Kein Aufnahme-Stopp
Flüchtlingswelle bei der Regensburger Tafel –„Die Regierung hat versagt“

01.03.2018 | Stand 13.09.2023, 7:00 Uhr
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Aller Augen sind derzeit auf die Tafel in Essen gerichtet. In der vergangenen Woche wurde bekannt, dass dort seit einigen Wochen nur noch Menschen mit deutschem Pass als Neukunden aufgenommen werden. Die Empörung über diese Entscheidung ist groß – und trifft Jörg Sartor, den 61-jährigen Vorsitzenden des Tafelvereins, mit voller Wucht. Bunte „Nazi“-Schriftzüge zieren seit Kurzem seine Tafel-Transporter. Doch wie ist die Situation bei der Regensburger Tafel?

REGENSBURG „Ich kann den Kollegen in Essen verstehen. Er ist sicher kein Nazi, aber seine Kapazitäten waren einfach erschöpft“, erklärt Christine Gansbühler, Vorsitzende der Tafel in Regensburg. Sie ist sicher: „Die Regierung hat versagt und nicht die Tafel.“ Obwohl sie Verständnis für die Entscheidung ihres Kollegen in Essen hat, wäre ein Aufnahmestopp für Flüchtlinge bei der Regensburger Tafel für sie niemals eine Option gewesen – und das, obwohl auch die Regensburger Tafel mit der Flüchtlingswelle zu kämpfen hatte. „Die Flüchtlinge haben uns anfangs fast überrannt. Zu Beginn war es definitiv so, dass unsere Kunden Angst hatten. Aber das ist normal, wenn plötzlich viele Menschen kommen, die man nicht versteht“, erzählt Gansbühler. Hinzu kam aber auch noch eine ganz andere Angst: Vor allem die älteren Menschen fürchteten sich davor, dass die Lebensmittel durch den Flüchtlings-Andrang nicht mehr für alle reichen könnten. Der Neid und die Angst vor einem leeren Einkaufskorb waren damals so groß, dass Christine Gansbühler und ihr Team angefeindet wurden. Den Schriftzug „Ausländer-Hure“ entdeckte sie damals auf ihrem Auto. Sie wurde also ähnlich angefeindet wie ihr Kollege in Essen –jedoch nicht, weil sie einen Aufnahmestopp für Flüchtlinge verhängte, sondern weil sie sie behandelte wie alle anderen auch. Das zeigt für Gansbühler ganz deutlich: Wie man’s macht, macht man’s verkehrt.

Türsteher sorgen bei der Tafel für Ruhe

Sie spürte also die Furcht ihrer Tafel-Kunden und bemerkte bald, dass einige nicht mehr kamen, um ihre Lebensmittel abzuholen. „Wir haben versucht, das in den Griff zu kriegen und haben gegengesteuert“, beschreibt sie heute die Situation. Wenn sich ein Tafel-Kunde daneben benimmt – und dabei spielt die Nationalität keine Rolle – wird der Ausweis, den man zur Abholung von Lebensmitteln benötigt, für vier Wochen eingezogen. Diejenigen, die sich nach den vier Wochen noch immer nicht zu benehmen wissen, müssen dann für immer auf die Tafel verzichten. Außerdem werden die Tafel-Kunden in Nummernblöcke unterteilt und verschiedenen Zeitfenstern zugewiesen. „Wir mischen Flüchtlinge ganz bewusst unter die anderen Tafel-Kunden. Zum einen fördert das die Integration, zum anderen werden Grüppchenbildungen vermieden“, verrät Gansbühler. Wenn die Tafel-Kunden kommen, um Lebensmittel abzuholen, sind außerdem Türsteher zugegen. Sie helfen organisatorisch und sorgen für Ruhe. Wenn das Team merkt, dass sich die Stimmung aufheizt, greift es sofort ein.

Die Maßnahmen haben geholfen, die Situation in den Griff zu bekommen. Die meisten Tafel-Kunden die wegblieben, kommen inzwischen wieder regelmäßig. „Wir behandeln alle Kunden gleich. Damit das Zusammenleben funktioniert, ist eine gewisse Achtung von beiden Seiten nötig“, ist sich Christine Gansbühler sicher.

Christine Gansbühler arbeitet seit 2010 ehrenamtlich bei der Tafel Regensburg. Seit einiger Zeit ist sie die erste Vorsitzende des Vereins. −Foto: vb

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