Rote Liste
Der Mann und das Moos – ein Regensburger hütet die Artenvielfalt

03.03.2019 | Stand 13.09.2023, 6:48 Uhr
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Artenvielfalt ist in aller Munde, doch getan wird wenig – ein Lehrer aus Regensburg tritt dem entgegen.

REGENSBURG Während andere Fußball gucken, ins Fitnessstudio rennen oder Golf spielen, widmet sich Oliver Dürhammer seiner Leidenschaft: den Moosen und Flechten. Der Regensburger koordiniert deutschlandweit die Rote Liste, die aufzeigt, wie vielfältig die Natur in dieser biologischen Nische noch ist. Wer glaubt, das sei eine recht fade Angelegenheit, der hat noch nicht mit dem Bio- und Chemielehrer gesprochen. „Viele Menschen leben entfremdet von der Natur, haben aber gleichzeitig eine Sehnsucht danach.“ Und genau diese Sehnsucht weckt Dürhammer auch, wenn er seinen Schülern an der Privatschule Piendl die Natur leidenschaftlich näher bringt.

Artenschutz ist derzeit in aller Munde: In München tagt, nach erfolgreichem Volksbegehren, ein „Runder Tisch“ zum Thema. Und als Anfang Februar eine Initiative namens „Fridays for Future“ in Regensburg zur Klima-Demo aufrief, schwänzten 1.000 Schüler die Schule.

Dabei ist Dürhammer kein Fundamentalist. „Ich fahre viel Fahrrad, versuche, wenig Fleisch zu essen und habe natürlich einen Garten“, so der Forscher. 15 Jahre lang lehrte Dürhammer an der Universität. Dann wechselte er ins Lehramt. Denn Artenvielfalt ist etwas, das an den Universitäten nicht mehr schick ist. „Da zählt nur Mikrobiologie oder Genetik, Moose und Flechten sind da altmodisch.“ Das ist auch der Grund, warum die „Rote Liste“ zwar vom Landesamt für Umwelt geführt wird, Dürhammer diese als Privatmann pflegt – und auf die Mitarbeit von hunderten Naturfreunden angewiesen ist, die ihm Daten aus ganz Deutschland liefern. Das ist auch der Grund, warum die inzwischen berühmte „Krefelder Studie“ zum Insektensterben von Privatleuten durchgeführt wurde. „Es gibt ganze Arten, für die gibt es weltweit keinen einzigen Experten mehr“, bedauert der Lehrer.

Mit großer Begeisterung erzählt er von einer Welt, die oft im Verborgenen gedeiht – oder vielmehr: schrumpft. Von Mooren, die der Mensch zunehmend trockenlegt. Und von der Landwirtschaft, die Teil des Problems ist, dass die Arten abnehmen. 1.200 Moose gibt es in Deutschland, allein 1.000 davon in Bayern. Knapp 40 Prozent stehen auf der Roten Liste. Doch das hat nicht immer nur mit extensiver Landwirtschaft oder Bodenversiegelung zu tun: „Einige Arten sind sehr häufig, andere, die nur in Nischen wachsen, sind seit jeher rar.“ Doch der Klimawandel etwa hat direkte Auswirkungen auf die Präsenz der Moose und Flechten: „Die Klimazonen, in denen sie gedeihen, wandern immer weiter nach oben.“

Und dennoch, eines möchte Dürhammer klarstellen: „Bayern hat die besten Umweltgesetze in Deutschland und auch in Europa.“ In Bayern werde viel dafür getan, dass das Artensterben nicht existenzbedrohend wird. Apokalyptiker wie viele andere, die vor Klimakatastrophen warnen, ist Dürhammer auch nicht. „Wir wissen nicht, wann das System kippt, dazu ist es viel zu komplex.“ Und auch die Extreme lehnt er ab, die gerade in der Umweltbewegung häufig auftreten: „Ich halte wenig von Veganismus. Der Mensch ist ein Allesfresser.“ Was aber nicht bedeute, dass man durch Verzicht nicht auch seinen Beitrag dazu leisten kann, dass die Natur nicht weiter zerstört wird. „Ich bin ein Grüner auf Basis der Faktenlage, nicht der Politik“, sagt er auch.

Dürhammer sitzt auch mal in einem Flugzeug, wenn er sich etwa auf Island eine faszinierende Welt ansieht. „Darauf will ich nicht verzichten“, sagt er. Und auch für die Landwirte hat der Umweltschützer freundliche Worte: „Noch vor 100 Jahren hat ein Bauer zehn Menschen ernährt, heute ernährt ein Landwirt 150 Menschen.“ Die Leistungen der Landwirtschaft sind für ihn beeindruckend – doch andererseits geht das auch zu Lasten der Umwelt. „Es gibt in Deutschland drei Zonen, die relativ arm an Arten sind: Das ist der Ruhrpott, das sind die landwirtschaftlich extrem genutzten Regionen in Brandenburg, wo riesige Flächen mit Monokulturen überzogen sind – und das ist der Gäuboden zwischen Regensburg und Straubing.“ Dabei, so schränkt Dürhammer ein, ist die Umgebung von Regensburg selbst faszinierend, weil hier so viele Zonen aufeinander treffen. Das Jura beispielsweise. „Es ist nicht verwunderlich, dass David Hoppe 1790 die erste Botanische Gesellschaft Deutschlands in Regensburg gründete“, erzählt der Lehrer. Noch heute erinnert daran der Felsen am Max-Schultze-Steig, ein zwölf Hektar großes Areal mit wunderbarem Ausblick, das unter Naturschutz steht.

„Wir sollten mehr Geld für Nahrungsmittel ausgeben“

Die Forderung aus dem Volksbegehren Artenschutz, 30 Prozent der Landwirtschaft auf Bio umzustellen, hält Dürhammer für nachvollziehbar – er sagt aber auch: „Die Verbraucher müssen mehr Geld für Nahrungsmittel ausgeben, anders geht es nicht.“ Die extensive Landwirtschaft mit viel Chemie gehe eben zu Lasten der Arten. „Wo keine Hecke mehr ist, da kann sich auch kein Vogel mehr einnisten.“ Für Dürhammer ist es die wunderbare Welt der Moose und Flechten, die ihm ein Universum eröffneten, das zeigt: Alles hängt eben mit allem zusammen. Grade in der Natur.

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