Prozess in Regensburg
Vater soll sein drei Wochen altes Baby misshandelt haben – oder war alles ein tragischer Unfall?

17.07.2020 | Stand 13.09.2023, 6:22 Uhr

Was geschah wirklich in der Nacht vom 16. auf den 17. November 2019 in der Wohnung in Neustadt an der Donau? Woher hatte das damals drei Monate alte Baby lebensgefährliche Verletzungen? Und hat der Vater des Kindes etwas damit zu tun? Diese Fragen müssen aktuell am Landgericht Regensburg geklärt werden.

Regensburg. Die Anklageschriften in Fällen der Misshandlung kleiner Kinder sind nur schwer zu ertragen – so auch im Neustadter Fall. In der Nacht vom 16. auf den 17. November 2019 soll der Vater mit „massiver stumpfer Gewalt“ mehrfach auf seinen drei Monate alten Sohn eingewirkt haben. „Hierbei schlug der Angeklagte unter anderem mindestens zweimal den Kopf des Säuglings massiv an feste Strukturen. Außerdem packte er den Säugling fest am Brustkorb“, so die Anklageschrift, die Oberstaatsanwältin Christine Müller am Freitag, 17. Juli, zu Prozessbeginn vortrug. Es folgte eine lange Liste an diagnostizierten Verletzungen – diese hätten tödlich ausgehen können.

Vor Gericht schwieg der 37-Jährige. Er ließ durch seinen Anwalt Martin Gaußmann eine Erklärung verlesen. Er leide immer wieder an heftigen Kopfschmerzen und Schwindelanfällen. Manchmal habe er Aussetzer und verliere das Bewusstsein. Nachdem er zunächst behauptet hatte, ihm sei das Fläschchen aus der Hand gefallen, das dann das Baby getroffen habe, berief er sich nun auf solch einen Aussetzer. Er habe dem Baby gegen 7 Uhr ein Fläschchen gemacht, mit dem Kind auf dem Arm sei ihm dann schwindlig geworden. Er habe sich dann noch aufs Sofa retten wollen, mehr wisse er nicht. Als er wieder zu sich gekommen sei, habe das Baby auf dem Boden gelegen und geschrien. Sein Mandat könne sich nicht mehr erinnern, ob ihm das Baby heruntergefallen sei oder ob er mit dem Baby gestürzt sei, so Gaußmann. Nachdem er beim Kind eine Verletzung am Auge gesehen habe, habe er dann die Hebamme kontaktiert.

„Ich habe mein Kind nicht mehr erkannt“

Als erste Zeugin sagte die Mutter des kleinen Baby aus. Der gemeinsame Sohn war am 25. Oktober 2019 per Kaiserschnitt auf die Welt gekommen. Am 31. Oktober konnten beide das Krankenhaus verlassen. Da jedoch die Kaiserschnittnarbe Probleme machte, musste die heute 36-Jährige am 6. November ins Krankenhaus, mehrfach musste sie operiert werden. Die beiden Kinder des Paares – das Neugeborene und der zwei Jahre ältere Bruder– blieben währenddessen beim Vater. Ab dem 1. November besuchte eine Hebamme die Familie, um die Nachsorge nach der Geburt zu übernehmen. Die Kindsmutter berichtete, man habe während ihres Krankhausaufenthalts bereits mit der Koordinierten Kinderschutzstelle, kurz „KoKi“, Kontakt gehabt, um Hilfe für den zweifachen Vater zu organisieren, zehn Stunden waren wohl zugesagt – ab dem 18. November sollte jemand für zehn Stunden in der Woche in die Familie kommen. Das sei ihr als zu wenig vorgekommen, am 18. November habe sie deshalb nochmals mit „KoKi“ telefonieren wollen, „aber dazu kam es ja nicht mehr“, sagte die 36-Jährige, die sich vor Gericht sehr zusammenreißen musste, um ruhig zu bleiben. Am 17. November sei sie mittags nach einer OP kurz aufgewacht und habe mehrere Nachrichten auf ihrem Handy registriert, erst nach 13 Uhr habe sie dann die Mailbox nochmals abgehört und von einem Arzt der Hedwigsklinik in Regensburg erfahren, dass ihr Sohn schwer verletzt sei. Der Angeklagte habe dann auf ihre Nachfrage hin erklärt, ihm sei das Fläschchen aus der Hand gefallen und habe das Kind getroffen. Sie selbst habe dann Fotos des verletzten Kindes gesehen – „ich habe mein Kind nicht mehr erkannt“, sagte sie vor Gericht.

Wie schwer die Folgen für den heute fast neun Monate alten Jungen sein werden, sie aktuell noch nicht absehbar. Einige neurologische Defizite seien vorhanden, das Kind sei sehr lichtempfindlich, „aber er ist ein Kämpfer“, so die Mutter. „Ich hoffe, dass ihm nichts geblieben ist, aber ich weiß es nicht!“ Wissen wird man es erst in zwei bis drei Jahren. Auch der ältere Bruder – heute fast drei Jahre alt leide unter der Situation. Er habe Angst im Dunkeln und Probleme beim Einschlafen. Offenbar habe er auch etwas gesehen – „Papa Baby patsch patsch“, soll er seiner Mutter erzählt haben.

An sich sei ihr Lebensgefährte ein „netter Kerl, liebevoll, fürsorglich“, so die 36-Jährige. Er sei auch ein guter Vater gewesen. Die Frage, ob sie ihm eine solche Tat zutraue, konnte sie nur schwer beantworten, hier sei sie sehr zwiegespalten.

Hebamme schöpfte keinen Verdacht

Im Anschluss wurde die Aussage der betreuenden Hebamme, die diese am 11. Dezember 2019 bei der Polizei gemacht hatte, verlesen. Sie habe das Baby das erste Mal am 1. November 2019 gesehen. Am 11. November – da lag die Mutter im Krankenhaus – habe sie blaue Flecken im Gesicht des Babys bemerkt. Diese seien, das habe ihr der Vater erklärt, beim Spielen entstanden, als der große Bruder etwas zu stürmisch war. Zu diesem Zeitpunkt habe sie keinen Verdacht geschöpft. Am 17. November 2019 habe der Vater sie morgens angerufen. Gegen 9.30 Uhr habe sie zurückgerufen und von dem blauen Fleck am Auge erfahren, der angeblich durch das heruntergefallene Fläschchen entstanden sein soll. Sie habe dann angeregt, mit dem Kind ins Krankenhaus zu fahren. Auch hier habe sie noch keinen Verdacht geschöpft. Erst als die den Arztbrief gelesen und ein Foto des verletzten Kindes gesehen hatte, habe sie das Ausmaß erkannt, „etwas so Schlimmes habe ich in meinem ganzen Leben als Hebamme noch nie gesehen“, so die Aussage bei der Polizei.

Psychiatrisches Gutachten angeordnet

In einer Verhandlungspause zeigte sich der Angeklagte nun doch bereit, sich psychiatrisch untersuchen zu lassen. Ein Psychologe soll zudem den Grad einer Intelligenzminderung feststellen – der Angeklagte arbeitet in einer Werkstätte für Menschen mit Handicap. Diese Exploration soll bereits kommende Woche stattfinden. Die Ergebnisse könnten dann bereits beim nächsten regulären Prozesstag am Montag, 27. Juli, eine Rolle spielen.

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