Corona-Krise
Arbeitgebervorstoß verschärft Tarifkonflikt im Einzelhandel

06.07.2021 | Stand 07.07.2021, 14:40 Uhr

Daniel Reinhardt/dpa

Eine Einigung in den Tarifverhandlungen ist in diesem Jahr besonders schwer. Ein Teil des Handels will nun noch vor dem Tarifabschluss einseitig die Löhne und Gehälter erhöhen. Eine Provokation für Verdi.

Der Tarifstreit im Einzelhandel spitzt sich weiter zu. Der Handelsverband Deutschland (HDE) empfahl am Dienstag Einzelhändlern, die gut durch die Corona-Krise gekommen sind, die Löhne und Gehälter ihrer Mitarbeiter noch vor einem Tarifabschluss freiwillig um zwei Prozent zu erhöhen.

Bei der Gewerkschaft Verdi sorgte der ungewöhnliche Vorstoß für Empörung. «Damit verschärft der HDE den Tarifkonflikt im Einzel- und Versandhandel und erschwert die ohnehin komplizierten Verhandlungen weiter», sagte der Verdi-Bundesfachgruppeleiter Einzelhandel, Orhan Akman.

Mehrere große Handelsketten wie Ikea, Otto, die Rewe-Gruppe mit ihren tarifgebundenen Einzelhandelsgeschäft bei Penny und Rewe sowie mehrere Regionalgesellschaften des Edeka-Verbundes mit ihren tarifgebundenen Filialen haben laut HDE bereits verbindlich erklärt, die freiwillige Entgelterhöhung umsetzen zu wollen. Eine Rewe-Managerin sagte, der Handelsriese wolle nicht, dass Mitarbeiter, die sich mit vollem Einsatz für die Bewältigung der Pandemie einsetzten, noch unbestimmte Zeit auf einen Tarifabschluss warten müssten.

Verdi reagierte verärgert. «Mit diesem Versuch einer einseitigen Lohnfestsetzung zündelt der HDE in der laufenden Tarifrunde», sagte Akman. Der HDE habe offenbar kein Interesse an einem zügigen Tarifabschluss mit Reallohnerhöhungen. Stattdessen sollten die Beschäftigten billig abgespeist werden. Das bisherige Angebot der Arbeitgeber liege unter der für 2021 prognostizierten Inflationsrate und sei «ein Schlag ins Gesicht der Kolleginnen und Kollegen, die Tag für Tag ihre Gesundheit aufs Spiel gesetzt haben, um die Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen».

Die Tarifverhandlungen im Einzelhandel mit seinen mehr als drei Millionen Beschäftigen sind dieses Jahr besonders kompliziert. Wegen der Corona-Pandemie gibt es viel größere Unterschiede bei der wirtschaftlichen Lage der Händler als sonst. Während etwa Lebensmittelhändler zu den Krisengewinnern gehörten und in der Pandemie enorme Umsatzsteigerungen verzeichneten, brachen die Umsätze im Modehandel mit coronabedingten Ladenschließungen ein.

Die Arbeitgeber dringen deshalb in den Verhandlungen auf eine Differenzierung zwischen Unternehmen je nach Betroffenheit von der Krise. In den Tarifverhandlungen vereinbarte Lohnerhöhungen sollen nach den Plänen der Arbeitgeber bei den härter getroffenen Unternehmen erst mit deutlicher Verzögerung greifen.

Das stößt bei der Gewerkschaft Verdi auf wenig Gegenliebe. Sie fordert eine pauschale Erhöhung der Entgelte um 4,5 Prozent. Denn Beschäftigte in den von der Krise hart getroffenen Unternehmen brauchten mehr Geld. Sie seien oft von Kurzarbeit betroffen gewesen und hätten in der Pandemie erheblich an Einkommen verloren. Ihren Forderungen hatte die Gewerkschaft zuletzt wiederholt mit Warnstreiks Nachdruck verliehen.

Mit seinem überraschenden Vorstoß will der Einzelhandel nun offensichtlich der Gewerkschaft den Wind aus den Segeln nehmen. Im Laufe des Sommers könne dann «in der nötigen Sachlichkeit und Ruhe über einen differenzierten Tarifabschluss für die gesamte Branche verhandelt werden», sagte HDE-Geschäftsführer Steven Haarke.

Die zur Schwarz-Gruppe gehörenden Handelsketten Lidl und Kaufland hatte bereits Ende Mai angekündigt, die Löhne ab Juli freiwillig um drei Prozent zu erhöhen und angekündigt, auch an der Lohnerhöhung festzuhalten, falls der Tarifabschluss niedriger ausfalle.