Nord Stream

Pipeline-Lecks: Skandinavier vermuten massive Sprengladung

01.10.2022 | Stand 01.10.2022, 15:30 Uhr

Gasleck bei Nord Stream 1 - Das Nord Stream 1-Gasleck in der Ostsee. An den Nord-Stream-Gasleitungen in der Ostsee gibt es insgesamt vier statt wie bisher bekannt drei Lecks. - Foto: Swedish Coast Guard/dpa

Noch am Freitag sollte der UN-Sicherheitsrat zu den Lecks an den Nord-Stream-Pipelines tagen. Dänische und schwedische Experten geben ihm die aktuellsten Informationen mit auf den Weg.

Mindestens zwei vorsätzliche Explosionen mit der Wucht einer wohl mehrere hundert Kilogramm kräftigen Sprengladung sind nach Ansicht Dänemarks und Schwedens für die Lecks an den Gaspipelines in der Ostsee verantwortlich. Das geht aus einem Schreiben der beiden skandinavischen Länder zu den Lecks an den Gas-Röhren Nord Stream 1 und 2 hervor, das als Grundlage einer für Freitag angesetzten Dringlichkeitsdebatte im UN-Sicherheitsrat (ab 21.00 Uhr MESZ) dienen sollte.

Seismologische Institute hätten eine Stärke von 2,3 und 2,1 gemessen, was «vermutlich einer Sprengladung von mehreren hundert Kilogramm» entspreche, hieß es in dem auf Donnerstag datierten Brief.

Seit der Nacht zum Montag wurden insgesamt vier Lecks an den Pipelines Nord Stream 1 und 2 festgestellt, die von Russland durch die Ostsee nach Deutschland führen. Nach bisherigem Stand gibt es an beiden Leitungen von Nord Stream 1 je ein bekanntes Leck und zwei an einer der Nord-Stream-2-Leitungen. Oberhalb der Lecks sprudelt seit Tagen ununterbrochen Gas an die Wasseroberfläche. Die Nato und die EU gehen von Sabotage aus.

Vorsätzliche Handlung wahrscheinlich

Diese Annahme wird gestützt von den Erkenntnissen der Skandinavier. Alle verfügbaren Informationen deuteten darauf hin, dass die Explosionen das Ergebnis einer vorsätzlichen Handlung seien, schrieben sie in ihrem Brief. Je zwei Lecks seien in den Ausschließlichen Wirtschaftszonen von Dänemark und Schweden entstanden. Das daraus aufsteigende Gas habe an der Oberfläche Gebiete mit einem Radius zwischen 200 und 900 Metern erfasst.

Bei der Sitzung des Sicherheitsrats sollte es zunächst auf Bitten Russlands eine Debatte über die Lecks geben. Anschließend sollte über eine Resolution debattiert werden, in der die russische Annexion von ukrainischen Gebieten als Völkerrechtsbruch verurteilt und Russland zum sofortigen militärischen Rückzug aufgefordert wird. Es wird aber erwartet, dass Russland sein Veto dagegen einlegen wird.

Die russische Führung versuchte, die USA als Hauptverdächtigen im Fall der beschädigten Pipelines darzustellen. Es sei «offensichtlich, dass der Hauptnutznießer, vor allem wirtschaftlich, die USA sind», sagte der Sekretär des nationalen Sicherheitsrats in Russland, Nikolai Patruschew, der Nachrichtenagentur Interfax zufolge.

Russland spricht von «Terroranschlägen»

Der Chef des russischen Auslandsgeheimdienstes, Sergej Naryschkin, behauptete, Moskau verfüge über Material, das auf eine «westliche Spur» bei der Organisation und Durchführung der «Terroranschläge» auf die Nord-Stream-Pipelines hinweise. Er beschuldigte den Westen, «alles zu tun, um die wahren Urheber und Organisatoren dieses internationalen Terrorakts zu verbergen».

Vizekanzler Robert Habeck glaubt russischen Aussagen zu den Lecks nicht. «Die einzige Wahrheit, die aus Russland kommt, ist die Lüge», sagte er am Freitag in Brüssel auf die Frage, ob er Russland glaube, dass das Land nicht an einer möglichen Sabotage der Pipelines involviert sei. «Ich weiß nicht, wer die Explosionen durchgeführt hat. Aber zu sagen: «Wir waren es nicht» - das ist keine Antwort, der ich traue», betonte der Grünen-Politiker. Es liefen Ermittlungen. Diese sollte man abwarten, bevor man zu einem Urteil komme, sagte er.

Sorge um die Infrastruktur

Unterdessen warnten Experten vor der Gefahr durch weitere Angriffe auf die europäische Energieversorgung und andere wichtige Bestandteile der Infrastruktur. «Wir sind in einem fossilen Energiekrieg. Die Mittel, die da jetzt gewählt werden, sind drastisch», sagte Energieexpertin Claudia Kemfert dem Fernsehsender Phoenix. Man müsse damit rechnen, dass es Anschläge auf alle möglichen Bereiche der Energieversorgung gebe, so die Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr und Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Konkret nannte sie die Gefahr von Cyber-Angriffen auf Atomkraftwerke.

Einem Bericht des «Spiegel» zufolge hatte ein Forscherteam erst vor wenigen Monaten das EU-Parlament vor Missständen beim Schutz wichtiger Infrastruktur unter Wasser gewarnt. Die EU hinke hier hinterher. Gewarnt wurde demnach unter anderem vor Angriffen mit Sprengladungen auf Unterwasser-Infrastruktur. Sowohl China als auch Russland seien darin als mögliche Gegner benannt worden. Auf EU-Ebene gebe es aber kaum Maßnahmen oder Programme, die das Thema direkt angingen, zitierte das Magazin aus dem für den Unterausschuss für Sicherheit und Verteidigung angefertigten Bericht.

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