Wilde Verfolgungsjagd auf der A9
Zwei Kumpels auf der Überholspur

15.11.2019 | Stand 02.08.2023, 18:33 Uhr
−Foto: Foto: mr

Halsbrecherische Überholmanöver, mit 180 km/h auf der Standspur, im Zick-Zack-Kurs über drei Fahrbahnen und mit Vollgas durchs Wohngebiet – dermaßen wilde Verfolgungsjagden kennt man sonst nur aus dem amerikanischen Fernsehen. Doch genau so heizten Michael P. (32) und Peter M. (31) (Namen von der Redaktion geändert) im März mit einem gestohlenen Kleinwagen und ohne gültige Fahrerlaubnis über die A9 von Halle (Sachsen-Anhalt) aus Richtung Bayern, verfolgt von einer Polizei-Armada. Jetzt müssen sich die Kumpels vor der sechsten Strafkammer des Landgerichts Landshut unter anderem wegen Diebstahl, Fahren ohne Fahrerlaubnis, vorsätzlichem gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr, Sachbeschädigung und tätlichem Angriff auf Vollstreckungsbeamte verantworten.

LANDSHUT Der Anklage nach starteten die beiden gemeinsam mit einer Freundin ihre „Spritztour“ mit dem gestohlenen Auto am Morgen des 27. März auf der A9 von Halle aus Richtung Bayern. Die Besitzerin des Wagens hatte bereits im Januar ihren Autoschlüssel verloren, den Michael P. „auf einem Briefkasten liegen sah“ und sich schnappte, wie sein Kumpel Peter M. dem Gericht erklärte. „Er fuhr schon längere Zeit mit dem Auto herum und ich habe mich zu der Spritztour hinreißen lassen“, fügte der 31-jährige hinzu. Er beteuerte, im Gegensatz zur Aussage seines Freundes, dass er „zu keiner Zeit das Auto gefahren habe“.

Gegen 10.30 Uhr passierten sie mit dem Auto eine automatische Kennzeichenerkennungsanlage in der Nähe von Bayreuth und machten so die Polizei auf sich aufmerksam. Ab der Autobahnanschlussstelle Bayreuth Süd hefteten sich die ersten drei Polizeiautos hinter die Flüchtenden, mit Michael P. am Steuer. Laut Staatsanwaltschaft habe Peter M. seinem Freund mit den Worten „Fahr zu, mach dass Du wegkommst“ aufgefordert, zu fliehen. Diverse Stop-Versuche durch die Polizei seien ignoriert worden. Im Laufe der Fahrt kam immer mehr Polizei hinzu, während andere die Verfolgung abbrachen.

Insgesamt waren Dienstwägen der Polizei aus Bayreuth, Oberbayern Nord, Feucht, Ingolstadt, Freising, Schrobenhausen und mehrere Zivilstreifen im Einsatz. Während der rasanten Fahrt warfen die Angeklagten einen Türgriff, den Henkel eines Mülleimers und eine leere Suppendose aus dem Auto, wobei der Henkel die Windschutzscheibe eines Polizeiautos traf. Immer wieder habe die Polizei versucht, dem Fluchtauto den Weg abzuschneiden. Dabei kam es zu mehreren Zusammenstößen, so dass an den Streifenwägen am Ende ein Sachschaden von ca. 46.000 Euro entstand. Zwei Polizisten wurden verletzt.

Aufgenommen wurde die waghalsige Fahrt von einem folgenden Polizeiauto und später von einem Polizeihubschrauber. Über eine Stunde lang konnten sich die Prozessbeteiligten und die Zuschauer auf dem Video ansehen, wie die Angeklagten über die Autobahn heizten und Spitzengeschwindigkeiten von 195 km/h aus dem Fluchtauto heraus holten, um die ungewollte Polizei-Eskorte abzuschütteln.

Wegen des starken Verkehrs war der Fluchtfahrer schließlich gezwungen, die Autobahnkurz vor München bei Garching Süd zu verlassen. Weiter ging es auf der Bundesstraße, dann quer durch ein Garchinger Wohngebiet. „Es ist faszinierend, was er immer für Lücken gefunden hat. Respekt“, kommentierte der Hauptsachbearbeiter, ein Polizeibeamter aus Erding, das Video. Weiter ging die Fahrt querfeldein über Landstraßen, an Bauernhöfen vorbei, durch die Isarauen und über Wiesen und Äcker. Zwischenzeitlich hatten die Einsatzkräfte das Fluchtauto aus den Augen verloren, wie der Beamte erklärte, doch der Polizeihubschrauber hatte sie auf dem Radar.

Die Schrobenhausener Polizei folgte ihnen bis zu einem Feldstück, nahe der vorbeiführenden Bundesstraße 11, und setzte einen Warnschuss und gezielte Schüsse auf die Reifen des flüchtigen Pkw ab. Danach blieb das Fluchtauto erneut in einem Feld bei Eching (Lkr. Freising) stecken und die Polizei konnte sie überwältigen.

„Der Tank war leer“, wie Peter M. erklärte. Auf der Fahrt habe er fast einen Herzstillstand erlitten und eine „komplette Panikattacke“, nachdem sie von der Polizei das erste Mal „gerammt“ worden seien. Verfolgungsjagden hätten sie generell schon mehrere gehabt, wie er berichtete. Der Vorsitzende Richter Ralph Reiter bezeichnete ihn darauf hin als „wohl erfahrenen Beifahrer bei Verfolgungsjagden“. Am Tag zuvor soll das Auto bereits in Merseburg (Sachsen-Anhalt) zweimal auffällig geworden sein, konnte jedoch nicht von der Polizei gestellt werden. „In Bayern wurde das Auto dann bis zum Showdown verfolgt“, wie Richter Reiter bemerkte.

Auch Drogen und Alkohol sollen im Leben der beiden Angeklagten eine Rolle spielen. Beim nächsten Prozesstermin am 29. November soll dazu das Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen gehört werden.

Landshut