Nachbar klagt
16-jähriger Russe verschanzt sich im Flüchtlingsheim – „keiner sagte uns, was passiert“

12.04.2018 | Stand 13.09.2023, 7:06 Uhr
−Foto: n/a

Ein 16-jähriger Russe hantierte in einem Asylbewerberheim in der Dieselstraße mit Messern und verschanzt sich. Ein Nachbar schilderte dem Wochenblatt nun, wie er die vier Stunden erlebte – und warum es nur Glück ist, warum nicht noch viel mehr passiert.

REGENSBURG Da stockte so manchem der Atem: Am vergangenen Freitag kam es gegen 12 Uhr mittags zu einem Großeinsatz der Polizei in der Asylbewerberunterkunft in der Dieselstraße. Ein 16-jähriger, offenbar psychisch kranker Russe hatte sich in seinem Zimmer verschanzt, drohte mit Selbstmord. Die Polizei rückte mit dem SEK an, Spezialkräfte redeten mit Übersetzer so lange auf den jungen Mann ein, bis er aufgab.

Das ist die Schilderung der Polizei und unserer Reporter vor Ort. Doch wie hat ein Nachbar des jungen Mannes die Tat erlebt?

Wir treffen den Iraker Ahmed Salah Mezaal, 23, in seinem Zimmer in der Asylunterkunft in der Dieselstraße 3. Wer dort hin will, direkt an die Bahngleise, der fährt an einem Abschiebezentrum vorbei, passiert endlose Reihen ehemaliger Kasernen und jüngst eingerichteter Flüchtlingsunterkünfte. Lager-Atmosphäre pur also.

Die Dieselstraße liegt an den Bahngleisen. Die Gebäude sind brandneu, der Staat versucht, die Flüchtlingskrise, die sich zusehends zur politischen Krise ausgeweitet hatte, mit Geld in den Griff zu bekommen. Der Hausgang ist vollgekritzelt, den vielen Kindern hier ist fad. Draußen werden zwei Sicherheitskräfte nervös, als wir – außerhalb des Geländes natürlich – Fotos machen. Sie sind selbst Migranten, fragen sehr höflich nach dem Presseausweis. Die Fotos verbieten, das trauen sie sich am Ende nicht.

Ahmed ist auch ein freier Mann. Das war er in den letzten beiden Jahren nicht immer. „Ich wurde in Kroatien verhaftet, saß sechs Monate im Gefängnis.“ Als er freigelassen wird, gelingt ihm die Weiterreise nach Italien, auch dort wird er zunächst verhaftet. Irgendwie schafft er es nach Deutschland, stellt einen Asylantrag – der wird abgelehnt, im Irak ist angeblich kein Krieg.

„Ich kenne gar nichts anderes als Krieg“, sagt Ahmed. Als die Amerikaner Sadam Hussein stürzen, ist er acht Jahre alt. Sein Land ist seither im Chaos.

Als am Freitag die Polizei die Dieselstraße stürmt, klopft sie laut an seiner Tür. „Raus, raus hier“, rufen sie. Ahmed weiß zunächst nicht, was los ist. Dann wird er Zeuge, dass sein 16-jähriger Nachbar mit mehreren Messern am Balkon hantiert. „Er hatte etwas aus Plastik um den Bauch gebunden“, erzählt er. Es erinnerte ihn an einen Sprenggürtel. All dies berichtet die Polizei nicht, auch Reporter hält sie fern von der Unterkunft. „Wir waren vier Stunden in einem Raum untergebracht, Kinder waren dabei, es gab keine Erklärung, mit uns wurde nicht gesprochen, die Kinder bekamen nichts zu trinken“, sagt Ahmed. Der junge Iraker ist seit knapp einem Jahr in Deutschland. Er hat gegen seine Ablehnung geklagt. „Ich lerne Deutsch“, sagt er, er spricht wirklich schon gut Deutsch. Er will Pfleger werden, hat sich beim Bezirksklinikum beworben. Jetzt entscheidet ein Gericht. Auf dem Gang seiner Unterkunft leben 18 Nationen zusammen. Der 16-jährige Russe war einer davon. Man kann die Hoffnungslosigkeit förmlich riechen. Ahmed sagt, was er sich wirklich wünscht: „Deutsche Freunde.“ Nur so könne man doch hier ankommen, „oder nicht?“

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