Prozess
Die sexuelle Abgründe des Baumer-Verlobten

10.07.2017 | Stand 04.08.2023, 3:02 Uhr
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Prozessauftakt vor dem Regensburger Landgericht: Der 32-jährige Ex-Verlobte der wohl ermordeten Maria Baumer steht vor Gericht – allerdings wegen sexuellem Missbrauch, nicht wegen Mordes.

REGENSBURG Der Angeklagte wirkt ruhig, als er zusammen mit seinen beiden Anwälten den Gerichtssaal betritt – auf den Zuschauerrängen sitzen viele, die F. kennen. Aus der Schulzeit bei den Domspatzen beispielsweise, zahlreiche auch offizielle Vertreter der Domspatzen sind gekommen, sie fürchten wohl, dass der Prozess wiederum ein schlechtes Licht auf die ohnehin gebeutelte Schule werfen könnte. Aber auch Bekannte und Familienangehörige der Maria Baumer, deren sterbliche Überreste im September 2013 von Pilzsammlern in einem Waldstück bei Bernhardswald gefunden wurden.

F. sieht noch immer aus, als könnte er kein Wässerchen trüben.

Nun wissen geübte Gerichtsreporter natürlich, dass der Schein oft trügt. F. wird vorgeworfen, als zunächst 21-Jähriger einen damals 13-jährigen Jungen sexuell missbraucht zu haben. Pikant: Selbst in der gemeinsamen Wohnung, die F. mit seiner Verlobten Maria Baumer bewohnte, soll es im November 2010 zu einem sexuellen Übergriff gekommen sein. Außerdem soll er als Krankenpfleger im BKH eine labile Patientin kennengelernt haben. Im April 2014 soll er das Beruhigungsmittel Tavor in den Tee der jungen Frau gemischt und sie so sexuell gefügig gemacht haben. 535 Mal soll er per SMS, WhatsApp und Facebook Kontakt mit der Frau aufgenommen haben, sie antwortete lediglich 33 Mal.

Prozess wird durch den Fall Baumer überschattet Selten aber überschattete ein anderes, noch schlimmeres Verbrechen als der vorgeworfene sexuelle Missbrauch einen Prozess wie diesen – denn natürlich fragten sich viele auf den Zuschauerrängen, ob der unscheinbare Krankenpfleger gerade wegen des mutmaßlichen sexuellen Missbrauchs des zunächst 13-jährigen Domspatzen ein Problem mit seiner damaligen Verlobten bekommen hat. Ist das ein Motiv, das die Staatsanwaltschaft nun in anderen Straftaten festklopfen will? Staatsanwältin Dr. Christine Müller, eine harte, aber auch sehr geschickte Vertreterin der Staatsanwaltschaft, wird sich beim Prozess in dieser Richtung keine Blöße geben. F.s Rechtsanwalt Michael Haizmann, ein ebenso erfahrener wie ausgebuffter Strafverteidiger, wird jeden Verdacht sofort aufgreifen und im Keim ersticken.

Haizmann begann den Prozess bereits vor der Verlesung der Anklageschrift mit einem Befangenheitsantrag gegen eine Jugendschöffin, da diese selbst Lehrerin bei den Domspatzen war. Sie hatte F. in der 5., 6. und 11. Klasse als Mathelehrerin – auch einige geladene Zeugen hat sie unterrichtet. Die Lehrerin hatte selbst per Mail Bedenken angemeldet bezüglich eines Prozesses gegen F., doch offenbar hatte man ihren Bedenken keine Bedeutung beigemessen – ein eigentlich unfassbarer Vorgang. Bereits bei der Ablehnung der Zeugin brachte Haizmann den Missbrauchsskandal bei den Domspatzen ins Spiel: „In einer Erklärung des Rechtsanwalts Ulrich Weber ist zwar die Rede davon, dass sich die meisten Fälle des sexuellen Missbrauchs auf die 70er Jahre bezogen, aber es gab auch Fälle, die weit in die 90er Jahre hineinreichten“, sagte Haizmann. Sogar ein Opfer sexuellen Missbrauchs, der als Zeuge vernommen werden soll, wurde von der Schöffin unterrichtet.

Doch Staatsanwältin Christine Müller parierte den Antrag sofort: „Ich habe das schon in der Presse gelesen, es habe irgendwie ein sexuell aufgeladenes Klima bei den Domspatzen geherrscht. Da muss ich gleich entschieden entgegentreten. Man kann nicht von einzelnen Lehrern auf den ganzen Lehrkörper schließen“, sagte Müller. „Ein vernünftiger Angeklagter wird nicht davon ausgehen, dass es eine Rolle spielt, was Sie hier vortragen“, so Müller weiter. Sie lehnte – zusammen mit den beiden Nebenklagevertretern, die die mutmaßlichen Opfer vertreten – den Befangenheitsantrag ab. Nach einer Beratung entschied Richter Pfeiffer, dass der Befangenheitsantrag aber begründet ist. Die Schöffin wurde daraufhin ausgetauscht. Nach der Verlesung der Anklageschrift machte Haizmann klar: „Mein Mandant wird sich im Augenblick nicht äußern.“

Angeklagte konnte durch Narbe identifiziert werden In einer weiteren Pause fanden Gespräche über eine mögliche Verständigung statt. Im Rahmen dieses Deals würde der Angeklagte ein Geständnis hinsichtlich aller Taten – bis auf den sexuellen Übergriff auf die Patientin des BKH – einräumen. Ob es wirklich dazu kommt ist allerdings noch unklar. Es scheint aber so, als würde allgemein davon ausgegangen werden, dass tatsächlich eine solche Verständigung stattfindet – es wurde bereits auf einige Zeugen verzichtet und ganze Verhandlungstage gestrichen. Obwohl die DNA des Angeklagten im Slip der Patientin des BKH gefunden wurde, ist es fraglich, ob dem Angeklagten der sexuelle Übergriff auf die Patientin überhaupt nachgewiesen werden könnte. „Es gibt mehrere Möglichkeiten, wie die DNA dorthingekommen ist. Ein indirekter Transfer über Klopapier oder die Hand ist auch möglich“, stellte die Sachverständige vor Gericht klar. Offenbar gibt jeder Mensch unterschiedlich gut DNA ab, wodurch es unmöglich wird festzustellen, wie viele Zwischenschritte stattgefunden haben.

Schließlich wurde der Kriminaloberkommissar, der bereits im Verfahren Maria Baumer ermittelt hatte, als Zeuge befragt. Er schilderte, wie der Angeklagte mit den ihm vorgeworfenen Straftaten in Verbindung gebracht wurde. Er gab an, die Patientin aus dem BKH als Zeugin im Fall Baumer aufgesucht zu haben. Im Rahmen dieser Befragung erzählte sie ihm dann von den sexuellen Übergriffen des Angeklagten auf ihre eigene Person.

Auch hinsichtlich der sexuellen Übergriffe auf den damals 13-jährigen Domspatzen gaben die Ermittlungen im Fall Baumer den entscheidenden Anstoß. Bei einer Wohnungsdurchsuchung im September 2013 wurden Datenträger des Angeklagten mit pornografischen Inhalt sichergestellt. Der Angeklagte konnte auf den Videos und Bildern eindeutig über eine Narbe und Pigmentflecken auf der Hand identifiziert werden.

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