Schule
Murks zum Schulanfang? Wenn der Knirps künftig zum Fatatak gratuliert

08.07.2017 | Stand 13.09.2023, 1:16 Uhr
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In der Grundschule wird ab diesem Schuljahr ein neuer Lehrplan eingeführt. Das Kultusministerium spricht von einem „Lehrplan plus“. Zukünftig sollen in den Jahrgangsstufen eins und zwei in Grundschulen Eltern und Lehrer gemeinsam entscheiden, ob es noch ein Zwischenzeugnis gibt. Auch der Rotstift ist Tabu. Gut so?

REGENSBURG_25MÜNCHEN Der Brief einer Viertklässlerin zum Vatertag erschütterte die ganze Republik. Die kleine schrieb: „Liba Fata“ – und gratulierte ihm zum „Fatatak“. Weil der „Fata“ Politiker ist, wurde der Fall publik – in Bayern aber dachte man sich: Na gut, die Viertklässlerin ist aus Brandenburg. Was geht uns das an?

Dem „liben Fata“ zum „Fatatak“ gratuliert Viel. Sehr viel sogar. Denn auch in Bayern wird das sogenannte „Schreiben nach Gehör“ seit vergangenem Schuljahr praktiziert. Rotstifte sind erst einmal tabu für die Grundschullehrer. Erst nach und nach werden die Rechtschreibregeln erklärt – nachdem die Kinder erst mal so schreiben, wie sie es für richtig halten. Dieser „Paradigmen-Wechsel“ in den Grundschulklassen war aber erst der Anfang. Denn jetzt kommt der „Lehrplan plus“ – eine Kehrtwende um 180 Grad. Der Frontal-Unterricht soll Vergangenheit sein. Gut so? Helmut Lallinger war mehr als zehn Jahre Grundschulrektor an einer niederbayerischen Schule. In der Brust des Pädagogen, der auch bereits in einer Kultusminister-Komission an Lehrplänen feilte, schlagen zwei Herzen: „Es ist gut so, dass man weg will vom ,Be-Lehren‘ der vergangenen Jahre. Diese Kehrtwende kommt aber viele Jahre zu spät“, findet Lallinger. Gleichzeitig fürchtet der Rektor a.D., dass die Grundschullehrer überhaupt noch nicht vorbereitet sind auf das, was nun von ihnen erwartet wird: Statt sich vorne hinzustellen und ihren Schützlingen vorzubeten, was sie lernen sollen, müssen die sich nun Wissen selbst erarbeiten. Doch wie soll das gehen? Und noch eine Neuerung kommt auf Eltern zu: Das Zwischenzeugnis in den ersten beiden Jahrgangsstufen wird freiwillig – Elternbeirat und Schule können sich einigen darauf, ob sie es noch wollen.

Kultusminister Ludwig Spaenle lobte sich kurz vor Schulbeginn noch selbst für den „Lehrplan plus“. „Mit der neuen Lehrplangeneration wollen wir auch die pädagogische Arbeit an den Schulen aller Schularten stärker aufeinander abstimmen. Damit erhöhen wir die Durchlässigkeit“, betonte Minister Spaenle. Bereitet sich Bayern in naher Zukunft insgeheim auf eine Gemeinschaftsschule vor? Ministeriumssprecher Ludwig Unger indes versichert: „Die Grundschule ist – verzeihen Sie diesen freilich nicht ganz zutreffenden Vergleich aus dem Bauwesen – die feste und zuverlässige Bodenplatte als Fundament für das Bildungshaus der jungen Menschen.“ Einen Richtungswechsel zu Gemeinschaftsschulen sieht Unger „beim besten Willen nicht. Das Gegenteil ist der Fall.“

Derweil sagen Kritiker, dass man doch nicht ausgerechnet bei Fünfjährigen damit anfangen sollte, das alte Paradigma des Frontalunterrichts aufzugeben – sondern lieber in den weiterführenden Schulen. Denn einem Zehnjährigen beizubringen, wie er sich Wissen aneignet, ist sicher sinnvoller als Fünfjährigen. Doch die Erdbeben nach Einführung der sechsstufigen Realschule und dem achtjährigen Gymnasium sitzen den bayerischen Bildungspolitikern noch tief in den Knochen – und bei Grundschülern fehlen vielen Eltern angesichts der steigenden Zahl an Einzelkindern schlicht die Vergleiche.

Lehrer sehen den neuen Lehrplan sehr kritisch Die Grundschullehrer selbst stehen dem neuen Lehrplan äußerst kritisch gegenüber. „Die Kritik hat uns veranlasst, im April 2013 eine Internetbefragung durchzuführen“, sagte Lehrerverbands-Präsident Klaus Wenzel im Juli. An der Befragung beteiligten sich rund 2.500 Grundschullehrerinnen und -lehrer aus ganz Bayern.

53 Prozent der befragten Lehrer sagten, der alte Lehrplan wäre ihnen lieber gewesen. „Wenn der neue Lehrplan ein Erfolg werden soll, dann muss das Kultusministerium auch dafür sorgen, dass alle Grundschullehrerinnen und -lehrer die Rahmenbedingungen vorfinden, die zur Umsetzung eines kompetenzorientierten Lehrplans nötig sind“, so Wenzel.

Auch der frühere Rektor Lallinger sieht riesige Defizite beim Kultusministerium: „Es fehlen beispielsweise noch Kompetenzraster, über die man erfassen kann, wo der Schüler in einzelnen Fähigkeiten eigentlich steht“, schließt der Pädagoge.

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