Sicherheit
Crashsensoren und aufblasbare Säcke: Wie der Airbag entstand

05.08.2021 | Stand 16.08.2021, 17:58 Uhr

Mercedes arbeitete seit 1966 am Airbag und stellte das serienreife System 1981 in der S-Klasse vor.- Foto: Mercedes Benz AG/dpa-tmn

Sie gehören zum Sicherheitsstandard: Airbags im Auto. So wie man sie heute kennt, gehen die aufblasbaren Luftsäcke auf ein Patent von vor 50 Jahren zurück.

Reifen quietschen, Glas zerbricht und es knallt. Moderne Systeme blasen Airbags gleich an mehreren Stellen auf. Damit bei einem Autounfall der Aufprall von Kopf und Oberkörper abgebremst wird, entwickelten Tüftler vor 50 Jahren den Airbag als rettenden Luftsack wie man ihn heute kennt.

Dabei registrieren Sensoren starke, unfalltypische Verzögerungen und veranlassen, dass eine Treibladung mit Knall zündet. Ein Gasgemisch bläst blitzartig eine Textilhülle auf - den Airbag. Zusammen mit dem Dreipunktgurt wird die Bewegung des vorschnellenden Oberkörpers gedämpft. Die zusammengedrückte Luft entweicht durch Öffnungen - zurück bleiben ein schlaffer Sack und ein möglichst unverletzter Fahrer. Das Prinzip geht weit zurück.

Walter Linderer ließ sich die Idee von einem «aufblasbaren Behälter in zusammengefaltetem Zustand, der sich im Falle der Gefahr automatisch aufbläst» bereits 1951 patentieren. Auch John W. Hedrik meldete 1953 ein Patent in den USA an. Dort gab es in den 1950ern auch Versuche.

Das erste Serienmodell mit Airbag fährt in den USA vor

Hohe Opferzahlen bei Verkehrsunfällen führten Anfang der 1970er Jahre in den USA zu Gesetzen für mehr Insassenschutz in Autos. Eine Antwort von General Motors (GM) war das «Air Cushion Restraint System» (ACRS). Diesen Airbag für Fahrer und Beifahrer bot GM ab dem Modelljahr 1974 gegen Aufpreis in einigen Marken wie Cadillac und Buick an.

Dabei ging es aber auch darum, den von einigen Autofahrern als unbequem empfundenen Dreipunktgurt zu ersetzen, sagt Wolfgang Blaube aus Hamburg. «Nur ein Beckengurt und Kniepolster gehörten zum System», sagt der Motorjournalist und erste Vorsitzende der Automobilhistorischen Gesellschaft. Das ist der entscheidende Unterschied zum später von Daimler-Benz lancierten und heute noch gültigen Prinzip des Airbags als Ergänzung zum Dreipunktgurt.

Dieser erste Airbag in einem Serienauto verschwand nach zwei Jahren wieder aus dem GM-Programm. «Zum einen war die Wartung recht aufwendig und kostspielig», sagt Blaube. «Nicht wenige Besitzer ließen das System mit der Zeit deaktivieren und Dreipunktgurte einbauen.» Zum anderen war es nicht wirtschaftlich für GM, denn hohe Bestellzahlen sind nicht bekannt, wie Blaube das Aus für den US-Luftsack skizziert.

Daimler-Benz forciert die Luftnummer für mehr Sicherheit

In Deutschland forcierte Daimler-Benz die Entwicklung, die man 1966 startete. Die technische Realisierung wurde 1971 als «Aufprallschutzvorrichtung für den Insassen eines Kraftfahrzeugs» patentiert. Das System war aus patentrechtlicher Sicht vorbekannt, so Mercedes. Doch bei diesen ersten Daimler-Patentanmeldungen sei es um technische Verbesserungen im Rahmen der Serientauglichkeit gegangen.

Die waren entscheidend, damit dieses System auch praktisch in Fahrzeugen eingesetzt werden konnte, sagt Sprecherin Julia Höfel von Mercedes-Benz Classic. Viele weitere Patente folgten.

Einige Probleme waren nicht gelöst, wie etwa das nötige schnelle Aufblasen des Airbags innerhalb von 30 Millisekunden. «Der Durchbruch bei der schnellen Gaserzeugung kam mit dem Feststoff-Treibsatz, wie er in Raketenantrieben verwendet wurde», sagt Professor Rodolfo Schöneburg von Mercedes. Außerdem durfte der Luftsack beim Aufprall nicht platzen. Polyamid gilt seitdem als ideales Material, heute ist es leichter und dünner als vor 40 Jahren.

Zudem musste der Fahrerairbag in einem sich drehenden Lenkrad sicher untergebracht und gesteuert werden. Sensoren mussten etwa zwischen einem Unfall ab 20 km/h und einem leichten Parkrempler unterscheiden - eine Menge Aufgaben. Auch Bosch war bei der Entwicklung beteiligt, so entstand das erste elektronische Airbag-Steuergerät in Serie.

Erst Jahre später kommt die serienreife Lösung

Die Lösung wurde in Form des ersten deutschen Serienautos mit Airbag als Sonderausstattung 1981 erstmals öffentlich vorgestellt. Premiere feierte der Luftsack in der S-Klasse (W 126) zusammen mit dem sogenannten Gurtstrammer (später Gurtstraffer). Dieser nutzte dasselbe Signal wie der Airbag. Hier sorgte Pyrotechnik dafür, dass sich der Gurt beim Unfall an den Körper der Insassen zieht.

Mercedes sprach von SRS (Supplemental Restraint System), ein ergänzendes Rückhaltesystem. Das gilt bis heute. Denn die Schutzwirkung entfacht ein Airbag immer nur in Zusammenarbeit mit dem Gurtsystem. Ohne Gurt ändert sich das Verletzungrisiko dramatisch, Airbags allein können Insassen nicht zurückhalten und schützen.

Andere Hersteller zogen nach bauten Airbags in den Folgejahren ein, heute sind sie längst serienmäßig, viel kleiner und an ganz vielen Stellen zum Schutz der Passagiere zu finden.

Autos der Zukunft vermeiden Unfälle - sind Airbags noch nötig?

Auch in den nächsten Jahren hält Professor Schöneburg Airbags für notwendig. Trotz Assistenzsystemen und Car-to-x-Kommunikation, bei der sich Fahrzeuge untereinander warnen können, werden nicht alle Unfälle vermieden - allein schon, weil viele ältere Fahrzeuge damit nicht ausgestattet sind.

Airbags und Rückhaltesysteme hält auch Professor Lutz Eckstein als Sicherheitssysteme in Zukunft für wichtig. «Wir befinden uns derzeit an der Schwelle zum automatisierten Fahren und müssen daher den Insassenschutz weiter entwickeln», sagt der Direktor des Instituts für Kraftfahrzeuge (ika) der RWTH Aachen. Dazu zähle die genaue Bestimmung der Körperhaltung der Passagiere. «Schon beim automatisierten Fahren nach Level 3 muss selbst der Fahrer nicht mehr gerade hinterm Lenkrad sitzen», so der Professor. Dabei erkennt das System mittels berührungsloser Sensoren oder Wärmebildkameras die Haltung der zu schützenden Person und kann den Airbag bei einem eventuellen Unfall gezielt ausrichten und aufblasen. Das erhöht die Wirksamkeit des Airbags und somit den Insassenschutz.

«Defizite gibt es noch für den Außenbereich, als Schutz vor anderen Verkehrsteilnehmer wie Radfahrer oder Fußgänger. Da steckt noch Entwicklungspotenzial», sagt Professor Eckstein.