Soziales
Die "soziale Landwirtschaft" hilft Suchtkranken zurück ins Leben

09.07.2017 | Stand 29.07.2023, 21:58 Uhr
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Mit dem Begriff "soziale Landwirtschaft" können wohl die wenigsten etwas anfangen – doch auf dem Hof und dem Campingplatz von Alois Schmidbauer in Poikam bei Bad Abbach wird genau das gelebt. Seit 2013 kooperiert Schmidbauer mit dem Soziotherapeutischem Zentrum in Lappersdorf, einem Heim für suchtkranke Menschen, und lässt diese auf seinem Hof mitarbeiten.

POIKAM/LAPPERSDORF Am Freitag, 10. April, gab es nun ein großes Stelldichein auf dem Schmidbauer-Hof, um das Projekt auch der Politik vorzustellen – sogar Ministerialdirigent Wolfram Schöhl war deshalb nach Poikam gekommen. "Es gibt noch einen anderen Weg in der Landwirtschaft, als billig Lebensmittel zu produzieren", dachte sich Schmidbauer 2009 und begann eine Weiterbildung als Erlebnisbauer. Die Kooperation, die er seit 2013 mit dem Sozialtherapeutischen Zentrum hat, steht in Deutschland noch in den Startlöchern.

Eine Abwechslung zum Heimalltag

Schmidbauer bietet den chronisch Suchtkranken einen Arbeitsplatz in der Natur und mit Menschen zusammen und gibt ihnen damit auch das wichtige Gefühl, gebraucht zu werden. Alles, was gerade jahreszeitlich anfalle, von Holzarbeit bis zum Füttern der Schafe – überall würden sie mitarbeiten. Die "Nutzer" des Projektes, so nennt man die Suchtkranken, die hier mitarbeiten, kommen freiwillig ein bis zwei Mal in der Woche und schätzen es, fernab des Heimalltags an der freien Natur einer sinnvollen Tätigkeit nachzugehen.

"Wieder boden unter den Füßen"

Eine "große Idee" und ein "heißes Thema" sei das, so Schöhl, der dafür extra aus München gekommen war. Denn Bauern seien mit ihrer natürlich sozialen Ader prädestiniert, Menschen mit besonderen Bedürfnissen zu helfen. Dieses Projekt helfe dabei, dass die Nutzer wieder Boden unter den Füßen bekämen, so der Ministerialdirigent. Deshalb sei es ihm ein großes Anliegen, Angebote zur sozialen Landwirtschaft zügig auf den Weg zu bringen und zu fördern. „Die Zeit ist reif“, so Schöhl.

Auch die Behindertenbeauftragte des Bezirks Niederbayern, Hannelore Langwieser, ist begeistert von diesem Projekt. "Dieses Projekt zeigt, wie wichtig Arbeit und das Gefühl der Anerkennung ist", so Langwieser. Die viel zitierte Inklusion komme ganz alleine, wenn man herausfinde, was Menschen mit Behinderung brauchen.

Soziale Landwirtschaft bietet große Chancen

Das eigentliche Ziel des Pressetermines auf dem Schmidbauer Hof war allerdings die Bekanntgabe einer praxisorientierten Studie. Die Studie, die Stefan Löwenhaupt von der xit GmbH vorstellte, kam zu dem Ergebnis, dass Bayern auf dem Gebiet der sozialen Landwirtschaft eine Vorreiterrolle einnimmt. Eine Kooperation zwischen landwirtschaftlichen Betrieben und einer sozialen Organisation – wie im Falle des Hofes in Poikam – sei allerdings immer noch relativ selten.

Und auch wenn mehr als die Hälfte dieser Betriebe wirtschaftlich nicht tragfähig seien, müssen die aufgebrachten Mittel den konventionellen Betreuungsformen entgegengestellt werden und diese Unterbringungskosten wären um ein Vielfaches höher, so Löwenhaupt. Die Szene der sozialen Landwirtschaft sei klein, aber im Wachsen begriffen und würde große Chancen bieten, so die Studie abschließend. Insgesamt sei es also eine "Win-win-Situation" für beide Seiten, so Löwenhaupt.

Und dass das Ganze nicht nur alles heiße Luft ist, griffen die Nutzer zu ihren Spaten und zeigten den "Schlipsträgern", was sie können und stachen einen Ampfer nach dem anderen – mit einem Lächeln im Gesicht und sichtlich stolz!

Das Wochenblatt berichtetet bereits vor eineinhalb Jahren von den Anfängen dieses Projektes. Hier geht's zum Artikel.

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