Brief an Söder
Hochwasser-Polder – Bürger werfen Politik unsachliche Argumente vor

30.12.2018 | Stand 31.07.2023, 19:46 Uhr
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Die IG Polder aus dem Landkreis Regensburg hat sich an den Ministerpräsidenten Markus Söder sowie mehrere Minister und CSU-Landräte, etwa den Deggendorfer Landrat Christian Bernreiter gewandt, und diese dazu aufgefordert, in Sachen Flutpolder-Debatte wieder die Fakten zur Kenntnis zu nehmen. Der neue Vorsitzende des Europaausschusses, Tobias Gotthardt (Freie Wähler) unterstützt die Bürger aus dem Landkreis dabei.

REGENSBURG Volle Unterstützung für Stefan Kramer und die IG Flutpolder im Landkreis Regensburg: Nach deren offenem Brief an Ministerpräsident, Ressortminister und Fraktionsvorsitzende stellt Tobias Gotthardt, Landtagsabgeordneter der Freien Wähler, sich hinter das Schreiben. „Der Brief bringt die Fakten auf den Tisch, erwidert offensichtliche Falschaussagen sachlich und liefert eine neue, notwendige Tiefe in der politischen Debatte.“ Gotthardt erneuert in diesem Zusammenhang seine Kritik am Deggendorfer Landrat Christian Bernreiter: „Sein Polder-Gepolter hilft niemand. Ich wünschte mir, er und andere hätten in den vergangenen Jahren mit selber Leidenschaft für den Hochwasserschutz unterhalb Straubings gekämpft“. Dass dort aktuell lediglich der Schutzstatus HQ30 bestehe, „gehört zur Faktenlage. Da wurde viel versäumt.“ Ansonsten, so Gotthardt, „haben wir alle ein Ziel und keine Zeit mehr zu verlieren: Die festgefahrene, ideologische Polderdebatte blockiert sinnvollen Hochwasserschutz seit über einem Jahrzehnt – ihr Ende ist eigentlich ein Anfang.“ Die Reduzierung der Hochwasserdebatte auf Polder nennt Gotthardt dagegen „eine gefährliche Sackgasse“. Vielmehr müsse es darum gehen, sämtliche Maßnahmen in den Fokus zu nehmen, „die den niederbayerischen Freunden bei der nächsten Extremlage helfen – am besten ab morgen.“ Gotthardt setzt dabei „auf dezentralen Rückhalt und das Potential des Staustufenmanagements: Die ausgebaute Donau ist sich selbst ein guter Polder.“

Für den Landtagsabgeordneten ist klar – was im Koalitionsvertrag festgehalten wurde, ist einzuhalten: „Da steht, dass wir Bayern hochwasserfest machen. Und da steht, dass wir das Flutpolderkonzept ohne die Standorte Bertholdsheim und Eltheim/Wörthhof weiter verfolgen. Beides macht Sinn, beides ist vereinbart. Da steht die CSU in der Verantwortung.“ Auch Landrat Bernreiter habe dem im CSU-Landesvorstand zugestimmt: „Das Nein zum Polder ist auch ein einstimmiges Nein der CSU. Punkt.“ Und beim k.o.-Kriterium etwaiger Negativfolgen im Poldergebiet hätten „Söder und Seehofer sogar das Copyright – und auch daran muss man in der aktuellen Debatte erinnern: Droht eine Verschlechterung der ohnehin angespannten Grundwassersituation, werden die Polder nicht gebaut – so lautet das Versprechen der CSU.“

Geradezu nervig sei „der zuletzt zunehmend in Umlauf gebrachte Quatsch: Das Nein zum Polder ist doch kein willkürliches Aiwanger-Stierstorfer-Schweiger-Gotthardt-Nein, kein oberpfälzer Füracker-Dagegen. Es ist ein klares, faktenbasiertes Nein der neuen Staatsregierung.“ Umso erstaunlicher sei es, „wie im aktuellen Polder-Gepolter jede Sachlichkeit baden geht und bewusst gestreute Halbwahrheiten die sachliche Debatte in alternativen Wahrheiten ertränken“. Dass der Rest der CSU dies „aktuell so schweigend hinnimmt“, ist für Gotthardt „unverständlich bis befremdlich: pacta sunt servanda. Ja, das gilt auch für die CSU.“

Stefan Kramer habe vollkommen Recht, wenn er die jetzt laufende Debatte als „unsachlich, mit Fehlern behaftet und spalterisch“ bezeichne: „Die Solidarität fehlt nicht im Landkreis Regensburg, nicht bei den Poldergegnern: Unsolidarisch ist das, was einzelne CSU-Politiker aktuell treiben – offensichtlich auch, um von eigenen Versäumnissen abzulenken: Marode Dämme aus der Vorkriegszeit, fehlende Schutzmaßnahmen bei Fischerdorf und vieles mehr.“ Dabei gehe es aber nicht darum, „das kindische Spiel des Fingerzeigens mitzuspielen: Wir Poldergegner argumentieren sachlich, belegen wissenschaftlich und liefern Alternativmodelle: Unser Bekenntnis zum hochwasserfreien Bayern steht!“

Gerade im Landkreis Regensburg habe man sich – „Schulter an Schulter mit den Bürgerinitiativen“ – von Anfang an um diese sachliche Debatte bemüht. Dies zeigten auch der von Landrätin Tanja Schweiger eingesetzte Polderbeauftragte Harald Hillebrand sowie der vom Landratsamt eingeschaltene Hochwasserexperte Prof. Andreas Malcherek von der Bundeswehr-Universität in München: „All das war Fleißarbeit im Sinne einer sachlichen Debatte. Wir haben geliefert.“ Entsprechend begründet sei auch die im Koalitionsvertrag vereinbarte Herausnahme der drei Polder.

Zur sachlichen Debatte, so Gotthardt, gehöre auch, „dass wir unsere Betroffenheit zum Ausdruck bringen: Den Menschen im Regensburger Poldergebiet steht das Wasser schon heute – bildhaft gesprochen - bis zur Kellerkante. Da ist kein Spielraum für Verschlechterung.“ Zudem störe ihn die „Reduzierung der Debatte auf die Donau: Passaus großer Gegner ist der Inn!“

„Irreführend“ nennt Gotthardt „den von den Befürwortern erweckten Eindruck, die Polder könnten zeitnah helfen, Hochwasser abzufedern: Wir haben noch kein Planungsverfahren, nichts – vor 2040 wird keiner der diskutierten Polder irgendeinen Tropfen Donauwasser auffangen!“ Die Tatsache, „dass Einzelne – auch verantwortliche Beamte - sich in der Hochwasserdebatte am Polder festgebissen haben, blockiert echten Hochwasserschutz statt ihn zu fördern: Polder sind und bleiben ein Stück weit technisches Glücksspiel. Kein Polder bietet garantierte Sicherheit flussabwärts!“ Kramer habe vollkommen Recht, wenn er daran erinnere, „dass wir seit vierzig Jahren die Regulierbarkeit der Donau – gerade an ihren Staustufen – diskutieren. Nochmal vierzig Jahre können wir uns nicht leisten.“ Und, mit Blick auf die an den Staustufen erzeugte Energie: „Der Schutz der Bürger steht bei Hochwassergefahr weit über dem Profit der Kraftwerksbetreiber. Die Verträge hätte man lange schon abändern können.“

Gotthardt kritisiert den „politischen Tunnelblick Einzelner. Der verbissene Fokus auf die Polder nimmt anderen Projekten das Licht: Durch Staustufenabsenkungen mit Augenmaß könnten wir schon morgen Platz für über 20 Millionen Kubikmeter Hochwasser schaffen – ohne einen Kubikmeter Erde bewegen zu müssen.“ Und auch das Modell der dritten Deichlinie innerhalb der Donau sei „nie wirklich geprüft worden: Die Schifffahrt braucht weniger als 70 Meter – in Kiefenholz hat die Donau bis zu 300 Meter. Das ist insgesamt großer, technischer Spielraum – den sollten wir nutzen. Lieber heut als morgen.“

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