Nach Gorillas-Treffen
Heil: Sachgrundlose Befristungen müssen enden

20.07.2021 | Stand 21.07.2021, 11:49 Uhr

Ein Beschäftigter des Lieferdienstes Gorillas trägt einen Rucksack und steht vor den Fahrrädern. Foto: Annette Riedl/dpa

In der Corona-Krise boomen auch Lebensmittel-Lieferdienste. Doch aus Sicht der Beschäftigten geht das Wachstum auf Kosten der Arbeitsbedingungen.

Butter, Brot und Bier online bestellen und innerhalb von zehn Minuten geliefert bekommen, ohne dafür deutlich mehr zu bezahlen als im Supermarkt: Die Versprechen von neuen Lieferdienst-Start-ups wie Gorillas, Flink oder Getir klingen verlockend.

Doch den Preis für diesen Komfort zahlen aus Arbeitnehmersicht vor allem die Beschäftigten in den Lagern sowie die Fahrerinnen und Fahrer, die sogenannten Rider.

Seit Wochen protestieren sie vor allem beim jungen Berliner Lieferdienst Gorillas für bessere Arbeitsbedingungen, organisieren Sitzblockaden vor den Lagern und legen spontan die Arbeit nieder. Sie kritisieren unter anderem ihre befristeten Arbeitsverträge, den hohen Zeitdruck, schlechte Ausrüstung und unpünktliche sowie fehlerhafte Bezahlung. An diesem Dienstag hat sich Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) in den Streit eingeschaltet und sich in Berlin-Kreuzberg zum Gespräch mit den Ridern und Lager-Beschäftigten getroffen.

«Ich kann mich als Arbeitsminister nicht unmittelbar in Arbeitskämpfe einschalten, aber ich kann mich informieren», sagte er. Heil sprach sich erneut für das Ende von sachgrundlosen Befristungen aus. Er rief die Beschäftigten dazu auf, sich im Arbeitskampf mit den etablierten Gewerkschaften zusammenzutun.

Betroffene äußerten sich nach dem Gespräch enttäuscht. Sie hätten erwartet, dass der Minister sie in ihrem Streik unterstütze, sagte der Mitarbeiter Jakob Pomeranzev. Der einzige konkrete Vorschlag sei gewesen, den Berliner Senat einzuschalten. Die Rider hatten zuvor in dem Gespräch unter anderem von fehlender Ausrüstung, mangelndem Arbeitsschutz und Hindernissen bei der Gründung eines Betriebsrats berichtet.

Schon Ende November hatte Heils Ministerium ein Eckpunktepapier vorgestellt, um die Arbeitsbedingungen bei digitalen Plattformen stärker zu regulieren. Dabei geht es vor allem um mehr sozialen Schutz für Soloselbstständige sowie die Möglichkeit, kollektivrechtliche Organisationen wie Betriebsräte zu gründen. Allerdings sind die Beschäftigten von Gorillas in der Regel fest angestellt. Sie werfen dem Unternehmen vor, trotz befristeter Verträge von einem Jahr an der halbjährigen Probezeit festzuhalten, um Fahrer schnell wieder loswerden zu können.

Organisiert werden die Proteste bei dem Unternehmen bislang vom Gorillas Workers Collective (GWC), einem losen Zusammenschluss von Beschäftigten. Sie organisieren sich vor allem über den Messengerdienst Telegram, planen dort die Aktionen und nutzen die Plattform als Infokanal. Über Twitter rufen sie zu Spenden auf, um den Lohnausfall nach Arbeitsniederlegungen kompensieren zu können.

Zwar sind die Beschäftigten in der Regel nicht gewerkschaftlich organisiert. Verdi bietet ihnen aber Unterstützung an, etwa bei einer geplanten Betriebsratsgründung. Leicht ist das nicht. Die Beschäftigten äußerten sich am Dienstag vor allem skeptisch: «Die Gewerkschaften unterstützen uns, aber sie wollen das Risiko unserer Streiks nicht mittragen», sagte Pomeranzev, der im GWC mitmacht. Die Verdi-Gewerkschaftssekretärin Maren Ulbrich hatte bereits am Montag gesagt: «Wir haben unsere Unterstützung angeboten und werden dort helfen, wo die Beschäftigten aktiv werden und sich gewerkschaftlich organisieren.»

Heil traf sich vor den Gesprächen mit den Beschäftigten auch mit dem Management des Unternehmens. Die Arbeitgeberseite gibt sich zumindest nach außen hin kooperativ. «Uns liegen die Interessen unserer Rider am Herzen, und wir nehmen ihr Feedback äußerst ernst», teilte das Unternehmen am Samstag anlässlich der Protestaktion mit. «Wir unterstützen ausdrücklich und uneingeschränkt die Gründung eines Betriebsrats bei Gorillas und werden dafür selbstverständlich alle benötigten Mittel zur Verfügung stellen.» Die Beschäftigten erreichten sie am Dienstag mit solchen Aussagen nicht.