Jahrestag
Nach über 30 Jahren – der Unfall in Tschernobyl wirkt noch immer nach

11.07.2017 | Stand 12.10.2023, 11:49 Uhr
−Foto: n/a

26. April 1986, in Block 4 des Kernkraftwerkes Tschernobyl in der Ukraine kommt es bei einer Simulation zur Katastrophe, der Reaktor explodiert. Bis weit in andere Staaten hinein verteilt sich die radioaktive Wolke, auch Bayern ist stark betroffen. Noch heute sind die Folgen messbar. Am meisten leiden aber die Menschen, die in unmittelbarerer Nähe des Kraftwerkes gelebt haben – und teilweise heute noch leben.

REGENSBURG/IRPEN Über die Zahl der Betroffenen gibt es unterschiedliche Aussagen, etwa 25.000 Menschen, die an Aufräum- und Rettungsarbeiten beteiligt waren, sollen an den direkten Folgen des Unglückes gestorben sein. Viele Tausende aber sind erkrankt – oft an Schilddrüsenkrebs oder anderen Krebsarten.

So wie die heute 38-jährige Yuliia Cherneha aus Irpen. Die Stadt liegt knapp 100 Kilometer südlich von Tschernobyl – und sie hat Leukämie. Eine Krankheit, die nach dem Unglücksfall zugenommen hat, eine genaue Erfassung mit vollständigen Daten gibt es aber nicht.

Yuliia Cherneha ging in die erste Klasse, als der Reaktor explodierte. Der Unfall wurde schnell im Fernsehen und auch im Radio verbreitet, berichtet Yuliia dem Wochenblatt. Erste Reaktion war, dass viele Kinder ihre Heimat verlassen mussten, mit Zügen wurden sie in vermeintlich sicherere Gebiete gebracht. Yuliia kam zur Oma, ihre Schwester in eine Art "Lager", in dem die Kinder betreut wurden. Die große Parade, die in Irpen normalerweise immer am 1. Mai stattfindet, wurde abgesagt, die Menschen sollten in ihren Häusern bleiben. "Man hat es in der Luft gespürt", berichtet Yuliia, "der Staub hat im Hals gekratzt, er hat sich an den Fenstern abgelagert". Ein Ratschlag, der in den Medien verbreitet wurde, war, feuchte Tücher an den Fenstern aufzuhängen. In der Schule gab es für die Kinder eine spezielle Ernährung, man hoffte, so die Radioaktivität wieder aus dem Körper herauszubekommen.

Bei Yuliia half dies alles wenig, am 3. November 2016 wurde Leukämie diagnostiziert, zuvor hatte die Mutter zweier Söhne immer wieder Schilddrüsenprobleme. Und nun gingen die Probleme richtig los: Eine Krankenversicherung gibt es in der Ukraine nicht, berichtet Yuliia, man muss alles privat zahlen. Sehr teuer sei es nicht – aber: Die Behandlung sei schlecht, oft fehlten Betten in den Krankenhäusern, das Personal sei knapp, Medikamente gebe es auch nicht ausreichend. Diese müssten zum Beispiel selbst gekauft und dann ins Krankenhaus mitgebracht werden. Viele Medikamente gibt es auch gar nicht. Auch Blutkonserven bekommt man nur schwer, man braucht Beziehungen und vor allem Geld. Und dann kann man sich nie sicher sein, denn die Konserven werden nur schlecht kontrolliert, die könnten mit HIV oder Hepatitis verseucht sein.

Insgesamt 120.000 Euro hat Yuliia bereits für die Behandlung bezahlt. Unterstützung bekommt sie von ihrer Familie, ihre Schwester lebt in Regensburg – deshalb auch die Wahl eines Krankenhauses in der Stadt. Bei den Barmherzigen wird sie von einer Ärztin betreut, die selbst Russisch spricht, das macht es für Yuliia einfacher, denn sie selbst spricht kein Deutsch. Yuliias Mann war Jurist in der Ukraine, mit dem Beginn des Krieges hat er seinen Job verloren, nun kann sich die Familie nur noch knapp über Wasser halten. So langsam geht das Geld aus, berichtet Yuliia – die Therapie aber ist noch nicht vorbei. Wer Yuliia helfen will, kann sich per Mail an cherneha@gmx.net bei ihr melden.

So wie Yuliia Cherneha geht es vielen Menschen, eine Krebserkrankung wird auf das Unglück an jenem 26. April 1986 zurückgeführt. Und noch heute gibt es einen Sperrbezirk rund um das Kraftwerk, nur sehr kurze Aufenthalte sind dort möglich. Block 4 des Kraftwerkes hat im November 2016 eine neue Schutzhülle bekommen, denn die Unglücksstelle strahlt weiter. Der Beton-Sarkophag, der unmittelbar nach der Katastrophe errichtet worden war, hatte Risse bekommen. Seit 2012 wurde an der neuen Schutzhülle gebaut.

Regensburg