Bericht
,Der Tag, an dem mein Name im Haftbefehl gegen einen Oberbürgermeister auftaucht'

11.07.2017 | Stand 13.09.2023, 6:43 Uhr

In einem persönlichen Einblick hat Wochenblatt-Autor Christian Eckl darüber geschrieben, wie er erfuhr, dass ein Telefonat zwischen ihm und dem Oberbürgermeister Teil des Haftbefehls gegen ihn ist. Bericht über eine Woche, wie sie die Stadt Regensburg wohl noch nie gesehen hat.

REGENSBURG Dienstag, der Tag vor der Verhaftung

Zuletzt habe ich am Tag vor seiner Verhaftung mit ihm gesprochen. Das war am Nachmittag, er erreichte mich am Handy, ich war gerade im Fitnessstudio. Die Ausgabe war bereits in der Druckerei. Wir unterhielten uns, wie so oft in den letzten Wochen und Monaten, darüber, was es Neues geben könnte. Die Süddeutsche Zeitung hat ein Anwaltsschreiben geschickt, möchte mir einen Satz aus meinem Artikel verbieten. Ich schilderte ihm, dass wir uns einen Anwalt genommen haben, ich die Klage gelassen sehe.

Mittwoch, der Tag der Verhaftung

Am nächsten Morgen ist alles anders. „Oberbürgermeister Wolbergs verhaftet?“ meldet die Mittelbayerische Zeitung online. Kollegin Ursula Hildebrand entdeckt sie, es ist Mittwochmorgen, das Wochenblatt ist bereits gedruckt. So eine schöne Zeitung: Kameras einer Regensburger Firma überwachen jetzt die Kölner Domplatte. Ein Interview mit Jahn-Trainer Herrlich. So viele Geschichten drin. Selten war ein Wochenblatt am Mittwoch so uninteressant und überholt wie jetzt – Oberbürgermeister Joachim Wolbergs sitzt in Untersuchungshaft.

Mich trifft es wie ein Schlag.

Ich beginne zu telefonieren. Verdunkelungsgefahr, sagt mir eine Quelle aus dem Rathaus. Oberstaatsanwalt Theo Ziegler, ein höchst integrer Mann, den ich sehr schätze, nimmt meinen Anruf mit einer gewissen Heiterkeit entgegen. „Wir behandeln alle Medien gleich“, sagt er zu mir. Keine Auskunft. „Daran habe ich nie gezweifelt“, entgegne ich ihm. Ein paar Stunden später erfahre ich: Man hat das Telefon von Oberbürgermeister Wolbergs abgehorcht. Teil des Haftbefehls gegen den OB ist ein Telefonat, das ich mit ihm am 30. September 2016 geführt habe. Ich werde wörtlich zitiert. Ich habe geschworen, keine Quellen zu verraten. Informantenschutz nennt man das, es ist das höchste Gut eines Journalisten. Ich würde ins Gefängnis gehen dafür. Die Staatsanwaltschaft meint darin den Versuch zu erkennen, dass auf Zeugen – mich? – eingewirkt werden sollte. Wie absurd.

Die Kollegen aus ganz Deutschland rücken an. „Noch nie dagewesen“, wird es in den Artikeln und Berichten heißen. „Deutschlandweit einmalig.“ Zur Pressekonferenz des Oberstaatsanwalts gehe ich nicht hin. „Die Messe ist gelesen“, fällt mir ein, als ich lese, was die Staatsanwaltschaft nun exakt Wolbergs, aber auch Bauträger Volker Tretzel und seinem früheren Geschäftsführer und heutigen Stadtbau-Leiter Franz W. vorwirft. Es ist ein politisches Erdbeben.

Tretzel soll die Nibelungenkaserne nur bekommen haben, weil er 360.000 Euro an die SPD spendete. Und weil er einmal 1,2 Millionen und einmal 500.000 Euro als Kapitalerhöhung in den Jahn steckte. Ich kenne Tretzel zwischenzeitlich persönlich. Ein Feingeist, Typ Gentleman alter Schule. Ein wenig skurril, aber ein Ganove?

Die weiteren Vorwürfe hauen mich um. Fast 80.000 Euro geldwerten Vorteil sollen Wolbergs oder ihm nahestehende Personen erhalten haben. Ich kannte die Vorwürfe. Ich kenne die Ermittlungsakten.

Es geht um eine Eigentumswohnung für Wolbergs Schwiegermutter und eine für Wolbergs Mutter. Als sein Vater starb, wollte Wolbergs Mutter von einem Haus in eine Wohnung ziehen. Die Erbengemeinschaft – seine Mutter, seine beiden Brüder und er – waren formal die Käufer dieser Wohnung. Ich habe ihn damit konfrontiert: „Stimmt das? Gab es hier Vorteile?“ – „Absoluter Unsinn. Ich habe mich damit nie beschäftigt. Mir war es doch völlig egal, was diese Wohnungen kosteten“, sagte er damals. Ich glaubte ihm. Ich glaube ihm das noch heute. 1.600 Euro Renovierungskosten für das Haus, in dem Wolbergs mit seiner Frau Anja und den beiden Kindern lebte. Es gehört ihm nichtmal. Der Tag, an dem die Polizei den Oberbürgermeister verhaftete, er ist da aber noch nicht zu Ende. Ich erfahre am frühen Abend, dass ich im Haftbefehl gegen den Oberbürgermeister erwähnt werde. Ich bin entsetzt. Wolbergs wurde nicht in die JVA Regensburg gebracht, sondern nach Straubing. Dort ist er im Haus 3 untergebracht, eine psychiatrische Einrichtung. Er gilt als suizidgefährdet.

Es ist ein Treffen am 30. Dezember 2016 gewesen, das die Staatsanwaltschaft zu dem Urteil brachte, dass Verdunkelungsgefahr besteht: An diesem Tag trafen sich Wolbergs, Tretzel und W. in der Wohnung des früheren Jahn-Präsidenten Ulrich Weber, der W. vertritt. Man hatte offenbar die Handy-Ortung bei der Polizei festgestellt.

Dem Haftrichter sagte man wohl, dass man sich dort konspirativ traf, um weitere Beweise zu vernichten. Doch welche Beweise überhaupt? Nachdem man mehr als zwei Millionen Mails und unzählige Akten beschlagnahmt hatte: Welche Beweise wären denn überhaupt noch da, die man beseitigen könnte?

Ich erfahre auch, dass der Vorwurf im Raum steht, dass Protokolle der Jahn-Aufsichtsratssitzungen abgeändert wurden, bevor man sie an die Polizei übergab. Auch das ist Teil des Haftbefehls gegen Wolbergs. Es ist Donnerstagmorgen, ich telefoniere mit Jahn-Präsident Hans Rothammer und sage ihm das. Rothammer sagt, dass das nicht stimmt, es ging dabei nur um eine missverständliche Formulierung in einem Vorentwurf.

Zwei Stunden später rückt die Kripo mit einem Durchsuchungsbeschluss an. Zufall? Wird mein Telefon abgehört? Am Donnerstag lichtet sich der Nebel. Es wird weitergehen in Regensburg. Es wird Neuwahlen geben. Es ist eine Frage der Zeit, bis Wolbergs zurücktritt – oder der Rücktritt kommt.

Als ich am Tag der Verhaftung des Oberbürgermeisters das Bayerische Fernsehen einschalte, kommt zunächst der Bericht über die Verhaftung in Kontrovers. Danach ein Bericht über den Missbrauchskandal bei den Domspatzen. An diesem Tag hatte ich einen Termin mit den Domspatzen. Ein Kulturgut ist dieser Chor, auf den die Stadt stolz sein kann.

Mir blutet das Herz, als ich sehe, wie unsere Stadt nun in ganz Deutschland dargestellt wird. Zwischen Missbrauch und Korruption. Das hat meine Stadt nicht verdient!

Es gibt zwei Dramen an diesem Tag: Dass eine der schönsten Städte Deutschlands wieder mal dasteht, als wäre sie ein Sumpf sondergleichen. Und dass ein Mensch, mit dem ich viele Gespräche geführt habe in den letzten Monaten, in der Psychiatrie sitzt. Mir ist zum Heulen zumute. Aber das Leben geht weiter …

Donnerstag, erster Tag nach der Verhaftung

Da kommt schon der nächste Hammer: Ermittlungen auch gegen den Ex-Oberbürgermeister Hans Schaidinger! Nichts bleibt mehr so, wie es war, denke ich in dem Moment, als auch das öffentlich wird. Da ist noch nicht bekannt, was ihm vorgeworfen wird. Doch für mich ist klar: Es kann eigentlich nur der Honorarvertrag sein, den wir Ende August 2016 öffentlich machten. Damals hatte Schaidinger eine Veröffentlichung zu verhindern versucht. Die Süddeutsche, die parallel mit uns recherchierte, die habe er schon „im Griff“, ließ er mich damals wissen. Immer wieder sagte mir Wolbergs, Schaidinger habe mehr als 400.000 Euro eingestrichen. Am Freitag dann ist klar: Die Staatsanwaltschaft wirft Schaidinger vor, schon im Januar 2014 von Tretzel 260.000 Euro Honorare im Jahr versprochen bekommen zu haben. Das steht zumindest im Haftbefehl gegen Tretzel. Es stimmte also.

Freitag, zweiter Tag nach der Verhaftung

Ich erinnere mich noch, da war ich Volontär, als mein Vorgänger in der Redaktion den Sparkassen-Skandal um Schaidinger und seinen Luxus-Sparkassen-Chef Wolfgang Zantopp aufdeckte. Schon damals hieß es, Schaidinger würde gerne mit Zantopp rumfliegen. Und jetzt das: Tretzel soll Schaidinger seine Yacht kostenlos zur Verfügung gestellt haben. Der Ex-OB, er neigte immer zum Luxus. Doch seinen Porsche hatte er in der Amtszeit in München versteckt. Dann erfahre ich aus einer Quelle, dass auch gegen Norbert Hartl ermittelt wird. Ich habe seit langem engen Kontakt zu Hartl. Er ist einer der besten Lokalpolitiker, den diese Stadt hatte. Er ist am Boden zerstört, als er im Wochenblatt online liest, dass gegen ihn ermittelt wird. Er soll mit Tretzel und Schaidinger ausgemacht haben, dass das Nibelungenareal an BTT geht. „Das war nicht so!“, ruft er verzweifelt. Kein Stein bleibt mehr politisch auf dem anderen.

Sonntag, vierter Tag nach der Verhaftung

Es ist Sonntag, ich treffe einen hohen Stadt-Mitarbeiter im Fitnessstudio. „Das ist doch alles unglaublich“, sagt er. „So, wie das auf Wolbergs Schreibtisch aussah, hat der doch gar nicht gewusst, was eine Eigentumswohnung in Regensburg kostet. Es war ihm doch egal, wie viel seine Mutter und seine Schwiegermutter zahlen.“ Ich führe viele Gespräche. Mit Regierenden. Mit Wirtschaftsleuten. Alle sagen, sie können all das nicht glauben. Alle sagen aber auch: „Jetzt braucht Regensburg einen Neuanfang.“ Wo fangen wir an? 

Regensburg