Katholikentag
Kirche und Missbrauch: "Selbstbefriedigung ist keine Sache für den Beichtstuhl"

08.07.2017 | Stand 13.09.2023, 1:35 Uhr
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Das Thema sexueller Missbrauch in der Kirche ist eines der heißen Eisen am Katholikentag in Regensburg. Der Trierer Bischof Ackermann debattierte mit einem Missbrauchsopfer.

REGENSBURG Die Stimmung ist angespannt im Kolpinghaus, kein Wunder: Das Thema bewegt die Menschen seit 2010. Der Mann, der am Podium steht, ist ein echter Aufklärer, ein mutiger Mann: Pater Klaus Mertes hatte 2010 am Canisius-Kolleg in Berlin 600 Briefe an frühere Schüler geschickt. Darin hat er sich entschuldigt, sollten auch sie Opfer von sexuellem Missbrauch in den 70er und 80er Jahren geworden sein. Mertes hat damit eine Lawine ins Rollen gebracht, die ihm nicht nur Freunde in der Katholischen Kirche einbrachte – viele, auch unter Bischöfen, sahen ihn als Nestbeschmutzer.

Doch am Katholikentag spricht Mertes davon, was geschehen muss, dass die Kirche als Institution künftig nicht mehr von Missbrauchs-Skandalen erschüttert wird. Ja mehr noch: Dass es künftig keine Opfer mehr gibt, die ihr Leben lang an sexuellen Übergriffen leiden, wenn der Täter längst rehabilitiert ist.

Mit am Podium sitzt auch ein Opfer von einst: Matthias Katsch ist Sprecher der Opferinitiative „Eckiger Tisch“. Und er kritisiert einen Kirchenmann scharf, der am Podium sitzt – den Missbrauchsbeauftragten und Trierer Bischof Stephan Ackermann – und einen, der nicht am Podium sitzt: Den früheren Regensburger Bischof Gerhard Ludwig Müller. Letzterer ist heute Kardinal und Chef der Glaubenskongregation, „bei dem die Fäden der Fälle sexuellen Missbrauchs auf der ganzen Welt zusammen laufen.“ Genau das kritisiert Katsch scharf: Schließlich habe Müller selbst einen Fall in seinem Bistum gehabt, mit dem er nicht sauber umgegangen sei. Katsch spricht den Fall Riekofen an. Ein bereits 1999 wegen sexuellem Missbrauch eines Jungen verurteilter Kaplan war später als Pfarrer in Riekofen eingesetzt worden. Dort vergriff er sich schwer sexuell an einem zunächst Elfjährigen und wurde zu drei Jahren Haft verurteilt. Müller war damals vorgeworfen worden, den Priester erneut eingesetzt zu haben – aber auch, den Fall nicht aufgearbeitet, sondern vertuscht zu haben.

Bischof Ackermann kann Katschs Vorwurf gegen Müller nicht teilen. „Ich habe nicht den Eindruck, dass sich etwas am Umgang der Glaubenskongregation mit dem Thema geändert hat, weil Kardinal Müller das Thema nicht so genehm sein könnte“, findet Ackermann. Der Bischof gab zu bedenken, dass auf seinen Schultern „immer zwei Dinge lasten: Einerseits will ich den Opfern aufrichtig zuhören. Andererseits habe ich auch Verantwortung für diejenigen, bei denen wir uns die Frage stellen müssen, was tun wir mit ihnen, wenn sie einen sexuellen Missbrauch begangen haben“, so Ackermann. Der Missbrauchsbeauftragte war scharf kritisiert worden, als er sagte, er könne ja schlecht ein zweites Guantanamo für die Täter einrichten.

Mary Hallay-Witte, Sprecherin der Missbrauchsbeauftragten in den deutschen Diözesen, stellt in ihrer täglichen Arbeit fest, dass es beides gibt – „und zwar oft am gleichen Tag“: Die Mauern der Mächtigen dagegen, Prävention gegen sexuellen Missbrauch wirksam werden zu lassen. Aber auch diejenigen, die offen seien und dadurch „Räume entstehen lassen, die es vorher nicht gab, wo man etwas aussprechen kann, das man vorher vielleicht nicht mal denken konnte.“ Ihr Argument gegen die Mauern der Macht sei stets dieses: „Der Kinder- und Jugendschutz ist unverhandelbar. Es ist ein Menschenrecht“, so die Expertin.

Auch die Präventionsexpertin Barbara Haslbeck sieht das so. Auch wenn sie die Worte des Papstes, sexueller Missbrauch sei wie eine „satanische Messe“, eher kritisch sieht: „Ich habe es nicht so mit dem Satan“, habe Franziskus im Kern recht: „Sexueller Missbrauch ist ein vergehen gegen Christus.“

Der selbst von Missbrauch betroffene Matthias Katsch indes sagt, das Problem des Missbrauchs führe die Kirche auch zu anderen Themen. „Selbstbefriedigung ist kein Thema für den Beichtstuhl“, sagte Katsch provokant. „Auch der Umgang mit Paaren, die nicht nach der Moral der Kirche leben oder der Umgang mit Homosexuellen ist ein Thema des Kinderschutzes“, sagt Katsch. Erst wenn die Kirche hier sich bewege, habe man etwas für den Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexuellem Missbrauch getan. 

Regensburg