10 Jahre Regionalgeld „Chiemgauer”: Ein Rückblick
Kritische Masse für Überleben wichtig

07.07.2017 | Stand 13.09.2023, 3:43 Uhr
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Die Beteiligung von 600 Firmen und ein Umsatz von 6,5 Millionen Euro haben den „Chiemgauer” zur heute erfolgreichsten Regionalwährung in ganz Deutschland werden lassen. Zum 10. Jubiläum zogen Gründer und Nutzer Bilanz und blickten in die Zukunft.

TRAUNSTEIN Der Chiemgauer ist zehn Jahre alt geworden. Dieser „Kindergeburtstag“, wie Moderator Bernhard Zimmer witzelte, stand im Vordergrund der Veranstaltung am Freitagabend im Traunsteiner Rathaus, mit der gleichzeitig der Regiogeld-Kongress eröffnet wurde. Der Chor Giovedi vocale gratulierte musikalisch mit einem eigens zu diesem Anlass geschriebenem, temperamentvollen Lied „Wir stehen auf regional“.

„Herr Chiemgauer“ Richard Leitner präsentierte auf humorvolle Weise die eindrucksvollen Umlaufzahlen der Regionalwährung, Gründer Christian Gelleri erinnerte an die Anfänge und bei einer lockeren Podiumsdiskussion erzählten Nutzer und Firmen ihre positiven Erfahrungen mit dem Chiemgauer und nannten als Ziel zum 20. Geburtstag: „Alle Geschäfte des täglichen Bedarfs in der Region sollen den Chiemgauer nehmen.“  Chiemgauer-Gründer Gelleri erzählte von der großen Freude, die ihm die Rede  des ehemaligen Bundespräsidenten Horst Köhler beim Jahresempfang der regionalen Wirtschaft in Bad Adelholzen bereitet hat: „Regionale Währungen sollen gerade dazu beitragen, dass man ein wenig stolz darauf sein kann, welchen Zwecken das eigene Geld zugute kommt.“

Miteinbezogen hat Köhler darin die Förderung der regionalen Wirtschaft, die Erhaltung regionaler Spezialitäten, die Vermeidung unnötiger Transportkosten, gemeinwohlorientierte Projekte, das gemeinsame Bewusstsein für regionale Wirtschaftskreisläufe und nicht zuletzt das „heimatliche Wir-Gefühl“. Diese Wertschätzung ist umso höher zu bewerten, als Köhler ja von Hause aus Ökonom ist: „ein tolles Lob eines ehemaligen Bundespräsidenten“, so Gelleri.

Richard Leitner bezeichnete den Chiemgauer als das erfolgreichste deutsche Regiogeld mit 600 beteiligten Unternehmen und einem Riesenumsatz von 6,5 Millionen Euro. Ein weiteres Merkmal des Chiemgauers sei sein schnelles Zirkulieren, „zwei bis drei Mal so schnell wie der Euro“. „Gründervater” Christian Gelleri berichtete von seiner persönlichen Motivation und den Anfängen als Schulprojekt an der Waldorfschule in Prien, wo er als Wirtschaftslehrer tätig war. Bei all den guten Erfolgen sei es aber keine Selbstverständlichkeit, dass der Chiemgauer auch in zehn Jahren noch existieren werde. Es müsse die kritische Masse erhalten bleiben, um die Wirtschaftlichkeit zu wahren. Ein Problem liege darin, den Chiemgauer in die Gemeindeverwaltungen hinein zu bringen, was bisher häufig an der Bürokratie gescheitert ist.

Zudem sei zu berücksichtigen, dass viele Chiemgauer-Mitarbeiter zum Großteil ehrenamtlich tätig sind und inzwischen an ihre persönlichen Grenzen stoßen. An die Chiemgauer-Nutzer appellierte Gelleri, die Regionalwährung immer wieder ins Gespräch zu bringen und konsequent zu verwenden. „Ein Umsatz von 20 Millionen wäre gar nicht so schwer zu erreichen“, meinte er, „wenn alle Mitglieder den Chiemgauer auch wirklich nutzen würden.“  Ein Stück mehr Dreistigkeit im positiven Sinn forderte Moderator Bernhard Zimmer von den Chiemgauer-Nutzern. Diese sollten immer wieder in den Geschäften des täglichen Einkaufs nachfragen, ob sie nicht auch Chiemgauer annehmen wollten.

Die Podiumsteilnehmer berichteten dazu über eigene Erfahrungen: Martina Christoph aus Inzell etwa zahlt bei Handwerkern das Trinkgeld in Chiemgauern aus. Stefan Magg, der Geschäftsführer von Biofair, handelt mit seinen Lieferanten gewisse Quoten über die Bezahlung von Rechnungen in Chiemgauern aus. Karin Wiedemann von gleichnamigen Haushaltsgeschäft in Waging berichtete vom Erfolg des stetigen Nachfragens nach der Akzeptanz von Chiemgauern. Ein großer Befürworter des Chiemgauer ist Jürgen Wernhöner vom Sozialwerk Stephanskirchen. Diese Einrichtung profitiert von dem Drei-Prozent-Anteil, der vom gesamten Chiemgauerumsatz an Vereine und soziale Organisationen gespendet wird.

Daher ist er auch konsequent: Wo man die Wahl hat, wird nur dort eingekauft, wo man mit Chiemgauern bezahlen kann. Ähnlich sieht man es an der Waldorfschule in Prien: Ist sie doch die Einrichtung, die vom Chiemgauer am meisten profitiert - über 20.000 Euro in zehn Jahren. Zudem sei der Chiemgauer, wie Geschäftsführerin Susanne Zeisig berichtete, ein „gemeinschaftsbildender“ Faktor, der der Schule sehr gut tue.

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