Fachleute klärten über Strahlengefahr auf
Siegsdorfer besorgt über Tetrafunk

05.07.2017 | Stand 13.09.2023, 5:56 Uhr
Andreas Wittenzellner

2013 soll flächendeckend der neue Digitalfunk für Sicherheitsorganisationen wie Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienste eingeführt werden. Wegen der noch ungeklärten Gesundheitsgefahren, einer veralteten Technik, unübersehbarer Kosten und Handhabungsproblemen gerät das Milliardenprojekt immer mehr in die Kritik. In Siegsdorf ließ jetzt eine „vertrauliche Verschlusssache” das Thema hochkochen.

TRAUNSTEIN In Siegsdorf formiert sich der Widerstand gegen das geplante Bauvorhaben des Bayerischen Innenministeriums, das am Wolfsberg eine Basisstation für den Digitalfunk für Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) errichten will. Am Dienstag Abend trafen sich rund 130 interessierte Bürger im überfüllten Siegsdorfer Pfarrheim und ließen sich von zwei Fachleuten über die Risiken der digitalen Funktechnik informieren.  Anwesend waren auch Siegsdorfs Bürgermeister Thomas Kamm und fast der vollständige Gemeinderat, der sich über die Risiken der Technik selbst ein Bild machen wollte.

Der Initiator der Bürgerinitiative (BI), Heinrich Albrecht, berichtete, dass er in einem als „vertrauliche Verschlusssache“ gekennzeichnetem Schreiben des Staatlichen Bauamts vom 14. Februar als betroffener Nachbar über das Vorhaben informiert worden sei. Das Bauamt fungiere als Bauherrenvertreter für das Innenministerium und ist für das Genehmigungsverfahren verantwortlich. Gemäß dem an dem Abend einzusehenden Schreiben sind in Bayern 750 ortsfeste Basisstationen geplant, im Amtsbezirk des Staatlichen Bauamts Traunstein etwa 45 Basisstationen.

Albrecht kritisierte die fehlende Offenheit und Transparenz des Innenministeriums gegenüber den Bürgern in dem Vorhaben und wies auf gesundheitliche Risiken hin: „Wir werden da komplett übergangen.“ Provokativ fragte er im Hinblick auf den bestehenden Mobilfunkmasten, ob man denn nicht schon genug verstrahlt sei. Nachdem das Thema im März auf der Tagesordnung des Siegsdorfer Gemeinderates gestanden sei, habe sich sehr schnell Widerstand im Ort gegen die geplante Maßnahme formiert.

Dem Gemeinderat dankte er dafür, dass die Entscheidung vorerst vertagt sei. Für die Sitzung des Rates am 11. April habe man einen offenen Brief mit 300 Unterschriften gegen die Funkstation an Siegsdorfs ersten Bürgermeister und die Gemeinderäte übergeben und das entschlossene „Nein“ der betroffenen Bürger deutlich gemacht.

Ulrich Weiner aus Augsburg schilderte seine Einschätzungen zum Digitalfunk, der den jetzt bestehenden Analogfunk ablösen soll. Er berichtete, dass das Projekt 1999 ursprünglich mit einer Milliarde DM veranschlagt gewesen sei. Der inzwischen „eingefrorene Betrag“ für das Projekt liege jetzt bei erwarteten bis zu zehn Milliarden Euro. 4.800 Sendestationen sollen für rund 500.000 Teilnehmer bundesweit eine flächendeckende Versorgung gewährleisten.

Weiner warnte davor, dass von Seiten des Bundes Versuche gemacht würden, die übersteigenden Kosten auf die Kommunen abzuwälzen. Für ihn sei der bundesweit einheitliche digitale Sprech- und Datenfunk ein Sicherheitsrisiko mit exorbitanten Kosten, dessen „veraltete Technik“ in anderen europäischen Ländern, die mit dem Systemaufbau früher begonnen haben, viele Probleme gebracht habe. Für die Polizei sei beispielsweise die Problematik gegeben, dass das System an potentiellen Brennpunkten wie Tunnel- und U-Bahnanlagen nicht funktioniere. „Es wird viel versprochen, aber wenig gehalten“, lautete sein Fazit.

Der Universitätsprofessor Klaus Buchner schilderte die gesundheitlichen Gefahren, die sich durch den Mobilfunk und durch den neuen Digitalfunk ergeben würden. Bei dem neuen Tetra-Funk wirke die Taktung negativ auf das Gehirn, die Pulsung der   Frequenzen liege im Bereich der menschlichen Herzrate. Für die Betreiber der Anlagen ergäben sich keine größeren Haftungsrisiken, da der Gesetzgeber hohe Grenzwerte festgelegt habe. Diese würde für Grundstückseigentümer bestehen, die ihre Grundstücke für die Sendestationen zur Verfügung stellen. Nachbareigemtümer hätten das Risiko, dass ihre Grundstücke deutlich an Wert verlieren würden. Bis zu 50 Prozent seien da keine Seltenheit.

Der neue Digitalfunk sei eine „unnötige Dauerbelastung für Mensch, Natur und Tier“, so der Physiker. Er erläuterte, dass man im Rahmen der Bestrahlung von menschlichen Zellen in Laborversuchen nachgewiesen habe, dass diese zu Erbschäden führe, die teilweise weitervererbt würden. „Die nächste Generation ist geschädigt, und die übernächste noch mehr“ warnte er eindringlich davor, sich den gepulsten Strahlen des Mobilfunks oder den Dauerstrahlen im Rahmen des Tetrafunks auszusetzen.

Den beiden Vorträgen folgte eine lange Diskussion. Walter Ponath, Traunsteiner Kreisvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei, machte deutlich, dass der in den Vorträgen als die bessere Alternative gepriesene bisherige analoge Funk eine Reihe von Problemen aufweise und beispielsweise in U-Bahnen, aber auch in der Region teilweise nicht richtig funktionieren würde. Polizeibeamte müssten dann für Dienstzwecke ihr privates Handy nutzen. Die Aussage passte auch zu den von der BI verteilten Berichte, in der unter anderem die Münchner Polizei den Probebetrieb nach gut zwei Monaten wieder abgebrochen hatte, nachdem unter anderem die Sprachqualität im Digitalnetz so schlecht war, dass sich die Beamten akustisch nicht verstanden.

Auf Zuschauerfragen zum geplanten Standort wehrte sich Bürgermeister Kamm dagegen dagegen, „jetzt einfach die ganze Verantwortung auf die Gemeinde abzuschieben“ und wies darauf hin, dass es im Fall dem Ablehnung zwischen der Diginet und einem privaten Grundstückseigentümer bereits einen Vertrag gäbe. Uni-Professor Buchner sagte, bisher hätten sich 50 Gemeinden in Bayern geweigert, einen Masten aufzustellen. Kamm informierte auch darüber, dass am 31. Mai um 17 Uhr im Siegsdorfer Festsaal eine öffentliche Veranstaltung unter Beteiligung der am Netzaufbau beteiligten Firmen stattfinden soll.

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