Neues Gesetz
Klagewelle rollt auf die Krankenhäuser zu – die Sozialgerichte sind auf Anschlag

06.12.2018 | Stand 13.09.2023, 1:49 Uhr
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Das Pflegestärkungsgesetz tritt am 1. Januar 2019 in Kraft – verbunden ist es mit einer Fristverkürzung für Klagen gegen Abrechnungen von Krankenhäusern. Die Sozialgerichte sind auf Anschlag.

REGENSBURG Der Gesetzgeber ist oft die Kraft, die Gutes will – und dabei Schlechtes schafft. Zumindest müssen das die Sozialrichter in Bayern so empfinden und auch ihre Kollegen im Bundesgebiet sehen sich einer nie dagewesenen Klageflut gegenüber. Kaum ein Sozialgericht in Deutschland weiß, wie sie diese Flut bewältigen soll – allein in Bayern sind bisher 14.000 Klagen eingegangen. Allesamt richten sie sich gegen die Abrechnungen von „Fällen“, wie die Behandlung von Patienten seit der Einführung der Fallpauschalen genannt wird. Und: Sie umfassen keineswegs jeweils nicht nur einen Patienten, sondern können viele dutzende beinhalten. Aus den 14.000 Klagen werden also schnell zigtausende Fälle, die Sozialrichter einzeln prüfen müssen.

Hintergrund für die Klageflut ist das neue Pflegestärkungsgesetz, das unter dem Gesundheitsminister Jens Spahn ab 1. Januar 2019 greifen soll. Der CDU-Mann und Aspirant auf die Nachfolge von Angela Merkel wollte mit seinem Gesetz eigentlich die Krankenhäuser stärken, indem er die Pflegeversorgung stärker in den Fokus nahm. Gleichzeitig verkürzte der Gesetzgeber aber die Klagefrist für die Krankenkassen, die mit den Krankenhäusern abrechnen. Eigentlich haben die Kassen vier Jahre Zeit, die Abrechnungen anzuzweifeln – und gegebenenfalls auch juristisch anzugreifen. Doch diese Frist wurde nun auf zwei Jahre verkürzt – mit Folgen.

Allein am für den Raum Ingolstadt zuständigen Sozialgericht München sind nach Angaben eines Sprechers 6.200 Klagen eingegangen. „Weil oftmals die Angelegenheiten mehrerer Patienten in einer Klage gebündelt sind, wird es durch entsprechende Aufspaltung zu einer noch größeren Fallzahl kommen“, sagt Andreas Knipping, Richter am Sozialgericht München und dessen Sprecher. „Zur Proportion: Ein typischer Eingang des Sozialgerichts München in einem ganzen Jahr in allen Fachgebieten beträgt etwa 12.000 Fälle“, so Knipping. Und weiter: „Wir haben also eine halbe Jahresarbeit zusätzlich zu meistern.“

Auch das für Niederbayern zuständige Sozialgericht Landshut ächzt unter einer Klageflut. 1.200 Klagen sind es hier, berichtet Richterin Marianne Rittmaier, Sprecherin der Behörde. In Landshut hat man bereits reagiert: „Der hiesige Klageeingangsbereich wurde personell verstärkt, so dass die rein formale Erstbearbeitung – also Aktenanlage, Eingangsbestätigungen und so weiter – bereits nahezu abgeschlossen ist“, so Rittmaier.

Genaues Ausmaß ist noch nicht abschätzbar

Im richterlichen Bereich führe diese hohe Anzahl von Klagen „ebenfalls zu einer Mehrbelastung, wobei das genaue Ausmaß derzeit nicht abschätzbar ist. Da die Klagen letztlich von den Krankenkassen nur zur Anspruchserhaltung und Verjährungshemmung erhoben wurden, ist derzeit unklar, wie viel Klageforderungen letztlich zwischen den Krankenkassen und den Krankenhäusern streitig bleiben bzw. wie viele Klagen sich im Verlauf durch eine Einigung zwischen den Beteiligten erledigen werden“, so Rittmaier weiter. Auch am Sozialgericht Regensburg sind zahlreiche Klagen eingegangen. Wilfried Porzner, Vizepräsident des Sozialgerichts, sagt allerdings: „Die Gesamtzahl der beim Sozialgericht Regensburg eingegangenen Verfahren lässt sich auch nur schätzen.“ Etwa 1.000 substantielle Klagen seien es, bei etwa 1.000 weiteren Verfahren gehe man davon aus, dass es sich lediglich um Einreichungen der Kassen zur Fristwahrung handelt. Diese würden dann später noch mit konkreten Forderungen unterlegt. „Es können aber auch mehr sein“, so Porzner. Für das Sozialgericht Regensburg stelle dieser Klageeingang „eine Herausforderung dar. Zum Vergleich: Von Januar bis Ende Oktober diesen Jahres hatte das Sozialgericht Regensburg insgesamt einen Eingang von 3.500 Verfahren zu verzeichnen.“ Für die Krankenkassen geht es um viel Geld. Wenn sie nicht bis zum Ablauf der Frist Anfang November Klage eingereicht haben, verfallen Ansprüche aus möglicherweise falschen Abrechnungen bis Ende 2017. Es geht angeblich um 300 Millionen Euro, die für die Kassen im Feuer stehen. Einerseits viel Geld – doch wie die Sozialgerichte die Verfahren abarbeiten können, weiß niemand. Sprecher Knipping sagt lapidar: „Wie das personell und räumlich bewältigt werden soll, ist noch völlig offen.“

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