Betrugsdelikte
Hoher Schaden durch „Pseudo-Pfleger und andere schwarze Schafe“

17.08.2020 | Stand 25.07.2023, 1:59 Uhr
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Rezepte fälschen, nicht erbrachte Leistungen abrechnen, sich unzulässig Aufträge zuschieben, Höchstsätze für unqualifiziertes Personal abkassieren: Die Liste von Betrügereien im Gesundheitswesen ist lang.

Regensburg. Der „Prüfgruppe Abrechnungsmanipulation“ der KKH Kaufmännische Krankenkasse gingen auch im vergangenen Jahr bundesweit wieder etliche Täter ins Netz. 476 neu aufgedeckte Fälle registrierte die KKH. Das ist ein deutlicher Anstieg um rund 55 Prozent im Vergleich zu 2018 mit 308 Fällen.

Der KKH ist durch bewusste Falschabrechnungen allein in 2019 bundesweit ein Schaden in Höhe von mehr als einer Million Euro entstanden. In 29 Fällen erstattete die KKH Strafanzeige. Dazu gehören beispielsweise die Machenschaften eines Radiologen. Dieser rechnete Röntgenkontrastmittel unrechtmäßig über Unternehmen ab, die sich praktisch in Familienbesitz befinden. Erzielter Gewinn: 17,3 Millionen Euro. „Das Gesundheitssystem ist sehr anfällig für Straftaten“, sagt KKH-Chefermittlerin Dina Michels. „Im vergangenen Jahr wurden etwa 240 Milliarden Euro an die Anbieter im Gesundheitsmarkt verteilt. Das birgt großes Potential für Kriminelle, die versuchen, mit geringer Leistung hohen Profit zu erzielen.“ Bei den Betrügern handelt es sich in allen Branchen um einige wenige, die aber hohe Schäden verursachen. „Leider bedenken sie nicht, wie sehr sie mit ihrem Verhalten dem Ruf ihrer Berufsgruppe schaden, und – was noch schwerer wiegt – dass sie Gelder in die eigene Tasche stecken, die dem Gesundheitssystem und damit insbesondere der Behandlung kranker Menschen entzogen werden.“

Traurige Nummer 1 bei den Neufällen bilden wie bereits im Vorjahr ambulante Pflegedienste. „Auf ihr Konto gehen 210 Fälle und damit knapp die Hälfte aller bei der KKH in 2019 eingegangenen Fälle“, so Michels. „Dass zunehmend mehr Pflegedienste im Fokus unserer Ermittlungsarbeit stehen, liegt vor allem daran, dass der Medizinische Dienst der Krankenversicherung, kurz MDK, seit einiger Zeit jährliche Abrechnungsprüfungen durchführt." Im Ranking folgen Krankengymnasten bzw. Physiotherapeuten mit 82 Fällen, Ärzte mit 42, Apotheker mit 25 sowie Zahnärzte mit 23 Fällen.

Abrechnungsbetrüger kennen fast keine Grenzen

Ob gefälschte Rezepte oder die Ausgabe günstigerer Arzneimittel statt der teuer abgerechneten: Die höchste Schadenssumme mit mehr als 477.000 Euro verursachten im vergangenen Jahr Apotheken. Auf Rang zwei stehen Betrügereien von Ärzten wie zum Beispiel die mehrfache Abrechnung nur einmal erbrachter Untersuchungen oder Behandlungen. Hier belaufen sich die Forderungen allein der KKH auf rund 161.300 Euro. Physiotherapie, Stimm- und Sprechtherapie sowie andere Heilmittel nehmen mit einer Schadenshöhe von gut 134.600 Euro Platz 3 ein. In diesem Bereich kommt es beispielsweise dazu, dass Patienten von nicht ausreichend qualifiziertem Personal behandelt werden oder Ärzte Therapeuten empfehlen, an deren Einrichtungen sie selbst beteiligt sind und dadurch finanziell profitieren. Im Ländervergleich entfällt die höchste Schadenssumme mit rund 400.000 Euro auf Brandenburg. Insgesamt konnte die KKH im Jahr 2019 rund 700.000 Euro zurückholen, die auch auf Fälle und Forderungen der vergangenen Jahre entfallen.

Ohne Hinweisgeber geht es nicht

557 Hinweise gingen 2019 insgesamt bei der KKH ein, bei 476 davon wurden Prüfungen eingeleitet. Den oftmals entscheidenden Wink erhalten die KKH-Ermittler neben dem MDK von einer Reihe in- und externer Hinweisgeber, darunter von anderen Krankenkassen, mit denen sie in engem Austausch stehen, von Polizei und Staatsanwaltschaft, Versicherten sowie auch der Presse. Die meisten Hinweise gingen 2019 in Nordrhein-Westfalen ein (158), gefolgt von Bayern (84) sowie – fast gleichauf – Baden-Württemberg (45) und Niedersachsen (43).

Engmaschige Ermittlungsarbeit das A und O

„Es gibt inzwischen in vielen Bundesländern Schwerpunkt-Staatsanwaltschaften sowie Experten bei der Kriminalpolizei, die in den von uns angezeigten Verdachtsfällen intensiv ermitteln und diese weiterverfolgen“, erklärt Juristin Dina Michels. Das sollte möglichst flächendeckend in allen Bundesländern der Fall sein. „Stattdessen werden immer wieder Ermittlungsverfahren eingestellt, bei denen klare Verdachtsmomente auf Betrug oder Korruption vorliegen. Das ist bestenfalls bedauerlich. Wenn dies im Einzelfall an fehlenden Spezialkenntnissen oder der schlechten personellen Ausstattung der Ermittlungsbehörden liegt, kommt es der Kapitulation des Rechtsstaates gleich.“ Denn nur ein engmaschiges Netz, bei dem Kassenärztliche Vereinigungen, Krankenkassen, Staatsanwaltschaften und Polizei an einem Strang ziehen, erschwert es potentiellen Straftätern im Gesundheitswesen, Schlupflöcher zu finden.

Regensburg