Fachbereichsleiter Kurt Schmoll kritisiert "Arbeit nach Stoppuhr"
Situation in der Pflege ist "unmenschlich"

06.07.2017 | Stand 13.09.2023, 3:56 Uhr

Seit langem wird der Notstand im Bereich der Pflege angeprangert. Kurt Schmoll, Fachbereichsleiter für Seniorenhilfe beim Diakonischen Werk Traunstein fand jetzt deutliche Worte über die "unmenschlich" gewordene Situation und die "Arbeit nach Stoppuhr".

TRAUNSTEIN Seit 20 Jahren ist Kurt Schmoll, inzwischen Fachbereichsleiter Seniorenhilfe beim Diakonischen Werk Traunstein und auch Leiter des Chiemgau-Stifts in Inzell, mit der Betreuung alter Menschen befasst. Dabei ist, wie er der Mitgliederversammlung des Diakonischen Werks in eindringlichen Worten schilderte, die Situation nicht besser geworden. Er fasste die Entwicklung mit einer eingängigen Gegenüberstellung zusammen: „Vor 20 Jahren konnte man sich noch hinsetzen und eine Tasse Kaffee zusammen trinken. Die Zeit ist vorbei.“

Schmoll fand deutliche Worte für die seiner Meinung nach „unmenschlich“ gewordene Situation im heutigen Pflegeumfeld und man merkte ihm an, wie bedauerlich er die Entwicklung findet. „Im ambulanten Bereich muss heute fast nach der Stoppuhr gearbeitet werden.“ Wie die Pfleger mit den Leuten umgehen, das werde weder geprüft noch dargestellt. Wichtig sei heutzutage offenbar nur noch die Dokumentation, die mindestens einmal jährlich geprüft werde. Alles werde auf das Schriftliche reduziert, man fühle sich dadurch richtiggehend „entmündigt“. Das ist, so Schmoll, „sehr problematisch, denn die Pflege lässt sich nicht in eine Einrichtung hineinprüfen.“

Dazu komme noch der Pflegenotstand, was von der Politik ganz außer Acht gelassen werde. Zwar sei ein „Jahr der Pflege“ ausgerufen worden, „aber passiert ist gar nichts“. Das einzige, was den Politikern dazu eingefallen sei, war „der ganz tolle Vorschlag, alle sollten eine private Pflegeversicherung abschließen. Mehr kommt da nicht!“ Dabei sei der demografische Wandel ja nicht erst seit kurzem bekannt.

Den Notstand gebe es nicht nur in der Pflege, sondern ganz genau so im Klinikbereich. Dabei könne es nicht die Lösung sein, Pflegekräfte einzuführen. Denn die Pfleger aus anderen Ländern hätten auch einen anderen Ausbildungsstand, sprechen zumeist die Sprache nicht, und vor allem: „Sie können nicht deutsch schreiben“, was bei der Überbetonung von Dokumentation in den Einrichtungen ein Ausschlusskriterium sei. Abschließend meinte Schmoll in seinem engagierten Beitrag: „Das Thema ist bekannt. Es muss von der Gesellschaft und der Politik getragen werden.“ Von daher empfahl er, bei Wahlen in die jeweiligen Parteiprogramme „hineinzuschauen, wer was für die Pflege tut: denn es muss dringend etwas gemacht werden.“

Am Beispiel des Inzeller Chiemgau-Stifts, das Schmoll leitet, zeigte er auf, wie schwierig es ist, eine ordnungsgemäße Pflege aufrecht zu erhalten. Im Frühjahr habe man am Stift so hohe krankheitsbedingte Ausfälle gehabt, dass man keinen anderen Ausweg sah, als sich an Leiharbeitsfirmen zu wenden. Darüber habe man dann tatsächlich zwei Mitarbeiter gestellt bekommen. Das Problem dabei: „Wir können uns das auf Dauer nicht leisten, die kosten doppelt so viel wie normale Kräfte. Dazu müsse man die Unterkunft stellen, und sie brächten natürlich auch nicht die Leistung wie die festen Mitarbeiter.“

Von daher werde jetzt innerhalb des Diakonischen Werks versucht, im Bedarfsfall Mitarbeiter aus dem ambulanten Bereich als Springer in den stationären Einrichtungen, also den Heimen, einzusetzen. Es sei ein tägliches Problem, die Dienste abzudecken, klagte Schmoll, vor allem im Winter wegen des traditionell höheren Krankenstandes. „Eines Sonntags“, so der Heimleiter als gelernter Pfleger abschließend, „hab ich selber den weißen Kittel drübergezogen“, weil es gar nicht mehr anders ging. „Das kann aber kein Dauerzustand sein“ – auch wenn sich dieses Problem bei allen Trägern wie ein roter Faden durchziehe.

Der Anspruch sei ja enorm: So wollen allein beim Diakonischen Werk in der ambulanten Pflege, im Betreuten Wohnen und in den stationären Einrichtungen 600 Menschen täglich versorgt und betreut werden – und das an 365 Tagen über 24 Stunden: „Das ist schon beachtlich.“

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