Justiz
Versuchter Mord oder "nur" gefährliche Körperverletzung?

07.07.2017 | Stand 02.08.2023, 2:20 Uhr
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Auch beim vierten Prozesstag im Fall der drei angeklagten Siegenburger blieb es spannend. Wieder störte ein Kommentar im Internet die Verhandlung. Zudem bestätigte ein Gutachter, dass "durchaus konkrete Lebensgefahr des Opfers bestand". Die persönliche Verhältnisse aller drei Angeklagten sind äußerst prekär. Staatsanwältin fordert hohe Strafen.

REGENSBURG Gleich am Anfang musste das Opfer aus Siegenburg, das wegen seiner angeblichen Homosexualität von drei jungen Männern zwischen 18 und 24 fast zu Tode geprügelt wurde, erneut vor den Richter.

Opfer ist auf sozialen Medien aktiv

Das Opfer hatte unter einen Internetartikel zu diesem Prozess geschrieben, er hoffe, dass alle drei Täter mindestens zehn Jahre bekämen. Außerdem schrieb er in Richtung des angeklagten Daniel A.: "Er war GENAUSO schlimm wie die Anderen". Das ließ das Gericht natürlich aufhorchen, hatte das Opfer zuvor doch diesen immer entlastet. Doch der Geschädigte begründete es so, dass er damit meinte, Daniel A. sei genauso schlimm, weil er keinen Krankenwagen gerufen hätte.

"Dir wird es nicht mehr lange gut gehen!"

Noch in einer zweiten Sache musste sich das Opfer erklären. Er hatte der Schwester des angeklagten Brüderpaares, Tobias B. und Lothar B., auf Facebook gedroht. So kopierte er einen harmlosen Text auf der Seite der Schwester der Brüder, indem es um belanglose schöne Grüße und so weiter ging, und schrieb darunter: "Dir wird es nicht mehr lange gut gehen!" Die Verteidiger der Brüder fragten ihn, was das solle. Das Opfer begründete sein Posting so, dass er damit meinte, die Schwester wäre dann traurig, wenn ihre Brüder im Gefängnis sitzen würden. Wegen einer Fülle an Bedrohungen und Erpressungen wird sich jetzt auch der Geschädigte noch verantworten müssen.

Gutachter: " Das hätte ganz übel ausgehen können"

Der Gutachter Professor Peter Betz erläuterte dem Gericht die Gefahr des Tottretens: "Durch die Medien ist hinreichend bekannt, dass man jemanden tottreten kann", erklärte er und wollte damit sagen, dass diese Gefahr auch den drei Täter bekannt gewesen sein müsste. Zum Zustand des Opfers und der Gefahr eines Todes sagte er: "Die Gefahr war recht hoch. Das hätte ganz übel ausgehen können." Durch die massiven Schläge und Tritte in das Gesicht seien die Blutungen so stark gewesen, dass ein Ersticken am Blut und/oder die Unterkühlung durch Bewusstlosigkeit als konkrete Gefahren bestanden hätten. Für die Verteidiger der drei Täter sind das allerdings nur "hypothetische Szenarien".

"Hoch prekäre häusliche Situation"

Was dann kam, war ernüchternd. Die persönlichen Verhältnisse aller drei jungen Männer sind äußerst prekär: Alkoholmissbrauch der Eltern und schwere körperliche Züchtigung durch die Väter; zerrüttete Familienverhältnisse; keiner der drei Angeklagten hat einen Quali geschafft, dann folgten abgebrochene Ausbildungen, massiver Alkohol- und Drogenmissbrauch, Arbeitslosigkeit ...

"In Siegenburg ist dann diese sinnlose Scheiße passiert!"

Der psychatrische Gutachter fasste es als "hoch prekäre häusliche Situation zusammen". In seiner Untersuchung der drei Angeklagten sei er auch auf sehr frühen, teils exzessiven Alkohol- und Drogenkonsum, gestoßen. Über Lothar B. sagte er, dieser habe "Wodka wie aus der Wasserflasche getrunken". Der angeklagte Tobias B. habe zu ihm in Bezug auf die Tat gesagt: "In Siegenburg ist dann diese sinnlose Scheiße passiert!" Allen drei Angeklagten rät der Gutachter dringend zu einem Entzug und zu einer Antiagressionstherpie, sonst bestehe das Risiko erneuter Straftaten. Denn das Ausüben von Gewalt sei für sie alltäglich, so der Experte.

Vergleich: 15.000 Euro Schmerzensgeld

Die Anwälte der Angeklagten und der Anwalt des Opfers handelten einen Vergleich in Bezug auf die Höhe des Schmerzensgeldes aus. So müssen die drei Täter dem Geschädigten jeweils 5.000 Euro zahlen.

"Sie haben auch den Tod von Herrn M. in Kauf genommen, davon bin ich überzeugt"

Oberstaatsanwältin Ulrike Klein hielt ein ausführliches Plädoyer, in dem sie darlegte, warum die drei Angeklagten der gefährlichen Körperverletzung und des versuchten Mordes schuldig zu sprechen seien. Besonders könne sie nicht nachvollziehen, warum "einfach mal mitgeschlagen wurde", obwohl es keinen wirklichen Grund gegeben hätte. Sie sagte, dass sie überzeugt sei, dass die Täter auch den Tod des Opfers in Kauf genommen hätten, schließlich hätten sie ihn schwerst verletzt im Winter mitten in der Nacht auf das offene Feld getrieben: "Es war Ihnen schlicht egal was mit ihm passiert!" Die Aussage des Opfers bezeichnete sie im Kern als "absolut glaubwürdig".

Staatsanwaltschaft fordert hohe Strafen

Die Staatsanwältin forderte für den älteren der beiden angeklagten Brüder, Tobias B., der aufgrund seiner Reifeverzögerung zu Jugendstrafrecht zu verurteilen sei, eine Strafe von 7 Jahren und 6 Monaten. Für den 18-jährigen Bruder, Lothar B., fordert sie 4 Jahre und 9 Monate Gefängnis und für Daniel A. fordert sie 7 Jahre Arrest.

Verteidigung: Kein versuchter Mord

Die Verteidigung sah das naturgemäß anders, auch wenn sie die gefährliche Körperverletztung nicht abstreiten können: "Schuld sind unsere Mandanten, die haben ihn durchs Dorf getrieben und schwer verletzt." Allerdings will die Verteidigung den Vorwurf des versuchten Mordes nicht gelten lassen, ja bezeichnet es sogar als "höchste juristische Kunst, hier versuchten Mord vorzuwerfen". Deshalb sei für sie nur gefährliche Körperverletzung zu ahnden, der Verteidiger von Lothar B. forderte für seinen jungen Mandanten sogar nur "elf Monate auf Bewährung".

Letztes Wort der Angeklagten

Zum Schluss hatten die drei Angeklagten das Wort. Alle drei entschuldigen sich bei ihrem Opfer.  Der Jüngste, Lothar B., sagte im Nachsatz etwas treffendes: "Ich weiß, dass es nicht mehr gut zu machen ist".

Urteilsverkündung am Freitag

Am Freitagvormittag, 21. Juni, wird das Urteil am Regensburger Landgericht verkündet. Man darf gespannt sein, wie die Richter, die diesen Prozess bisher mit Bravour meisterten, dann entscheiden werden. Das Wochenblatt verfolgt diesen Prozess weiter und wird das Urteill am Freitag im Internet veröffentlichen.

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