Landgericht Landshut
Traumbeziehung endet mit sexuellem Übergriff

09.04.2018 | Stand 20.07.2023, 18:30 Uhr
−Foto: n/a

Keine Vergewaltigung: Trotzdem zwei Jahre und acht Monate für Pizzaboten Andres V.

FREISING/LANDSHUT Für die 27-jährige Leiharbeiterin aus Landau war er zunächst der Mann, der sie auf Händen trägt. Die „Traumbeziehung“ mit dem Freisinger Pizzaboten Andres V. (33) endete allerdings nach wenigen Monaten mit erzwungenem Sex. Die 4. Strafkammer des Landgerichts kam im viertägigen Prozess allerdings zum Ergebnis, dass es sich dabei nicht um eine Vergewaltigung, sondern um einen sexuellen Übergriff handelte, für den der 33-Jährige mit einer moderaten Freiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten davon kam.

Wie zum Prozessauftakt berichtet, hatten sich der 33-Jährige, der als Beruf großspurig Testfahrer angab, obwohl er schon längst nur noch als Pizzabote und zuletzt arbeitslos war, und die Leiharbeiterin im April 2017 über eine Dating-Plattform kennen gelernt und waren auch bald intim geworden. Allerdings kam es nach wenigen Monaten bereits zu Eifersuchtsszenen und Streitereien, bei denen Andres V. mit seiner Verwandtschaft mit der Milliadärsfamilie Quandt prahlte und seiner Noch-Freundin drohte, er könne dafür sorgen, dass ihr Vater und sie ihre Jobs bei BMW verlören.

Am 20. Juni traf man sich dann in der Landauer Wohnung der 27-Jährigen zu einer „Aussprache“ in deren Verlauf ihr der Pizzabote u.a. damit drohte, „ihre Wohnung und ihr Auto anzuzünden, einen Molotow-Cocktail in ihre Wohnung zu werfen und ihr Schläger auf den Hals zu hetzen.“ Am Nachmittag des nächsten Tages hielt er sich erneut in der Wohnung auf, wobei es zu einer tätlichen Auseinandersetzung kam, in deren Rahmen er der 27-Jährigen kurzzeitig Mund und Nase zugehalten haben soll, so dass sie kurzzeitig das Bewusstsein verlor.

Am gleichen Abend spielte sich dann das eigentliche Drama ab: Die Leiharbeiterin hatte sich nach einer Dusche ins Schlafzimmer begeben, um sich anzuziehen. Der Pizzabote kam, nachdem er ebenfalls geduscht hatte, hinzu und forderte die 27-Jährige zum „Versöhnungssex“ auf. Dass sie ihn zurückwies und erklärte, dazu „nicht im Stimmung zu sein“ negierte er, drückte sie aufs Bett, begrapschte sie im Intimbereich, vollzog Geschlechts- und Analverkehr.

Der 33-Jährige, dem die Anklage Bedrohung, Körperverletzung und Vergewaltigung vorwarf, wies die Vorwürfe zum Prozessauftakt weit von sich: Er habe die Ex nicht bedroht, ihr auch nicht Nase und Mund zugehalten und sie schon gar nicht vergewaltigt. Die Anschuldigungen seien ein Racheakt, weil er von ihr 400 Euro, die er ihr geliehen habe, zurückverlangt habe. Deshalb sei es zu einem Streit gekommen, bei dem man sich gegenseitig „geschubst“ habe.

Die Leiharbeiterin bestätigte im Rahmen ihrer Vernehmung weitgehend die Vorwürfe - wenn auch mit einigen Abweichungen zu ihren polizeilichen Angaben und detailreicheren Schilderungen des Tatablaufs. Anzeige hatte sie zunächst lediglich wegen der Drohungen und wegen der Körperverletzung, durch die es u.a. zu einer Einblutung am rechten Auge gekommen war, erstattet. Erst bei der Schilderung des gesamten Ablaufs des Abends wurde vom Polizeibeamten auch ein mögliches Sexualdelikt ins Spiel gebracht und dann auch entsprechend „nachgehakt“.

Der Pizzabote seinerseits hatte bereits reichlich - allerdings weitgehend Jahre zurückliegend -Justizerfahrung, wie aus seinem Vorstrafenregister mit zwölf Eintragungen „quer Beet“ hervorging. U.a. war er 2005 zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt worden, nachdem er zusammen mit seiner damaligen Lebensgefährtin das gemeinsame Baby schwer misshandelt und ihm einen Oberschenkelbruch zugefügt hatte.

Aufgewachsen war Andres V. mit vier Geschwistern unter misslichen familiären Verhältnissen: Seine Mutter war Alkoholikerin, sein Vater „erzog“ die Kinder mit Schlägen. Mit vier Jahre landete der spätere Pizzabote in einem Kinderheim und später in Jugendeinrichtungen, wo ihm schon damals der Ruf vorausging, einen Hang zur Brutalität und Gewalt - vor allem gegenüber jüngeren Mädchen - zu haben.

Die Staatsanwältin wies in ihrem Plädoyer darauf hin, dass der Gesetzgeber mit dem „Nein heißt nein“ die Opferrechte bei Sexualdelikten gestärkt habe und beantragte eine Freiheitsstrafe von sechs Jahren. Die Anklagevorwürfe hätten sich in vollem Umfang bestätigt, dem Angeklagten sei an besagtem Abend klar gewesen, dass seine Ex keinen Sex wolle. Sie habe, auch was die Vorwürfe der Bedrohung und der Körperverletzung angehe, eine detaillierte und konstante Einlassung geliefert, an deren Wahrheitsgehalt es keine Zweifel gebe, zumal die 27-Jährige keinerlei Belastungseifer an den Tag gelegt. Der Pizzabote habe eine Drohkulisse aufgebaut. Straferschwerend müsse sich auswirken, dass die Leiharbeiterin noch heute mit den Folgen einer posttraumatischen Belastungsstörung zu kämpfen habe, in psychologischer Behandlung und - wie es eine Freundin formulierte - ein „Häufchen Elend“ sei.

Der Rechtsanwalt, der die als Nebenklägerin auftretende 33-Jährige vertrat, schloss sich der Staatsanwältin weitgehend an und wies darauf hin, dass seine Mandantin seit dem Übergriff völlig aus der Bahn geworfen sei. Die Verteidiger vertraten die Auffassung, dass die teils widersprüchlichen Aussagen der Leiharbeiterin für eine Verurteilung nicht ausreichend seien.

Richter Theo Ziegler stellte in der Urteilsbegründung fest, dass die Kammer, die den 33-Jährigen auch zu einer Schmerzensgeldzahlung in Höhe von 5.000 Euro verurteilte, im Hauptvorwurf zu keiner Verurteilung wegen Vergewaltigung, sondern lediglich wegen eines sexuellen Übergriffs gekommen sei, nachdem die 33-Jährige, die völlig glaubwürdig gewesen sei, selbst berichtet habe, dass sie den Angeklagten gestreichelt, im Intimbereich berührt und einen Orgasmus vorgespiegelt habe. Aus ihrer Sicht, um eine weitere Eskalation zu vermeiden und „es“ möglichst schnell hinter sich zu bringen. Deshalb seien Zweifel geblieben, ob der Angeklagte nicht davon ausgegangen sei, dass sie mit dem Sex einverstanden sei, zumal er kaum Gewalt anwenden musste.

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