Agrarreform gefordert:
Millionen Vogelbrutpaare in Deutschland verloren

23.10.2017 | Stand 03.08.2023, 1:21 Uhr
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Laut einer aktuellen Auswertung des bundesweiten LBV-Partners NABU hat Deutschland in nur zwölf Jahren 12,7 Millionen Vogelbrutpaare verloren (zwischen 1998 und 2009).

BERLIN/HILPOLTSTEIN Das entspricht 15 Prozent des Bestandes von 1998. Die summierte Zahl der Brutpaare aller Vogelarten ging in diesem Zeitraum von 97,5 auf 84,8 Millionen Paare zurück. „Umgerechnet auf Bayern bedeutet das für diesen Zeitraum einen Verlust von rund 2,5 Mio. Brutpaaren“, so der LBV-Vorsitzende Dr. Norbert Schäffer.

Die Auswertung beruht auf den Vogelbestandsdaten, die die Bundesregierung 2013 an die EU gemeldet hat. Bislang war jedoch nur die Zu- oder Abnahme auf Artenebene im Gespräch, nicht was die Ergebnisse für die Gesamtzahl bedeuten. Die Zahlen machen vor allem deutlich, dass zwar manche seltenen Arten zunehmen, dafür aber häufige und weit verbreitete Arten massiv abnehmen.

„Aufgrund dieser dramatischen Zahlen muss man von einem regelrechten Vogelsterben sprechen. Während wir es schaffen, große und seltene Vogelarten durch gezielten Artenschutz zu erhalten, brechen gleichzeitig die Bestände unserer Allerweltsvögel ein. Sie finden einfach in unserer heutigen aufgeräumten Agrarlandschaft außerhalb von Naturschutzgebieten keine Überlebensmöglichkeiten mehr“, sagt Olaf Tschimpke, Präsident des LBV-Partners NABU.

Bundesweit stellt allein der Star, frisch gekürter Vogel des Jahres 2018, 20 Prozent der verlorengegangenen Vögel . Mit fast 2,6 Mio. Brutpaaren weniger, ist diese Art besonders betroffen. Die häufigen Arten Haussperling, Wintergoldhähnchen und Buchfink folgen deutschlandweit auf den nächsten Plätzen. Neben dem Star finden sich mit Feldlerche, Feldsperling und Goldammer drei weitere Vögel der Agrarlandschaft unter den zahlenmäßig größten Verlierern. „Sowohl bei den seltenen als auch bei den häufigen Arten, sind die Vögel der Agarlandschaft am stärksten betroffen. In der Entwicklung unserer landwirtschaftlich genutzten Flächen ist auch der mutmaßliche Grund für diesen massiven Bestandseinbruch zu suchen“, sagt der LBV-Vorsitzende Dr. Norbert Schäffer.

Im betroffenen Zeitraum hat der Anteil an artenreichen Wiesen und Weiden oder Brachflächen drastisch ab-, dagegen der intensive Anbau von Mais und Raps stark zugenommen. Ein verblüffend ähnliches Muster wie bei der Entwicklung der Vogelzahlen zeigt sich bei der Zahl der Insekten: Eine gestern in der wissenschaftlichen Fachzeitschrift PLOS ONE veröffentlichte Studie hat bisherige dramatische Befunde zum Insektenrückgang in Nordwestdeutschland bestätigt. Seit den 90er-Jahren hat dort die Biomasse der Fluginsekten zwischen 76 bis 81 Prozent abgenommen. Durch die große Anzahl der untersuchten Standorte und Lebensräume kann die Studie als repräsentativ für ganz Deutschland erachtet werden. „Ein direkter Zusammenhang mit dem Vogelrückgang ist sehr wahrscheinlich, denn fast alle betroffenen Arten füttern zumindest ihre Jungen mit Insekten“, so Schäffer.

Da stark anzunehmen ist, dass die intensive Landwirtschaft der maßgebliche Treiber für diesen massiven Insektenrückgang ist, besteht hier auch der größte Handlungsbedarf. Insbesondere der Einsatz hochwirksamer Insektizide wie Neonikotinoide muss verboten werden. „Dass der Insektenrückgang besonders in dem Zeitraum eingesetzt hat, in welchem auch diese Pestizide erstmalig auf den Markt kamen, ist sicherlich kein Zufall. Es könnte ein Hinweis darauf sein, dass sie einen großen Anteil am Insektensterben haben“, sagt Norbert Schäffer.

NABU und LBV fordern die Koalitionsparteien einer neuen Bundesregierung daher dringend dazu auf, die Notbremse zu ziehen, und eine grundlegende Reform der Agrarförderung auf EU-Ebene durchzusetzen.

Öffentliche Gelder sollen nicht mehr mit der Gießkanne verteilt werden, sondern aus einem Naturschutzfonds an Landwirte für konkrete öffentliche Naturschutzleistungen gezahlt werden. „Nur so lässt sich das Verschwinden der Vögel vor unseren Augen aufhalten und rückgängig machen, bevor es zu spät ist“, so der LBV-Vorsitzende.

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