"Gehen oder bleiben?"
In ländlichen Regionen junge Frauen in den Fokus nehmen

11.07.2017 | Stand 21.07.2023, 8:27 Uhr
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Die Aussage von Prof. Dr. Lothar Koppers bei der Veranstaltung „Gehen oder bleiben? Junge Frauen im ländlichen Raum“ war eindeutig: Wer dem demographischen Wandel entgegentreten und junge Familien aufs Land bringen will, muss auf die Bedürfnisse der jungen Frauen eingehen. „Dann erwischt man mehrere Fliegen mit einer Klappe“.

PERLESREUT Warum sind Frauen für die Bevölkerungsentwicklung wichtig? Diese Frage stand im Zentrum der „Fraktion vor Ort“-Veranstaltung der FREIE WÄHLER Landtagsfraktion, zu der MdL Alexander Muthmann in die Bauhütte Perlesreut eingeladen hatte. Um eine Antwort zu finden, veranschaulichte Prof. Dr. Lothar Koppers vom Institut AGIRA das typische Lebensszenario einer Familie mit Hilfe einer Grafik. Die Wohnung der Familie werde in unmittelbarer Nähe zu Geschäften der täglichen Versorgung, zu Schulen und Kindergärten sowie zum Arbeitsplatz der Frau gewählt. Der Arbeitsplatz des Mannes hingegen liege häufig nicht in diesem engeren Bereich.

„Diese Situation findet man oft vor“, so Koppers, der daraus folgenden Schluss zieht: Die Frauen, die in der Regel den Familienalltag managen, bestimmen auch den Wohnort. „Deshalb ist es wichtig, in ländlichen Regionen junge Frauen mit ihren Bedürfnissen in den Fokus zu nehmen“, sagte Koppers. Was Frauen oft daran hindere, sich mit ihren Familien im ländlichen Raum niederzulassen, seien keine geeigneten vorhandenen Arbeitsplätze.

„Studien belegen, dass Frauen die besseren Schulabschlüsse machen“, so Koppers. 1980 waren 46,2 Prozent der Abiturienten weiblich, 2011 schon 54,7 Prozent. „Aber Hochqualifizierte Beschäftigungen finden wir vor allem in Städten.“ Diese Entwicklung sei auch bei der Wahl der Ausbildungsberufe zu erkennen. „50 Prozent der Berufsschülerinnen machen ihre Ausbildung im Bereich Wirtschaft und Verwaltung“, erklärte Koppers. „Auch diese Jobs fallen aber in erster Linie in städtische Strukturen, wo große Unternehmen angesiedelt sind.“ So seien in den Landkreisen Freyung-Grafenau und Regen in den Jahren 2006 bis 2010 30 Prozent der 18- bis 30-jährigen Frauen weggezogen.

Aber was kann man gegen diese Entwicklung machen? „Anders denken? Anders sein“, sagte Koppers. „Auf der Basis tiefgreifender Analysen handeln, beeinflussbare Faktoren nicht außer Acht lassen und vor allem die Menschen mitnehmen.“ Außerdem könne man eine „Schrumpfung der Infrastruktur“ auch als Qualitätsinstrument schätzen. „Ein Rückgang der Bevölkerung bedeutet auch einen Rückbau der Infrastruktur.“ Aber das, was übrig bleibe, könne qualitativ hochwertig sein. „Ein kleiner Ort muss nicht alles können.“

Dass eine Trendwende möglich sein kann, erklärte im Anschluss daran MdL Alexander Muthmann und nannte als Beispiel die Entwicklung von Perlesreut. Bürgermeister Manfred Eibl sagte, die Orte in den ländlichen Regionen müssen ihre „Stärken stärken“. „Die Zukunft besteht darin, in interkommunalen Verbünden zusammen zu arbeiten.“ Eibl ging auch noch auf den großen Bestand an Wohnraum auf dem Land ein. „Wir müssen bei diesen Immobilien wieder eine Attraktivität herstellen.“ Die größte Herausforderung werde es laut Eibl jedoch sein, die Mobilität der Bevölkerung zu sichern.

Muthmann gab im Anschluss daran noch einen Überblick über die Arbeit der Enquete-Kommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse in ganz Bayern“, deren Mitglied er ist. „Nach zweieinhalb Jahren befinden wir uns nun auf der Zielgeraden“, so Muthmann.

Die derzeitige Arbeit der Kommission bestehe darin, über 40 Indikatoren zu erheben, mit denen eine Ist-Situation in den Regionen Bayerns dargestellt werden kann. Muthmann nannte in diesem Zusammenhang einige Indikatoren: Wie hoch ist der Anteil der Arbeitnehmer, deren Fahrzeit zum Arbeitsplatz mehr als 30 oder 60 Minuten beträgt? Wie hoch ist der Anteil der Schüler mit einer Wegezeit zur Grundschule länger als 10, 20 oder 30 Minuten? Wie lang ist die durchschnittliche Wartezeit auf einen stationären Pflegeplatz in einer Einrichtung im Erhebungsraum? „Wenn wir diese Zahlen und Daten für die einzelnen Regionen Bayerns ermittelt haben, müssen wir diese Informationen bewerten.“ Dazu gehören auch Gespräche mit Vertretern der einzelnen Landkreise.

„Wer diese Debatten führt, darüber haben wir in der Enquete-Kommission noch nicht gesprochen“, so Muthmann. „Nur Bürgermeister oder Landräte zu wählen, ist nach meinem Ermessen aber unzureichend.“ 

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