Für Polizei „ein Balanceakt“

Corona-Demo in Landshut: Zwei Welten prallen aufeinander

26.01.2022 | Stand 26.01.2022, 19:44 Uhr

Erstmals standen die Gegendemonstranten vor dem Rathaus. Als die Spaziergänger vorbeizogen, warfen sich beide Seiten ihre Meinungen an den Kopf. Dennoch blieb es friedlich. −Foto: Mühlehner

Von Corinna Mühlehner

Am Montag gehen rund 1500 Kritiker der Corona-Maßnahmen in der Landshuter Altstadt spazieren. Dagegen demonstrieren über 100 andere. Die Heimatzeitung hat das Aufeinandertreffen beobachtet.



Um kurz nach halb sechs Uhr abends ist in der Altstadt noch nicht viel zu sehen. Ein paar Menschen sitzen auf Bänken vor dem Ländtor, nichts Ungewöhnliches. Während die Zeit verstreicht, gesellen sich immer mehr dazu. Schleichend bilden sich kleine Gruppen, bis am Ende eine breite Masse vor dem backsteinernen Eingang zur Altstadt steht. Ein paar Minuten nach Sechs hallt der schrille Klang einer Trillerpfeife durch den Abend. Und die Menschen setzen sich in Bewegung.

Kurz vorher weist die freundliche Stimme einer Polizistin über Lautsprecher darauf hin, dass unangemeldete Versammlungen nicht erlaubt sind. Sie bittet darum, dass sich ein Versammlungsführer bei der Polizei meldet. Die Aufrufe bleiben unbeantwortet. Als die Menschen losgehen, geht die Polizistin dazu über, auf die Corona-Maßnahmen hinzuweisen. Bei dieser Masse an Menschen freilich kaum möglich. Abstand wird mal mehr, mal weniger gewahrt, Masken tragen vielleicht eine Handvoll in diesem Wust aus rund 1500 Menschen.

Eine Absperrung lässt Gefühle hochkochen

Auf dem Kopfsteinpflaster vor dem Ländtor ist ein Klicken zu hören. Ein Mann tastet sich mit Hilfe eines langen Stocks vor – er ist blind. Ein anderer Mann fragt, ob er helfen kann. „Ich möchte mit spazieren gehen. Ich glaube, alle gehen da lang, oder?“, erkundigt sich der Blinde. „Ich gehe auch mit, ich kann ihnen helfen“, bietet der andere an.

Am Ufer der Isar entlang geht es auf Umwegen in die Altstadt. Die Polizei hat einige Zugänge gesperrt, um den Strom an Menschen zu regulieren. Die Stimmung unter den Spaziergängern ist heiter, ausgelassen. Einige haben sogar Musik angemacht, viele haben ihre Hunde dabei. Während Menschen allen Alters über das Kopfsteinpflaster in eine Gasse Richtung Neustadt einbiegen, wird fleißig gegrüßt, gewunken, gelacht. Man kennt sich – der Montagabend wie das wöchentliche Vereinstreffen, vor Corona, vor der Pandemie. Vor den Maßnahmen, gegen die sie mit ihrem „Spaziergang“ ein Zeichen setzen wollen.

Die vermeintlich überzogenen Corona-Maßnahmen – ein Dauerthema beim Spaziergang, gemischt mit Spott für die vorwiegend aus Grünen und Fridays for Future bestehenden Gegendemonstranten. „Sollen sie doch lieber ein paar Masken aufsammeln“, schlägt eine Spaziergängerin ihrem Mitläufer vor. „Da hörst nichts vom Umweltschutz.“ Ihr Gesprächspartner stimmt zu und erkundigt sich nach der Rasse ihres Hundes. Das Gespräch rückt wieder weg von Corona.

An der Martinskirche vorbei geht es in die Ländgasse. Der Versuch, mit einem Ehepaar über den Spaziergang zu sprechen, wird von plötzlichem Grölen und Applaus unterbrochen. Dort, wo die Ländgasse hinter dem Modehaus Oberpaur abknickt, versperren Polizeibeamte den Weg. Unmut brandet bei den Spaziergängern auf. Ein Sprechchor erhebt sich. „Schämt euch!“, ruft dieser immer wieder. Eine Frau brüllt plötzlich: „Die Kinder sterben an der Impfung! Ihr treibt sie in den Tod!“

Mehrere Anzeigen erstattet

Wie die Polizei tags darauf in einer Pressemitteilung bekannt gibt, waren einige Personen aus der Masse herausgegriffen worden. Weil sie gegen die Allgemeinverfügung der Stadt Landshut verstießen, die sich fortbewegende Versammlungen verbietet, wurden Anzeigen wegen einer Ordnungswidrigkeit erstattet. Während die Personalien aufgenommen wurden, war der Weg deshalb gesperrt.

Das sorgt für einigen Unmut an diesem Montagabend. Viele Spaziergänger schleudern den Beamten ihre Empörung entgegen. Eine Frau spricht mit aufgeregter Stimme von „Verrat am Volk“. Plötzlich schiebt sich ein Mann vor die Linie aus Beamten. Als ihn ein Polizist darauf hinweist, dass er hier nicht durch könne, versucht er, sich mit Gewalt durchzuschieben. „Ich gehe jetzt da durch!“, ruft der Mann, wird jedoch von dem Polizisten zurückgeschoben. Dessen Kollege zieht den Schlagstock. Dabei bleibt es aber. Ein älterer Polizist greift ein, redet ruhig auf den Mann ein. Der nickt, hebt beschwichtigend die Hände. Und geht weiter.

Währenddessen hat sich auch der Großteil der anderen Spaziergänger wieder in Bewegung gesetzt. Es geht zurück in die Altstadt. Vor dem Rathaus leuchtet die Licht-Installation von Stadt und Landkreis. Darunter stehen rund 120 Personen, in einem durch Wellenbrecher abgegrenzten Rechteck. Die Gegendemonstration.

Sprecher gedenkt der Corona-Toten

Ein Sprecher gedenkt der Corona-Toten. Dann ruft er zum Impfen auf. Jubel und Applaus branden unter den Spaziergängern auf. „Impfen, wooo!“, spottet eine Frau und reckt die Fäuste in die Luft. Als der Demo-Sprecher vor Verschwörungstheorien warnt, folgt höhnisches Gelächter. Doch nicht jeder Spaziergänger reagiert so. Viele empören sich, kritisieren die Demonstranten für Schilder, auf denen die Spaziergänger mit Nazis in Verbindung gebracht werden.

Manche dieser Schilder rufen zu Solidarität und zum Impfen auf. Andere sind weniger diplomatisch. „Maske statt Aluhut“ oder „Scheißt ihnen in die Klangschalen“ ist zu lesen. Versammlungsleiterin und Grünen-Kreisvorsitzende Elke Rümmelein sieht diese Schilder nicht gern. „Aber hier sind auch viele Privatpersonen dabei, denen kann ich das nicht verbieten“, sagt sie. Das Thema wolle sie bei den Demonstranten ansprechen.

Während die Spaziergänger an den Gegendemonstranten vorbeiziehen, werden rege Meinungsfetzen hin- und hergeworfen. Es scheint, wie zwei Welten, die aufeinanderprallen. Auch der eine oder andere Passant gerät dazwischen, versucht, sich unbehelligt seinen Weg zu bahnen oder schnalzt verärgert über das Hindernis mit der Zunge.

Für Polizei ist es „ein Balanceakt“

Wie Patrick Baumgartner, Pressesprecher der Polizei Landshut, auf Nachfrage erklärt, erreichten auch die Polizei öfter Anrufe von entnervten Bürgern, die fragten, warum solche „Spaziergänge“ zugelassen würden. „Für die Polizei ist es ein Balanceakt“, sagt Patrick Baumgartner. „Wir verfolgen die Verstöße gegen die Allgemeinverfügung und gleichzeitig gewährleisten wir das Versammlungsrecht bei den ordnungsgemäß angezeigten, stationären Versammlungen.“

Gegen 19 Uhr löst sich der Spaziergang langsam auf. Zurück bleiben größere und kleinere Gruppen von Menschen auf dem Pflaster der Altstadt und die hoch erhobenen Schilder der Gegendemonstranten. Eine halbe Stunde später wird es allmählich ruhig zwischen den alten Häusern.

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