Gedächtnisstudie
Training für effizienteres und längeres Erinnern

10.03.2021 | Stand 10.03.2021, 9:48 Uhr

Jan Woitas/Symbolbild/dpa

Emma Alam kann sich in 15 Minuten 410 unzusammenhängende Wörter merken. Das ist ein Rekord - aber könnten das auch Normalos schaffen? Eine Studie zeigt, dass das Gedächtnis mit der Loci-Methode trainiert werden kann - mit überraschend schnellem Erfolg.

Eine Packung Brot steckt im Briefkasten, ein Sack Kartoffeln hängt am Fahrradlenker, eine Tafel Schokolade liegt auf dem Weg: So könnte der Einkaufszettel eines Gedächtnissportlers aussehen.

Aber auch «Normalos» können sogenannte Gedächtnispaläste nutzen und damit ihrer Erinnerung auf die Sprünge helfen. Das legt eine Studie nahe, deren Ergebnisse in der Fachzeitschrift «Science Advances» publiziert sind.

Ein Gedächtnispalast kann mit der sogenannten Loci-Methode (aus dem Lateinischen: «locus» - Ort oder Platz) aufgebaut werden. So kann man sich beispielsweise den Weg zum Supermarkt einprägen und die zu merkenden Dinge mit Stellen entlang des Weges verbinden. Nur Übung braucht es, und Wiederholung. Rekord-Gedächtnissportler wie die Pakistanerin Emma Alam können sich Hunderte Wörter merken - Alam zum Beispiel laut Guinness World Records in nur 15 Minuten 410.

Für die Studie untersuchten die Wissenschaftler um die Gedächtnisforscherin Isabella Wagner von der Universität Wien die Gehirne von Menschen mehrerer Gruppen. So wurden 17 Top-Gedächtnissportler, die die Loci-Methode beherrschten, mit 17 Probanden ähnlichen Alters und IQ-Werts verglichen, die mithilfe der Loci-Methode ihr Gedächtnis trainierten. Einbezogen wurden zudem Kontrollgruppen, die ihr Gedächtnis mit einer anderen Methode oder gar nicht trainierten.

Die Forscher fanden heraus, dass Loci-Probanden schon durch 30-minütige Trainingseinheiten an 40 Tagen innerhalb von sechs Wochen bessere und langlebigere Erinnerungen entwickelten. Mit MRT-Scans konnten die Forscher zeigen, dass ihre Gehirne infolge des Trainings effizienter arbeiteten und im Vergleich zu Kontrollpersonen mit weniger Aufwand eine bessere Leistung erbrachten.

Der Schlüssel zum Erfolg sei, neue Informationen in einem bereits bekannten Gerüst zu organisieren. «Wichtig ist, dass man eine Route wählt, mit der man sehr gut vertraut ist. Das kann durchaus eine aus der Kindheit sein. Aber auch Wege, die häufig gegangen werden, wie zum Beispiel der Arbeitsweg, passen», erklärte Wagner. Gedächtnissportler hätten sogar mehrere Routen zur Auswahl.

Die Forscher glauben, dass durch die visuelle Vorstellung verschiedene Bereiche des Gehirns angesprochen werden und sich so Dinge besser einprägen lassen. Der Straßenzug als gedankliches Gerüst hilft dabei, Assoziationen zu schaffen. «Je außergewöhnlicher oder lustiger diese Assoziationen sind, desto besser werden sie gemerkt», sagte Wagner.

Ob die Loci-Methode allgemein auch die Merkfähigkeit steigert und nicht nur die eingeübten Erinnerungen, sei noch nicht eingehend untersucht worden, erklärte die Expertin. «Mit Training wird man aber natürlich schneller dabei, sich neue Dinge mit dieser Methode einzuprägen. Besonders unzusammenhängende Information und Listenartiges kann so wesentlich besser erinnert werden.»

Ob auch kognitiv eingeschränkte Menschen mit dieser Methode ihr Gedächtnis verbessern könnten, werde in der Studie nicht thematisiert, merkte Richard Dodel, Demenz-Experte der Deutschen Gesellschaft für Neurologie, an. «Ein weiterer Schwachpunkt der Studie ist, dass wir nicht mehr über die Probanden und ihre kognitiven Fähigkeiten erfahren.» Das sei wichtig, um einen Vergleich zu den Fähigkeiten der Gedächtnissportler ziehen zu können.

«Mit der Loci-Methode können Menschen bis ins hohe Alter ihr Arbeitsgedächtnis trainieren. Bei Demenz – auch im Anfangsstadium – würde diese Methode aber nicht mehr helfen», so Dodel.