Welterbe Regensburg
„Freilichtmuseum mit hoher Kneipendichte“

09.10.2018 | Stand 13.09.2023, 0:50 Uhr
−Foto: n/a

Gut gemeint, aber schlecht gemacht? In Regensburgs Altstadt ist ein Streit ausgebrochen über die Sanierung einer der ältesten Straßen Bayerns. Die Anwohner sagen, Sitzbänke würde das Party-Volk dazu animieren, nachts laute Trinkgelage zu veranstalten. Die Stadt reagiert – nicht.

REGENSBURG Die Altstadt an der Donau ist legendär: Die zweithöchste Kneipendichte Deutschlands hinter Köln attestieren regelmäßig Blätter, die für Studenten gemacht sind. 32.000 davon gibt es derzeit in Regensburg, die Stadt gilt als Kneipenparadies mit überschaubarer Größe, einem geschlossenen Campus, lange Wege wie in München bleiben also aus. Zudem ist der Immobilien-Markt so überhitzt, dass sich mancher Familienvater ein Appartement kauft, das zwar viel Geld kostet, aber nach dem Studium des Filius locker vermietet werden kann.

Gerade das geschützte Welterbe mit Stadtamhof und Altstadt leidet aber zusehends an „Gentrifizierung“ und Party-Wahnsinn. Initiativen haben sich gegründet, um zu verhindern, dass Regensburg endgültig zum Freilicht-Museum mit Gastro-Großangebot wird.

Kein Wunder also, dass eine Online-Petition derzeit ein gut gemeintes, aber für viele Anwohner schlecht gemachtes Sanierungsprogramm für eine der ältesten Straßen Bayerns scharf angreift. Es geht um die Wahlenstraße, benannt ist sie nach den „Welschen“, so hießen im Mittelalter Menschen, die aus dem heutigen Italien kamen. Es waren wohl Händler. Heute mischen sich studentische Mieter und Einheimische in den oberen Stockwerken mit kleinen Geschäften. Sogar Kuckucksuhren werden hier angepriesen als „typisch bayerisches Souvenir“ für die vielen Kreuzfahrt-Touristen.

Johanna Weighart ist eine dieser Alteingesessenen. Sie hat nun zusammen mit Mitstreitern eine Unterschriftenliste abgegeben. 472 Menschen unterschrieben, nicht wenig, wenn man bedenkt, dass es nur um eine Straße geht. „Die Bewohner der Altstadt haben unter massivem Lärmzuwachs zu leiden und möchten an Ihre Verantwortung als Stadtoberhaupt gegenüber den Bürgern appellieren, diesen Tendenzen gegenzusteuern und sie nicht zusätzlich zu befeuern“, schreib Weighart der Bürgermeisterin Gertrud Maltz-Schwarzfischer. Die hatte erst im November einen Termin frei, obwohl die Wahlenstraße genau gegenüber ihrem Büro im Alten Rathaus liegt.

Stein des Anstoßes ist das Sanierungskonzept: Es sieht vor, dass man statt der Bordsteine, die in den 70er Jahren Alststädte mit Fußgängerzonen prägten, eine einheitliche Oberfläche macht. Gleichzeitig aber versucht man durch Sitzbänke zu verhindern, dass Menschen mit Sehbehinderung quasi den fließenden Verkehr übersehen.

Die Stadt argumentiert, man wolle ja gerade mit „konsumfreien Sitzgelegenheiten“ die Situation entzerren, wonach man sich in der Altstadt in die immer teureren Gastronomien niederlassen muss. Die Halbe Bier kostet beispielsweise im „Hans im Glück“, einem der vielen neuen Burger-Restaurants, knapp vier Euro. Genau deswegen befürchten die Anwohner ja, dass die neuen Sitzbänke für jene Nachtschwärmer zum „Hotspot“ werden, die sich ihre Halbe im Supermarkt kaufen.

Bei der Stadt wirkt man völlig überrascht, dass man gegen die Neugestaltung der Wahlenstraße jetzt mit Anwohner-Protest konfrontiert ist. Doch die Politik hat die Altstadt längst als Spielwiese entdeckt, in der man Symbolpolitik durchsetzen kann. So gibt es seit mehreren Monaten eine Umweltzone in Regensburg, allerdings spart die faktisch eine der meistbefahrensten Straßen der Stadt, die Friedenstraße, völlig aus. In der Altstadt aber, das belegt ein Gutachten, sorgt eine Umweltzone für nur zwei Prozent Verbesserung der Luftqualität. Doch die Altstadt ist zum Brennglas geworden – „wir Altstadt-Anwohner haben keine Lobby“, findet jedenfalls Petitions-Initiatorin Johanna Weingardt.

Regensburg