Neuer Bußgeldkatalog
„Da gefährden wir Existenzen“

31.05.2020 | Stand 13.09.2023, 0:39 Uhr
Alexander Schmid
−Foto: n/a

Es ist Mittwochmorgen, 7 Uhr. Georg Marchner, Leiter der Verkehrspolizei in Landshut, ist heute mit seinen Kollegen auf der A93 bei Regensburg unterwegs. Die Beamten haben einen „Geschwindigkeitstrichter“ aufgebaut. Das Tempo wird durch Beschilderung sukzessive auf Tempo 60 reduziert. Am Ende des Trichters wartet eine Radarfalle.

Regensburg. Vier Stunden später sind 31 Autofahrer ihren Führerschein los. Der neue Bußgeldkatalog, der am Dienstag, 28. April in Kraft getreten ist, sorgt selbst bei erfahrenen Polizisten für Stirnrunzeln. „Bei denjenigen, die auf den Führerschein angewiesen sind, da gefährden wir Existenzen“, sagt Marchner.

Wer seit Dienstag, 28. April, mit 21 Stundenkilometern zu viel innerorts geblitzt wird, der muss sein Auto einen Monat stehen lassen. Früher war das erst bei 31 Kilometern in der Stunde zu viel der Fall. Außerorts wird jetzt bereits bei einer Übertretung von 26 Kilometern in der Stunde der Schein gezwickt. Zum Vergleich: Vor dem 28. April war erst bei 41 Sachen zu viel auf dem Tacho der Schein weg. Obwohl das in den Medien groß thematisiert wurde, scheint es aber in den Köpfen der Autofahrer noch nicht angekommen zu sein. Die Szenen beim Geschwindigkeitstrichter auf der A93 sind jedenfalls kein Einzelfall. „In meiner Brust schlagen zwei Herzen“, sagt Marchner. Einerseits sind da die Raser, für die der erfahrene Polizist null Verständnis hat. „Das müssen sie mal erleben: diesen Wind, der einem ins Gesicht schlägt, wenn ein Auto mit 200 Kilometern in der Stunde vorbeischießt“, erzählt er. Auch am Mittwoch auf der A93 spürte er den heftigen Luftstoß viel zu oft, als die Messstelle aufgebaut wurde. Und das am Vormittag, zu einer Zeit also, zu der auf Autobahnen Hochbetrieb ist. Und man kann auch nicht von einem Versehen sprechen, wenn die Beschilderung eines Tempolimits so eindeutig ist wie an diesem Mittwoch: erst ein 120-Schild, dann ein Tempo 80- und darauf zweimal ein Tempo-60-Zeichen vor der Messstelle. Noch deutlicher geht es nicht. Der Schnellste fuhr an diesem Tag mit gemessenen 128 Sachen durch die Tempo-60-Zone.

Andererseits weiß auch Marchner, wie schnell man durch eine Unachtsamkeit ein Tempolimit übersehen kann, ein Tempo-30-Schild zum Beispiel in der Stadt. „Das geht mir auch so“, sagt er. Die neuen Regeln sind vor allem für diejenigen fatal, die auf ihren Führerschein beruflich angewiesen sind und ihn jetzt schneller los sind – und das sind bis jetzt jede Menge Autofahrer. Im Bundesverkehrsministerium häufen sich deshalb die Beschwerden. „Zahlreiche Bürger, die auf ihr Auto angewiesen sind, haben uns geschrieben. Sie haben Angst, ihren Führerschein und damit ihren Job zu verlieren“, sagte Scheuer dem ZDF. Die Angst ist begründet. „Da trifft es jetzt viel mehr als früher“, sagt Polizeihauptkommissar Michael Emmer vom Präsidium in Niederbayern und verweist auf eine Geschwindigkeitskontrolle, die vor Kurzem bei Plattling Nord in der Tempo-120-Zone durchgeführt wurde. Hundertmal hat es dort in wenigen Stunden geblitzt, es hagelte 16 Fahrverbote.

Nicht viel anders sah es bei einer Kontrolle auf der A3 aus. Auf Höhe der Rastanlage Donautal-West in Fahrtrichtung Österreich wurde von Montag, 27. April, bis Freitag, 8. Mai, geblitzt. In dieser Zeit wurden 63.913 Fahrzeuge registriert und 584 Fahrer beanstandet. 202 Autofahrer müssen ihren Führerschein abgeben.

„Am Anfang haben wir uns mit Kontrollen noch ein bisschen zurückgehalten“, sagt Emmer zur Einführung des neuen Bußgeldkatalogs. Doch diese Schonfrist ist vorbei. „Wir können unsere Messungen nicht einfach verändern, nur weil ein anderer Bußgeldkatalog gilt.“ Gemacht werden die Gesetze schließlich von anderen.

Das wissen auch die Autofahrer. Emmer, der demnächst für fünf Monate die Polizeiinspektion Waldkirchen leiten wird, hat seine zukünftigen Kollegen gefragt, wie die Reaktionen der Autofahrer bei Lasermessungen sind, bei denen die Autos nach einer Tempoüberschreitung gestoppt werden. „Die meisten haben den Kollegen keine Vorwürfe gemacht. Das versteht der Bürger schon“, sagt Emmer.

Die Politik wiederum scheint mittlerweile der Meinung zu sein, über das Ziel hinausgeschossen zu sein. Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer kündigte jedenfalls an, dass der neue Bußgeldkatalog noch einmal überarbeitet werden soll. „Ich persönlich begrüße das“, sagt Marchner. Scheuers angepeilter Kompromiss – höhere Bußgelder statt Fahrverbote – halte er für gut. In Sachen Bußgelder sei Deutschland im internationalen Vergleich sowieso „eines der günstigsten Länder.“ Bis zum Herbst, so lange wird die Überarbeitung der Novelle des Bußgeldkatalogs dauern, ist es aber auch das Land, wo man seinen Führerschein ruckzuck los ist.

Regensburg