Kein Freispruch „erster Klasse“
Zweifel an Missbrauchsvorwürfen gegen Wartenberger Vater (43)

21.11.2017 | Stand 04.08.2023, 1:30 Uhr
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Aussagepsychologische Gutachten ließen das Verfahren in einem anderen Licht erscheinen

WARTENBERG/LANDSHUT Nach nur einem Sitzungstag vor der Jugendkammer des Landshuter Landgerichts überraschte bei der Neuauflage des Missbrauchsprozesses gegen einen Wartenberger Vater (43) der am Ende verkündete Freispruch nicht. Bereits vor zwei Jahren hatte der 43-Jährige erstmals auf der Anklagebank vor der Jugendkammer gesessen.

Vorgeworfen wurden ihm mehrfache Fälle des sexuellen und schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern sowie sechs Fälle des sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen. Die Anklage ging davon aus, dass er seine eigene, inzwischen 22-jährige Tochter ab deren achtem Lebensjahr regelmäßig sexuell missbraucht habe. Die Intensität der sexuellen Übergriffe soll sich im Lauf der Jahre kontinuierlich bis zum Geschlechtsverkehr gesteigert haben.

In einem weiteren Anklagekomplex wurde dem Wartenberger vorgeworfen, zunächst bei einem Ausflug im Jahr 2004 auch die damals zehnjährige Stiefschwester seiner Tochter begrapscht und später auch in seiner Wohnung sexuelle Handlungen vorgenommen zu haben.

Der 43-Jährige hatte die Vorwürfe bereits vor zwei Jahren vehement bestritten, sodass eine langwierige Beweisaufnahme notwendig wurde. Dabei tauchten erhebliche Probleme auf: Bei der Vernehmung der damals 20-jährigen hochschwangeren Tochter klang an, dass bei ihr ein Borderlinesyndrom vorliegen könnte und möglicherweise Missbrauchsschilderungen von einem der angeblichen Opfer auf das andere „projiziert“ wurden.

Dazu kam, dass sich im familiären Umfeld regelrechte Missbrauchs-Abgründe auftraten. So war beispielsweise der leibliche Vater eines der beiden Opfer 2013 vom Amtsgericht Freising wegen sexuellen Missbrauchs seiner eigenen Tochter verurteilt worden. In Zeugenaussagen kam weiter zur Sprache, dass die inzwischen 23-Jährige auch von einem Onkel missbraucht worden sein soll. Damit noch nicht genug: Eine weitere Halbschwester bzw. Schwester der jungen Frauen soll ebenfalls Opfer sexuellen Missbrauchs geworden sein.

In diesem Stadium der Beweisaufnahme wurde der Prozess vor zwei Jahren ausgesetzt und von der Jugendkammer die Einholung von aussagepsychologischen Gutachten – also Glaubwürdigkeitsgutachten – für die beiden Hauptbelastungszeuginnen in die Wege geleitet. Um dieses entscheidende Gutachten gab es dann einen juristischen Schlagabtausch. Rechtsanwältin Dr. Gabriele Schöch, die die Tochter vertrat, forderte den Ausschluss der Öffentlichkeit, da schutzwürdige Interessen aus dem Lebensbereich ihrer Mandantin erörtert würden. Staatsanwalt Gerald Siegl schloss sich ihr an. Dagegen wandten sich die Verteidiger des Angeklagten, Dr. Alexander Stevens und Stephan Lucas. Sie argumentierten, dass das Verfahren durch die schweren Vorwürfe der Tochter losgetreten und damit ihr Mandant „beschmutzt“ worden sei. Er habe sich dreieinhalb Jahre mit den Vorwürfen konfrontiert gesehen, ihm müsse jetzt die Chance einer öffentlichen Rehabilitation gegeben werden. Dabei spiele das Gutachten, das sehr kritisch mit den Aussagen der angeblichen Opfer umgehe, eine wichtige Rolle. Die Kammer ordnete für die von Diplom-Psychologin Dr. Sandra Loohs erstatteten Gutachten den Ausschluss der Öffentlichkeit an. Damit gingen auch die Plädoyers nicht öffentlich über die Bühne, wobei nicht nur die Verteidiger, sondern auch Staatsanwalt Siegl Freisprüche beantragten.

Diese verkündete die Jugendkammer dann auch. In der Begründung führte Vorsitzender Richter Oliver Dopheide aus, es spreche zwar viel dafür, dass etwas dran sein könnte, wenn Beschuldigungen von zwei voneinander unabhängigen Personen kämen. Aber in jedem Fall habe Aussage gegen Aussage gestanden, sodass die Kammer intensiv prüfen musste, wie belastbar die Angaben der Frauen seien. Das beauftragte Gutachten habe ergeben, dass bei einer der Frauen kaum mehr Erinnerungen an das angebliche Tatgeschehen vor ihrem 14. Lebensjahr vorhanden seien. Problematisch sei bei ihr auch die Aussageentstehung: Sie habe sich ihrem Freund offenbart, als der sich von ihr trennen wollte. Bei der zweiten Zeugin habe eine Fremdquellen-Problematik im Raum gestanden. Es hätten andere Missbrauchsfälle im Familien-Umfeld im Raum gestanden, zu denen es auffällige Übereinstimmungen und damit mögliche Suggestivprozesse gegeben habe. Auf eine weitere Beweisaufnahme habe die Kammer verzichtet, so der Vorsitzende, sie hätte nur auf beiden Seiten Schaden hinterlassen. Die Aussagen der Frauen – auch bei der Gutachterin – hätten einen Schuldnachweis nicht erbracht, deshalb sei Freispruch erfolgt. -ws-

Erding