Unterschreiben - oder lieber nicht?
Heiße Diskussion ums „Volksbegehren Artenvielfalt“

31.01.2019 | Stand 01.08.2023, 17:24 Uhr
−Foto: Foto: Bosch Marcus

Ein plakativer Slogan und zahlreiche prominente Unterstützer: Seit langem schon hat kein Volksbegehren mehr für so ein Aufsehen gesorgt wie das „Volksbegehren Artenvielfalt – Rettet die Bienen!“. Auch in der Region Dingolfing-Landau! Wie lassen Befürworter und Gegner zu Wort kommen.

DINGOLFING-LANDAU Eine gute Sache, für die zwischen dem 31. Januar und 13. Februar (so lange ist der Eintragungszeitraum) in den Rathäusern unbedingt unterschrieben werden sollte, sagen zumindest die Befürworter. Die Gegner sehen das anders – und zu denen zählt ausgerechnet der Bayerische Bauernverband, dessen Landwirte laut Initiatoren ja eigentlich von den angestrebten Gesetzesveränderungen profitieren sollten. Das Isar Wochenblatt lässt zum Start des Volksbegehrens beide Seite zu Wort kommen: Karl Wolf vom Unterstützerkreis Volksbegehren aus Loiching und den Mamminger Landwirt Friedhelm Dickow.

PRO VOLKSBEGEHREN: Karl Wolf vom Unterstützerkreis Volksbegehren

Wochenblatt: Herr Wolf, der plakative Slogan des Volksbegehrens „Rettet die Bienen!“ mutet im ersten Moment vielleicht etwas harmlos an. Doch der Hintergrund ist ja durchaus ein ernster. Warum ist es Ihrer Ansicht nach höchste Zeit, mehr auf die Artenvielfalt und den Schutz von heimischen Tier- und Pflanzenarten hinzuweisen?

Karl Wolf: Das Volksbegehren hat den Titel „Rettet die Bienen!“, aber natürlich geht es um mehr, nämlich die Erhaltung aller in Bayern lebender Arten. Dabei ist der Rückgang der Insekten besonders besorgniserregend, weil diese wichtige Bestäuber und damit Teil der menschlichen Nahrungsgrundlage sind. Weiter sind sie Teil der Nahrungskette zum Beispiel auch für die Vögel. Tatsächlich gehen viele Vogelarten sehr stark im Bestand zurück. Deutschlandweit sind seit 1965 etwa 65 Prozent aller Vögel verschwunden.

Welche konkreten Forderungen werden vom Volksbegehren angestrebt?

Die Kernforderung besteht darin, Regelungen im bayerischen Naturschutzgesetz zu formulieren, die die Artenvielfalt sichern. Das ist u.a. die bessere Vernetzung von Biotopen, die Erhaltung von Hecken, Bäumen und kleinen Gewässern in der Landschaft, die Schaffung von Schutzstreifen an Gewässern, der Ausbau der ökologischen Landwirtschaft und die Umwandlung von Teilen des Grünlands in Blühwiesen sowie die Aufnahme des Naturschutzes in die Ausbildung von Land- und Forstwirten.

Was sind denn die Ursachen für das zunehmende Verschwinden von Insekten?

Es gibt sicher mehrere Gründe. Eine der wichtigsten Ursachen für den starken Rückgang in der Pflanzen- und Tierwelt ist die zunehmende Intensivierung der Landwirtschaft in all ihren Ausformungen. Darüber ist sich die Wissenschaft einig und da soll man auch nicht drum rum reden.

Auf welche kurz- und langfristigen Folgen müssten wir uns einstellen, wenn immer mehr Insekten sterben?

Albert Einstein wurde der Satz zugeschrieben, dass „auch der Mensch nur mehr vier Jahre zu leben hat, wenn die Biene stirbt“. Auch wenn man inzwischen weiß, dass dieses Zitat gar nicht von Einstein stammt, ist die darin enthaltene Botschaft, dass Insekten und insbesondere die Bienen systemrelevante Tierchen sind, doch unbestritten. Deren Verschwinden wird demnach nicht folgenlos bleiben.

Warum braucht es überhaupt ein solches Volksbegehren? Tut die Politik und die aktuelle Gesetzeslage in Ihren Augen dafür zu wenig?

Leider ja. Ich will das am Beispiel Gewässerschutz erklären: Das dahinterstehende Bundesgesetz sieht verpflichtend Gewässerrandstreifen auf landwirtschaftlichen Flächen vor. Bayern hat die entsprechenden Artikel in einem eigenen Gesetz an den Grundsatz der Freiwilligkeit angepasst und gewährt dadurch Gewässern weniger Schutz als im übrigen Deutschland. Wenn diese Form von Freiwilligkeit in der Vergangenheit geklappt hätte, würden wir heute nicht vor diesen Problemen stehen.

Beim aktuellen Volksbegehren handelt es sich ja um eine rein bayerische Angelegenheit. Hätte ein Gesetz zur Rettung der Artenvielfalt und Naturschönheit auch eine Wirkung über Bayern hinaus?

Zweifelsohne. Ein erfolgreiches Volksbegehren hätte Signalwirkung bis in die europäische Politik hinein. Ganz nebenbei: Das Bundesland Bayern ist ja größer als so manches EU-Mitgliedsland.

In Pressemitteilungen der Befürworter wird gerne von einem „Volksbegehren für die Bauern“ gesprochen. Doch genau die stehen der Aktion kritisch gegenüber. Der Bauernverband ruft sogar dazu auf, nicht zu unterschreiben. Können Sie diese Haltung nachvollziehen?

Nein, überhaupt nicht. Die Behauptungen des Bauernverbands werden durch ständige Wiederholung nicht richtiger. Auch die kleinstrukturierte bayerische Landwirtschaft wurde auf Weltmarkt getrimmt und sieht sich dort einem ruinösen Wettbewerb ausgesetzt. Hieraus ergibt sich der Zwang zu immer weiterer Intensivierung, verbunden mit den bekannten Nebenwirkungen für Natur und Umwelt. Landwirte sind in dieser Mühle gefangen und sehen sich dafür auch immer mehr an den Pranger gestellt. Ein erfolgreiches Volksbegehren birgt die Chance, diese verhängnisvolle Politik des „Wachsens oder Weichens“ mit nachhaltigen Konzepten zu überwinden und damit auch der kleinstrukturierten bayerischen Landwirtschaft eine langfristige Chance zu geben.

Wie stehen Ihrer Meinung nach die Chancen, dass sich 1 Million wahlberechtigte Bayerinnen und Bayern mobilisieren lassen und das Volksbegehren damit erfolgreich wird?

Wir hatten noch bei keinem Volksbegehren so viel Resonanz in der Bevölkerung, das stimmt zuversichtlich. Gewonnen ist es aber erst am 13. Februar. Bis dahin kämpfen wir. Zuversichtlich stimmt auch die große Zahl prominenter Befürworter. Darunter so wohlklingende Namen wie Marcus H. Rosenmüller, Udo Wachtveitl und Michaela May. Bambergs Erzbischof Ludwig Schick hat eine Unterstützererklärung abgegeben. Nürnbergs OB Ulrich Maly wird sich am Donnerstag in seiner Stadt als erster eintragen. Auch die Gegnerschaft in der CSU scheint zu bröckeln. Der langjährige Umweltarbeitskreisvorsitzende Josef Göppel hat Unterstützung zugesagt.

Mal unabhängig von Gesetzen und Verordnungen. Was kann jeder einzelne in seinem Alltag dafür tun, dem Artensterben entgegenzuwirken?

Erstens in seinem Umfeld darauf achten, dass eine große Artenvielfalt möglich ist. Dazu gehört beispielsweise eine naturnahe Gartengestaltung. Wer Nahrungsmittel aus ökologischem Anbau kauft, sorgt dafür, dass mehr Betriebe auf Ökoanbau umstellen können.

CONTRA VOLKSBEGEHREN: Landwirt Friedhelm Dickow

Dass er sich nicht für den Erhalt und die Steigerung der Artenvielfalt sowie eine nachhaltige Landbewirtschaftung einsetzen würde, diesen Vorwurf kann man dem Mamminger Landwirt Friedhelm Dickow wahrlich nicht machen. Erst im vergangenen Jahr wurde er mit dem Deutschen Nachhaltigkeitspreis ausgezeichnet und ist einer von deutschlandweit zehn Modellbetrieben, die beim Projekt „Für Ressourcen, Agrarwirtschaft & Naturschutz mit Zukunft“ (F.R.A.N.Z.) mitmachen.

Deshalb ist für den Kreisobmann des Bayerischen Bauernverbandes im Landkreis Dingolfing-Landau, der an dieser Stelle auch die Meinung des Bayerischen Bauernverbands vertritt, eins klar: Für den Schutz der Artenvielfalt braucht es keine neuen Gesetze!

„Ziel des Volksbegehrens ist es, unser Naturschutzgesetz zu ändern. Für uns Landwirte ist das aber eine sehr einseitige Sache“, sagt der engagierte Landwirt und prophezeit: „Wenn das mit dem Volksbegehren durchgeht und die damit verbundenen Gesetzesänderungen kommen, wird es immer weniger Landwirte geben.“

Kritisch sieht der Bauernverband beispielsweise die Gesetzesänderung, die einen verpflichtenden Ökolandbau von 30 Prozent bis 2030 vorsieht. „Momentan werden in etwa so viele Ökoprodukte hergestellt, wie die Leute einkaufen. Wenn man jetzt allerdings verpflichtend auf 30 Prozent Ökolandbau besteht, aber die Nachfrage der Verbraucher gar nicht so groß ist, dann müssen die Landwirte mit dem Preis runtergehen, um ihre Produkte zu verkaufen. Ein Ökobetrieb hat aber einen wesentlich höheren Aufwand und muss daher einen höheren Preis verlangen als ein konventioneller, sonst erleidet er Schiffbruch.“ Ökolandwirtschaft gebe es nicht zum Nulltarif. Vor allem kleinere Betriebe würden es so zukünftig richtig schwer haben. Dann sei die Ökobranche über kurz oder lang zerstört.

„Ich würde mir wünschen, dass man den Landwirten mehr Eigenverantwortung lässt. Naturschutz und Artenvielfalt liegt uns ja genauso am Herzen. Fast zehn Prozent unserer Betriebe sind aktuelle bereits im Ökobereich tätig. Natürlich würden vermutlich noch mehr Betriebe auf den Ökolandbau umsteigen. Aber der Verbraucher muss halt auch ehrlich zu sich selbst sein und nicht per Volksbegehren 30 Prozent fordern, aber nur 10 Prozent Ökoprodukte einkaufen – und zwar aus der Region und nicht aus anderen Ländern der Welt.“

Ebenfalls in den Fokus der Kritik rückt die Forderung des Volksbegehrens, 13 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche für Biotopverbunde zur Verfügung zu stellen. „Das heißt Stilllegung, Nicht-Bewirtschaftung und damit 13 Prozent Einnahmenverlust“, bringt es der Mamminger auf den Punkt. „Das möchte ich mal sehen, wenn man von einer Privatperson verlangt, 13 Prozent ihres Einkommens für die Artenvielfalt zur Verfügung zu stellen.“

Das Gegenargument der ödp, dass der Landwirt einen Ausgleich für ökologische Maßnahmen bekommen soll, stimme so ebenfalls nicht. „In Bayern haben wir aktuell ein Kulturlandschaftsprogramm, in dem beispielsweise Landwirte für Gewässerrandstreifen, die nicht mitbewirtschaft, nicht gedüngt werden dürfen, eine Ausgleichszahlung durch eine Förderung der EU und Bayerns bekommen. Wenn es aber eine Verpflichtung ist, dann sagt die EU: Das ist ein Gesetz, ein Gesetz kann man nicht fördern! Das ist das Verrückte, das man den Leuten kaum erklären kann.“

Für eine viel sinnvollere Lösung für die Erhöhung von Biodiversität und Artenreichtum halte er beispielsweise Maßnahmen, die mit großem Erfolg im F.R.A.N.Z.-Projekt getestet werden. Dickows Vorschlag: Eine Patenschaft. Der Landwirt baut die Flächen an, pflegt sie, verpflichtet sich, den Blühstreifen zu pflegen und dafür zahlen Unternehmen oder Privatpersonen, die etwas für die Biodiversität tun wollen, ein paar Cent pro Quadratemeter, damit der Bauer seine Unkosten für Saatgut, für Pflegemaßnahmen usw. bezahlt bekommt. Dann sei man unabhängig von allen möglichen Förderprogrammen. „Das ist Naturschutz, der sofort machbar wäre! Und ich weiß aus eigener Erfahrung, dass viele Landwirte sofort bereit wären, da mitzumachen.“

Außerdem gibt der Mamminer noch zu bedenken, dass die Landwirtschaft nicht die einzige Gefahrenquelle für Insekten sei. Die Lichtverschmutzung in den Städten und Gewerbegebieten, die Durchschneidung von Lebensräumen durch Autobahnen, Abgase von Autos, zunehmender Flugverkehr, ... – all das sollten diejenigen auch berücksichtigen, die sich überlegen, für das aktuelle Volksbegehren zu unterschreiben.

Dingolfing-Landau