Tote Buben von Bruckberg

Jetzt will die Bahn sogar Geld für die Delle im Zug!

24.03.2021 | Stand 24.03.2021, 14:43 Uhr

Wind kommt auf, als der Vater die Gedenkstätte seiner beiden toten Söhne aufsucht. Foto: Bayer

Wie pietätlos ist das denn? Im Oktober vergangenen Jahres waren zwei Jungen (13 und 17) an einem Bahnübergang in Bruckberg ums Leben gekommen. Für die Familie, die immer noch trauert, kommt jetzt der nächste Tiefschlag: Die Deutsche Bahn verlangt nun die Reinigungs- und Reparaturkosten. Die Familie hatte sich einen Anwalt genommen und klagt jetzt gegen die Bahn.

Von Veronika Bayer

Bruckberg. Ist dieser Kampf aussichtslos? Die Unter-Drucksetzung raubt den Hinterbliebenen die Hoffnung. Langer Hebel, viel Macht und Geld: Wenn‘s auf Messers Schneide steht, wird der Kleine oft zum Spielball. Das ist in diesem Fall aber deswegen besonders tragisch, weil es um die Ereignisse in Bruckberg geht. Im Oktober letzten Jahres kamen in der niederbayerischen Gemeinde bei Landshut zwei Brüder (13 und 17) bei der Überquerung eines Bahnübergangs ums Leben. Es geht um die Anerkennung, dass die toten Buben keine Schuld trifft – und um die Linderung des Schmerzes der Hinterbliebenen.



Den Hinterbliebenen geht es nach wie vor entsetzlich. Bei einem Gespräch ringen die engsten Angehörigen um Worte. Auch der Bruder (16), der damals zusehen musste, wie seine Geschwister starben, versucht aufgrund der fürchterlichen aktuellen Ereignisse noch einmal, seine Erinnerungen auszusprechen: Seine Brüder seien nicht unter der Schranke hindurch gelaufen, sondern auf der Wiese vorbei. Weil die Stelle nicht gesichert sei, sei es zu dem schrecklichen Unfall gekommen. Bis heute würden „etwa 80“ Kinder jeden Morgen den Bahndamm überqueren, weil es keinen anderen Weg zum Einstieg gebe: Brücke oder Unterführung fehlen.



Die Geschwister hätten nicht mit dem irregulär fahrenden Zug gerechnet, ergänzt der Vater: Der Zug sei verspätet, deswegen auch zu schnell gewesen. Er hätte gar nicht da sein dürfen. Die Kinder hätten nicht damit rechnen können, weil er nie da gewesen sei. Ein weißes Häuschen versperrt die Sicht auf die Gleisführung. Kein Donner kündigt den nahenden Zug an – kann das an der Bebauung liegen? Wie kann der Tod so leise kommen? Fragen, mit denen sich die Hinterbliebenen quälen. Wäre die Tragödie durch ein Stück Zaun zu verhindern gewesen?



Der Unfall habe die Familie zerstört, so der Vater. Und die aktuellste Hiobsbotschaft sei gewesen, als wären seine Söhne „zum zweiten Mal gestorben“. Was ist passiert? Der Vater kämpft aktuell – „Es geht um Gerechtigkeit“ – in einem Rechtsstreit gegen die Deutsche Bahn (mit Sitz in Frankfurt a.M.). Die aber hatte es auf einen Fristablauf ankommen lassen. Schließlich, letzter Tag, ein Angebot: Die Bahn bietet an, auf die Reinigungs- und Reparaturkosten des Zugs zu verzichten – wenn die Klage gegen sie fallen gelassen wird.



Ein Schock! Der Vater kann an dem Tag am Telefon nicht mehr sprechen, bricht den Anruf ab. Tags darauf sagen die Hinterbliebenen gemeinsam aus – und ringen da immer noch um Fassung.



Der Vorschlag der DB AG sei ihm letzten Mittwoch telefonisch zugegangen, bestätigt Anwalt Thomas Hofknecht von der Dr. Jockisch Rechtsanwalts-GmbH, die den Vater der beiden getöteten Kinder vertritt. „Wortwörtlich haben sie gesagt, es sei ein nicht unerheblicher Sachschaden am Zug entstanden. Man schlage vor, sich auf Null zu vergleichen. Ob man das Verfahren nicht bei Verzicht auf wechselseitige Ansprüche beenden könne“, so Hofknecht. Der Anruf sei aus Nürnberg gekommen.



Rechtsanwalt Dr. Martin Jockisch von der gleichnamigen Kanzlei: „Man nimmt überhaupt nicht zur Kenntnis, dass hier eine Gefahrenquelle geschaffen wurde. Aus Sicht der Deutschen Bahn haben die Kinder den Zug beschädigt. Das ist nicht nur ein unanständiges Verhalten. Das ist technisch gesehen pervertiert.“ In seinen 31 Jahren als Anwalt habe er schon viel erlebt. Eine Dimension dieses Ausmaßes sei neu, es „fehlen die Begrifflichkeiten.“ Eine schriftliche Erwiderung der Bahn für das Verfahren vor dem LG Landshut stehe aus.



NACHTRAG: Nach Veröffentlichung des Artikels erklärt eine Sprecherin der Deutschen Bahn AG gegenüber dem WOCHENBLATT LANDSHUT: „Selbstverständlich erheben wir hier keinerlei finanzielle Forderungen. Unsere Gedanken sind bei den Angehörigen der Opfer dieses tragischen Unfalls.“



Rechtsanwalt Hofknecht von der Kanzlei, die die Hinterbliebenen vertritt, findet die Aussage „begrüßenswert“. Aber: „Das Leid kann nicht mehr rückgängig gemacht werden.“



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