Von wegen Cannabis auf Rezept:
Krebspatientin erhält kein Cannabis von der Krankenkasse

11.07.2017 | Stand 25.07.2023, 2:47 Uhr
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Seit 10. März ist Cannabis legal als Medikament erhältlich. Eine 42-jährige Krebspatientin muss trotzdem weiter leiden.

LANDKREIS DEGGENDORF Die Nächte sind am schlimmsten. Tanja G. (Name von der Redaktion geändert) leidet an Brustkrebs. Trotz eines Medikamenten-Cocktails von 20 Tabletten täglich, darunter auch Morphium, sind die Schmerzen kaum zu ertragen. Ihre letzte Hoffnung auf ein erträgliches Leben ist Cannabis. Seit 10. März dieses Jahres ist das Kraut als Medikament für schwer kranke Menschen legal zugelassen – theoretisch. Praktisch bleibt das Medikament für die 42-Jährige unerreichbar. Ihre Krankenkasse hat eine Cannabis-Therapie abgelehnt. Begründung: Sie habe noch nicht alle „schmerztherapeutischen Behandlungsoptionen“ ausgeschöpft.

Im Februar 2015 lag die Zukunft noch wie ein verheißungsvolles Versprechen vor Tanja G.. Sie hatte sich zusammen mit ihrem Freund ein Haus gekauft. Die Heirat stand an. Doch es kam unverhofft anders. Am 13. August 2015 folgte die erschütternde Diagnose: Brustkrebs! Damit änderte sich ihr bisheriges Leben radikal.

Starke Schmerzen trotz 20 Tabletten am Tag

Erst musste ihr die rechte Brust abgenommen werden. Dann wurden die Eierstöcke entfernt, dann die andere Brust. „Insgesamt habe ich bisher sechs Operationen und zwei Rehas hinter mir“, berichtet sie. Ihre Chemotherapie sollte von September 2015 bis Februar 2016 andauernd.

Kurz vor dem Ende musste sie die Chemo jedoch abbrechen, da die Schmerzen unerträglich wurden. „Starke, chronische polyneuropathische Schmerzen infolge einer Chemotherapie“, lautete die Diagnose. Seitdem schluckt die krebskranke Frau täglich 20 Tabletten (Foto), unter anderem zweimal täglich Morphium. „Trotzdem habe ich starke Schmerzen, kann nachts nicht schlafen und gehe meist erst morgens ins Bett“, berichtet sie über ihren „Alltag“. Jetzt zeigt sich ein Silberstreifen am Horizont. Studien haben gezeigt, dass Cannabis bei Patienten eine deutliche Schmerzreduzierung und Verbesserung der Lebensqualität bewirken kann. Darüber hinaus kann es auch direkt zur Heilung beitragen. Die Forscher haben festgestellt, dass Cannabinoide sogar Krebszellen zerstören können.

Seit 10. März gibt es Cannabis auf Rezept

Am 10. März trat deshalb das Gesetz in Kraft, wonach Ärzte künftig auch Cannabisarzneimittel verschreiben dürfen. Die einst als Hippiedroge verschriene Pflanze soll insbesondere in der Schmerztherapie, bei chronischen Erkrankungen oder bei Krebspatienten eingesetzt werden. Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe teilte mit: „Schwerkranke Menschen müssen bestmöglich versorgt werden. Dazu gehört, dass die Kosten für Cannabis als Medizin für Schwerkranke von ihrer Krankenkasse übernommen werden, wenn ihnen nicht anders wirksam geholfen werden kann.“

Tanja G. hat es selbst ausprobiert. Während eines Hollandurlaubs konsumierte sie die Droge. „Die Schmerzen waren weg“, erinnert sie sich. Ihr Hausarzt stellte daraufhin am 29. März einen Antrag bei ihrer Krankenkasse auf Versorgung mit Cannabis. Denn erst wenn die Bewilligung vorliegt, darf der Hausarzt Cannabis verschreiben. Und ohne Rezept kommt sie nicht legal an die Droge heran, selbst wenn sie die Behandlungskosten selbst bezahlen würde. Doch genau in der Einschränkung des Gesundheitsministers, „wenn ihnen nicht anders wirksam geholfen werden kann“, liegt der Hund begraben. Die Krankenkasse lehnte am 30. März den Antrag von Tanja G. ab und beruft sich darauf, dass ein Leistungsanspruch nur dann bestehe, wenn keine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung zur Verfügung stehe. In ihrem Fall seien aber die schmerztherapeutischen Behandlungsoptionen noch nicht ausgeschöpft. Statt einer Cannabisbehandlung wird deshalb die Vorstellung bei einem Schmerztherapeuten oder in einer Schmerzambulanz empfohlen.

„Ich habe bei der Rentenkasse bereits einen Antrag auf Schmerztherapie gemacht und diese auch angetreten“, versteht Tanja G. die Welt nicht mehr. Gebracht habe die Therapie aber überhaupt nichts. Aber wenn darauf bestanden wird, werde sie es erneut versuchen. „Ich habe jetzt Ende April einen neuen Termin bei der Schmerztherapie in Landau“, berichtet sie.

Sie will trotzdem auf jeden Fall gegen die Ablehnung ihres Antrags durch die Krankenkasse Widerspruch einlegen. Zusammen mit ihrer Rechtsanwältin will sie die Sache bis in die höchste Instanz durchstreiten. „Wenn schon nicht für mich, kann so vielleicht anderen Patienten geholfen werden“, hofft sie.

Deggendorf