Doch manche Menschen haben große Angst vor diesem Termin. Ein Psychologe und eine Zahnärztin erklären, warum das so ist - und was hilft.
Muss die Zahnärztin bohren? Was, wenn es wehtut? Oder wenn mir schwarz vor Augen wird, sobald ich die Betäubungsspritze auf dem Tablett liegen sehe? Für einige Menschen bedeutet ein anstehender Zahnarzttermin: ein unkontrollierbares Gedankenkarussell, Herzrasen, kalter Schweiß.
Forscherinnen und Forscher gehen davon aus, dass rund 80 Prozent der Menschen nur ungern zum Zahnarzt gehen, so Psychologe Prof. Hendrik Berth, der an der Technischen Universität Dresden zu Zahnbehandlungsangst forscht.
Bei einem Zahnarztbesuch kommen mehrere Faktoren zusammen, die Unbehagen auslösen können. Da ist etwa die Nähe, die Intimität, die viele Leute unangenehm finden. „Gesicht und Mund sind besonders empfindliche Stellen unseres Körpers“, sagt die Zahnärztin Julia Thome vom Kölner Carree Dental.
Für viele Menschen auch nicht einfach: das Gefühl, der Situation - die mit Schmerzen verbunden sein kann - ausgeliefert zu sein. „Und für einige kommt noch die Sorge hinzu, dass der Zahnarzt über den Zustand der Zähne oder das Zahnputzverhalten meckert“, sagt Hendrik Berth. Auch Scham kann also eine Rolle spielen.
Wenn die Angst über das normale Maß hinausgeht
Die meisten Menschen gehen zwar nicht gern zum Zahnarzt. Aber sie gehen. Anders ist das, wenn sich eine Zahnbehandlungsphobie entwickelt hat. Schätzungen zufolge sind rund fünf Prozent der Bevölkerung davon betroffen, so Hendrik Berth.
„Dann ist ein normaler Zahnarztbesuch quasi nicht mehr möglich. Betroffene vermeiden ihn entweder ganz oder können ihn nur unter allergrößter Angst ertragen, vielleicht sogar mit der Hilfe von Beruhigungsmitteln“, sagt der Psychologe.
Wer von so einer Phobie betroffen ist, erlebt oft schon Tage vor dem Termin Symptome wie Schlafstörungen, Appetitlosigkeit oder vermehrtes Schwitzen. Schlechte Erfahrungen können ein Auslöser für so eine Phobie sein.
„Viele der Angstpatienten können irgendein Erlebnis berichten, also ein besonders starker Schmerz oder eine unangemessene Reaktion des Zahnarztes“, sagt Hendrik Berth. Manchmal ist es nur ein schnell dahingesagtes „Nun stellen Sie sich doch nicht so an“, das sich einbrennt.
Einen guten Umgang mit der Angst finden
Doch Angst kann sich auch ohne eigene schlechte Erfahrungen entwickeln - durch das sogenannte Modelllernen. Zum Beispiel, „dass man das von der Mutter geerbt hat, die eben nicht gern zum Zahnarzt geht und immer vorher ängstlich war“, sagt Hendrik Berth, der auch Mitglied im Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen ist.
Tückisch, wenn man sich gar nicht mehr auf den Behandlungsstuhl traut: Es setzt eine Abwärtsspirale ein. Der Zustand der Zähne verschlechtert sich, Betroffene wagen sich erst recht nicht mehr in die Praxis - aus Scham oder weil sie eine umso unangenehmere Behandlung fürchten. Nicht zu gehen, ist also keine Lösung. Doch wie lässt sich die Angst überwinden?
Tipp 1: Die Angst ansprechen
„Ich habe Angst“: So einen Satz in der Zahnarztpraxis auszusprechen, fällt erst einmal schwer, schließlich wäre man so gern stark. Aber er kann vieles leichter machen. Vorausgesetzt, man hat einen empathischen Zahnarzt oder eine empathische Zahnärztin.
Im besten Fall nimmt er oder sie sich nun Zeit, die Behandlung langsam und schonend vorzubereiten. Und klopft gemeinsam mit Patientin oder Patient ab, was genau hinter der Angst steckt - und wie die Behandlung angenehmer werden kann.
„Beim ersten Besuch passiert dann erst einmal gar nichts, was mit der Zahnbehandlung direkt zu tun hat“, beruhigt Zahnärztin Julia Thome. Ist die Angst groß, kann das ein hilfreicher Zwischenschritt sein.
Übrigens: „Es gibt eine ganze Reihe von Zahnarztpraxen, die speziell für ängstliche Patienten Sprechstunden anbieten“, sagt Hendrik Berth. Es lohnt also eventuell, zu einer Praxis zu wechseln, in der man sich mit seiner Angst gut aufgehoben fühlt.
Tipp 2: Behandlungen angenehmer gestalten
Wurzelkanalbehandlung und Co. sind nie schön. Es gibt aber Wege, sie erträglicher zu machen - über die übliche Betäubung hinaus. Eine Möglichkeit: der Einsatz von Lachgas. Es wirkt nicht nur „entspannend und angstlösend, sondern kann auch zur Schmerzlinderung beitragen“, erklärt Julia Thome. Ganz weg ist man dabei nicht, man bleibt ansprechbar.
Bei starken Angstpatienten ist zudem eine Behandlung unter Vollnarkose denkbar. Auch Hypnose und Akupunktur sind Verfahren, die helfen können. Allerdings: All das muss man in der Regel aus eigener Tasche bezahlen, die gesetzliche Krankenversicherung übernimmt die Kosten dafür nicht. Aber einige Zahnzusatzversicherungen decken laut Berth solche Angebote für Angstpatienten ab.
Tipp 3: Bei Verdacht auf Phobie - professionelle Hilfe suchen
Wer regelrecht Panik vor Zahnarztbesuchen hat und diese vielleicht sogar ganz vermeidet, sollte sich zusätzlich psychologische Hilfe holen. Oft können Hendrik Berth zufolge schon drei bis fünf Therapiesitzungen helfen, um die Angst besser zu bewältigen und wieder zum Zahnarzt gehen zu können. „Es gibt speziell bei der Zahnbehandlungsphobie wirklich gute Ansätze“, sagt der Forscher.
Tipp 4: Auf Ablenkung setzen
Bohren, schlürfen, brummen: Bei so einem Zahnarztbesuch können beklemmende Geräusche auftauchen. Viele Zahnarztpraxen setzen daher auf entspannende Musik oder lassen im Behandlungsraum das Radio laufen - das lenkt ab.
Was auch einen großen Unterschied machen kann: wenn eine Person, der man vertraut, mit im Behandlungszimmer dabei ist - so die Erfahrung der Zahnärztin Julia Thome.
Ablenkung kann von außen kommen, aber auch von innen: „Manchen hilft es, zu zählen. Andere stellen sich selbst Denkaufgaben, wie Städte mit A zu finden“, sagt Hendrik Berth. „Hauptsache, es nimmt den Fokus weg von dem, was im Mund passiert.“
Tipp 5: Die Belohnung nicht vergessen
Der Zahnarztstuhl fährt zurück in seine Ausgangsposition - es ist geschafft. Jetzt ist es Zeit, sich selbst ordentlich zu belohnen. Vielleicht nicht unbedingt mit etwas Süßem, was den Zähnen direkt wieder zusetzt. „Aber man kann sich sagen: Okay, ich habe es geschafft. Jetzt unternehme ich etwas Schönes“, so Hendrik Berth.
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