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Herrmann: Frühe Warnung vor Stammstrecken-Debakel unseriös

26.05.2023 | Stand 28.05.2023, 21:47 Uhr

Florian Herrmann (CSU) - Florian Herrmann (CSU) spricht. - Foto: Peter Kneffel/dpa/Archivbild

Die Zeichen an der Wand hat man gesehen in der Staatsregierung, als Kosten und Zeitplan bei der zweiten Münchner Stammstrecke aus dem Ruder liefen. Die Öffentlichkeit hat aber niemand informiert. Ein absolut seriöses Vorgehen, findet Staatskanzleichef Herrmann.

Wenn man nichts Genaues weiß, hält man besser den Mund: So lässt sich die Haltung von Staatskanzleichef Florian Herrmann (CSU) auf die Frage zusammenfassen, warum weder Landtag noch Öffentlichkeit frühzeitig über das sich anbahnende Desaster bei der zweiten Münchner S-Bahn-Stammstrecke informiert wurden. «Solange nicht hundertprozentig klar ist, was die zweite Stammstrecke kosten wird, kann auch nichts kommuniziert werden», befand Herrmann am Freitag im Untersuchungsausschuss Stammstrecke im Landtag. «Alles andere würde ich prinzipiell für unseriös halten.»

Herrmann selbst war zwar seit September 2020 gewarnt, dass es bei dem Mammutprojekt zu eklatanten Kostensteigerungen und starkem Zeitverzug kommen werde. Das gesamte Kabinett wusste spätestens nach einer Ministerratssitzung am 1. Oktober Bescheid. Er habe jedoch stets eine klare Meinung vertreten, schilderte Herrmann: «Solange wir keine validen Zahlen haben, ist es nicht sinnvoll, sich vertieft damit zu beschäftigen, weil es immer ein Stochern im Nebel ist.»

Deshalb habe er das Thema bis zur Bekanntgabe offizieller Zahlen durch die Deutsche Bahn «gedanklich abgelegt auf Wiedervorlage». Bis dahin sei es für ihn so gewesen, «als wenn gar keine Zahlen vorliegen.» Erst im Frühjahr 2022 habe es dann weitere Anhaltspunkte für steigende Kosten und Verzögerungen gegeben; Ende September wurde das Desaster dann offiziell von der Bahn beziffert.

Die SPD-Abgeordnete Inge Aures widersprach unter Verweis auf die Prognosen der vom Freistaat eingesetzten Baubegleitung, die ausweislich der Akten im Grundsatz schon früher von der Bahn bestätigt worden seien. «Wir sehen ja, dass die Zahlen da waren. Man hat halt zwei Jahre darauf geschlafen.»

Auch in anderen Punkten überzeugte Herrmanns Argumentation nicht alle Abgeordneten. So sagte der Minister zu einem Vermerk seines Referatsleiters vom Herbst 2020, wonach die zweite zentrale S-Bahn-Stammstrecke durch die Landeshauptstadt «kein Gewinnerthema im Wahlkampf» sei: «Ein Thema kann großen Schaden nehmen, wenn es in aufgeheizte Stimmung gerät.» Die Opposition sieht den Vermerk jedoch eher in Verbindung mit den Ambitionen von Ministerpräsident Markus Söder (CSU), Kandidat für die Bundestagswahl 2021 zu werden.

Wesentlich kürzer als die Vernehmung Herrmanns lief im Anschluss die Befragung des ehemaligen Verkehrsministers Hans Reichhart (CSU) ab - nicht nur, weil dazu die Mittagspause nach hinten geschoben wurde und der Hunger die Abgeordneten drängte. Reichhart war von November 2018 bis Februar 2020 im Amt und befasste sich in dieser Zeit mit den umfassenden Umplanungen etwa für einen zusätzlichen U-Bahnhof unter dem Hauptbahnhof und ein neues Rettungskonzept.

Damals habe die Bahn beteuert, dass der Bau trotz Umplanungen spätestens 2029 fertig werde, berichtete Reichhart. Der erste Bericht der vom Ministerium eingesetzten Baubegleitung habe an Weihnachten 2019 ergeben, dass man dank des Risikoaufschlags zudem immer noch im Kostenpuffer sei. «Die Zahlen, die jetzt im Raum stehen, waren so von der Bahn nicht kommuniziert, nein», betonte Reichhart.

Aktuell wird davon ausgegangen, dass das größte Infrastrukturprojekt im Freistaat bei einer Fertigstellung bis zum Jahr 2037 rund 8,5 Milliarden Euro kosten wird. Bis zum vergangenen Herbst waren 3,85 Milliarden Euro und eine Inbetriebnahme im Jahr 2028 vorgesehen.

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