Soziales
Über Armut: ,Manche Menschen gehen aus Scham nicht zum Amt'

11.07.2017 | Stand 13.09.2023, 1:44 Uhr
−Foto: Foto: Stadt Regensburg

Wie fühlt sich Armut in einer reichen Stadt wie Regensburg an? Gibt es überhaupt arme Menschen in Regensburg? Wir sprachen mit Sozialbürgermeisterin Gertrud Maltz-Schwarzfischer.

REGENSBURG Wochenblatt: Armut ist relativ. Ein armes Kind in Afrika leidet Hunger. Gibt es auch Hunger in einer so reichen Stadt wie Regensburg?

Gertrud Maltz-Schwarzfischer: Nein, in Regensburg existiert ein engmaschiges soziales Netz, sodass grundsätzlich niemand Hunger leiden muss. Zum einen hat jeder, der sich nicht selbst helfen kann, Anspruch auf staatliche Unterstützung. Zum anderen gibt es in Regensburg vielfältige soziale Initiativen, die armen Menschen unter die Arme greifen. Im Bereich der Lebensmittelversorgung sind dies beispielsweise die Regensburger Tafel, der Strohhalm und die fürstliche Notstandsküche. Die Stadt Regensburg fördert im Rahmen freiwilliger Leistungen an die Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege und an soziale Initiativen diese unterschiedlichsten Maßnahmen, zum Beispiel die Regensburger Tafel, die Bahnhofsmission, Schuldner- und Insolvenzberatungsstellen, den Donaustrudl, die Regensburger Spielzeughilfe, die Beratungsstelle häusliche Gewalt – also das Frauenhaus – oder DrugStop mit Kontaktladen und Streetwork. Die Stadt hat in letzter Zeit weitere Maßnahmen zur Bekämpfung von Armut ergriffen, zum Beispiel die Einführung des Stadtpasses oder die Einrichtung eines allgemeinen Sozialdienstes beziehungsweise einer Fachstelle zur Vermeidung von Obdachlosigkeit beim Sozialamt.

Das Thema Kinderarmut ist besonders erschütternd. Wie viele Kinder sind nach Ihren Zahlen von Armut betroffen und was kann man dagegen tun? Nach der Bertelsmann Studie zu Armutsfolgen für Kinder und Jugendliche. Erkenntnisse aus empirischen Studien in Deutschland“ vom September 2016 leben in Deutschland fast zwei Millionen Kinder in Familien, die auf Grundsicherung angewiesen sind (Zahlen Stand 2015). Knapp 15 Prozent aller Minderjährigen sind demnach auf Leistungen des SGB II angewiesen. Für Bayern liegt diese Zahl mit 6,8 Prozent deutlich darunter, Regensburg liegt im bayernweiten Durchschnitt. Stand November 2016 waren beim Jobcenter Stadt Regensburg rund 2.100 Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren im Leistungsbezug des SGB II. Armut und Kinderarmut im Speziellen sind abhängig von der Einkommenssituation der Eltern, das heißt, maßgebliche Faktoren zur Bekämpfung von Armut sind Maßnahmen zur Reduzierung von Arbeitslosigkeit sowie Anhebung des Einkommensniveaus. Diese Faktoren sind allerdings durch die kommunale Ebene nur wenig zu beeinflussen. Die Stadt Regensburg versucht dennoch, dort wo sie handeln kann, Kinderarmut zu begegnen, zum Beispiel durch Leistungen des Bildungs- und Teilhabepakets, durch die Jugendhilfe oder Vergünstigungen für Stadtpassinhaber.

Viele alte Menschen können von ihrer Rente kaum Leben. Welche Erfahrung haben Sie mit armen Rentnern gemacht: Gibt es in diesem Bereich besonders viel Scham, beispielsweise zum Amt zu gehen? Gesicherte Zahlen darüber, ob eventuell hilfebedürftige Menschen aus persönlichen Gründen staatliche Hilfen nicht in Anspruch nehmen wollen, liegen der Stadt nicht vor. Allerdings weiß ich aus den Gesprächen in meiner Bürgersprechstunde, dass es durchaus Personen gibt, die Leistungen nicht in Anspruch nehmen – sei es aus Scham oder Scheu vor der Bürokratie. Ich ermuntere dann immer, die Leistungen zu beantragen, schließlich stehen sie den Leuten auch zu.

Haben arme Menschen in Regensburg überhaupt noch Kontakt mit Wohlhabenden? Oder haben Sie den Eindruck, dass das zwei verschiedene Parallelwelten sind? Es gibt ein ausgeprägtes ehrenamtliches Engagement in der Stadt, zum Beispiel im Rahmen von Patenschaften oder über den Treffpunkt Seniorenbüro, in dem sich oftmals arm und reich begegnen. Ich sehe aber durchaus Tendenzen, dass solche Parallelgesellschaften entstehen, zum Beispiel allein dadurch, dass arme Menschen in der Regel in Gegenden mit gleichem Einkommensstatus leben. Ich glaube auch, dass die Einkommensverhältnisse bestehende Isolationsrisiken verstärken können. Denken Sie zum Beispiel an ältere Menschen, deren soziale Kontakte in der Regel sowieso tendenziell abnehmen. Müssen diese auch noch jeden Cent umdrehen und können nicht einfach mal ins Theater oder ins Café gehen, verstärkt das natürlich die Einsamkeit. Deshalb ist es so wichtig, dass es Angebote wie zum Beispiel den Stadtpass gibt, der auch soziale und kulturelle Teilhabe ermöglicht. Auch über den Treffpunkt Seniorenbüro, etwa über den Besuchsdienst oder den Kleinreparaturdienst von Regensburgs Nette Nachbarn, entstehen Kontakte.

„Bildung ist der beste Schutz gegen Armut“

Was können wir alle tun, um Armut konkret zu lindern? Prävention und Bildung sind nach wie vor der wirksamste Schutz gegen Armut. Die Stadt Regensburg wird deshalb weiter in diese Strukturen investieren, um arme Menschen, insbesondere Familien und Kinder, zu unterstützen. Jeder von uns kann darüber hinaus helfen, indem er hinschaut und im Rahmen seiner Möglichkeiten unterstützt.

Kann der Staat wirklich alle Probleme lösen, beispielsweise, indem Transferleistungen gezahlt werden? Deutschland ist ein Sozialstaat. Das Existenzminimum seiner Bürger zu gewährleisten ist nach unserem Grundgesetz ureigenste Aufgabe des Staates. Transferleistungen bilden dazu einen der wichtigsten Bausteine, um Menschen, die in Not geraten sind, zu unterstützen. Dass damit nicht alle Probleme gelöst werden, ist klar. In Regensburg existiert Gott sei Dank eine überdurchschnittlich hohe Zahl an Menschen, die sich ehrenamtlich engagieren und bei Problemen helfen können. Dieser Bereich ist deshalb für die Stadt sehr wichtig und wir werden diesen auch weiterhin fördern.

Zuwanderung: „Keiner bekommt weniger“

Durch die Zuwanderung im letzten Jahr haben viele Menschen den Eindruck, gerade die sozial Schwachen treten in eine Konkurrenz mit Flüchtlingen in Sachen Wohnung und Sozialleistungen. Was sagen Sie den Menschen, die so argumentieren? Ich halte rein gar nichts davon, eine sozial schwache Gruppe gegen die andere auszuspielen. Wir sind sowohl ein reiches Land als auch eine reiche Stadt, grundsätzlich ist genug für alle da. Keine Sozialleistung wurde bisher gekürzt, nur weil wir Flüchtlinge aufgenommen haben. Was diese Debatte allerdings gezeigt hat, ist, dass wir Nachholbedarf in Sachen Wohnungsbau und insbesondere im Sozialwohnungsbau haben. Dadurch, dass wir in kurzer Zeit sehr viele Menschen unterbringen müssen, ist das Thema erst ins politische Bewusstsein geraten und es tut sich wieder was auf dem Wohnungsmarkt.

Was genau wird umgesetzt? Die Stadt Regensburg hat bereits beschlossen, dass bei jedem Neubauprojekt eine Sozialwohnungsquote von mindestens 20 Prozent erfüllt werden muss. Darüber hinaus beteiligen wir uns im Rahmen des Bund-Länder-Programms Soziale Stadt mit den Stadtteilen Innerer Südosten und Hohes Kreuz. Mit dem Wohnungspakt Bayern hat die Staatsregierung angesichts der Flüchtlingszahl endlich ein Förderprogramm für Wohnungsbau aufgelegt, von dem alle – auch Einheimische – profitieren.

Vielen Dank für diese Einsichten.

Regensburg