Russische Invasion
Krieg gegen die Ukraine: So ist die Lage

06.10.2022 | Stand 06.10.2022, 5:24 Uhr

Ukraine-Krieg - Ukrainische Soldaten fahren eine Straße zwischen Isjum und Lyman entlang. - Foto: Francisco Seco/AP/dpa

Die Ukraine hat in den vergangenen Tagen laut Präsident Selenskyj Dutzende Ortschaften aus russischer Besatzung befreit. «Unsere Soldaten stoppen nicht», verspricht. Meldungen im Überblick.

Bei dem Vormarsch der ukrainischen Armee sind nach Angaben von Präsident Wolodymyr Selenskyj in den vergangenen Tagen Dutzende Ortschaften aus russischer Besatzung befreit worden. Es gebe gute Nachrichten, sagte Selenskyj in einer in Kiew verbreiteten Videobotschaft.

«Die ukrainische Armee dringt ziemlich schnell und kraftvoll vor bei der gegenwärtigen Verteidigungsoperation im Süden unseres Landes.» Es seien Ortschaften in den Gebieten Cherson, Charkiw, Luhansk und Donezk wieder unter ukrainische Kontrolle gebracht worden.

Insbesondere im Gebiet Cherson im Süden seien Ortschaften befreit worden. Die ukrainischen Streitkräfte sprachen am Abend von insgesamt acht Siedlungen. «Unsere Soldaten stoppen nicht. Und es ist nur eine Frage der Zeit, bis wir die Okkupanten von unserem Land vertrieben haben», sagte Selenskyj.

Die Ukraine meldet nach der völkerrechtswidrigen Annexion mehrerer Gebiete durch Russland immer wieder Erfolge bei ihrer Gegenoffensive. Der Vormarsch der Truppen bereitet den russischen Einheiten gleich an mehreren Frontabschnitten Probleme. Russland hatte zuletzt Truppen zurückgezogen, um eine Einkesselung zu verhindern.

Peskow: Russland will Gebiete wieder kontrollieren

Kreml-Sprecher Dmitri Peskow sagte, Russland wolle die zuletzt von ukrainischen Truppen befreiten Gebiete nicht aufgeben und bald wieder unter seine Kontrolle bringen. «Sie werden für immer zu Russland gehören», sagte Peskow am Mittwoch in Moskau der Staatsagentur Tass zufolge. Er bezog sich damit auf Teile von Gebieten, die Russland völkerrechtswidrig annektiert hat, die aber unter der Kontrolle ukrainischer Truppen sind. Bestimmte Gebiete müssten noch eingenommen werden, sagte Peskow mit Blick auf die Gegenoffensive des Nachbarlandes ein. «Wir werden uns mit der Bevölkerung beraten, die mit Russland leben möchte.»

Nach Angaben aus Kiew hat die russische Armee erstmals Ziele nahe der ukrainischen Hauptstadt mit Kamikaze-Drohnen angegriffen. «Es gab sechs Einschläge und Explosionen», teilte der Gouverneur des Gebiets Kiew, Olexij Kuleba, am Mittwoch im Nachrichtendienst Telegram mit. In der Kleinstadt Bila Zerkwa sei ein Mensch verletzt worden. Getroffen worden sei Infrastruktur. In der Nacht hatte es in der Hauptstadt und dem angrenzenden Gebiet über drei Stunden lang Luftalarm gegeben.

Gegenoffensive sorgt offenbar für Versorgungsprobleme

Nach Einschätzung britischer Geheimdienste bereitet die fortschreitende ukrainische Gegenoffensive Russland Probleme bei der Versorgung seiner eigenen Truppen. So seien ukrainische Einheiten in der nordöstlichen Region Charkiw bis zu 20 Kilometer hinter den Fluss Oskil in die russische Verteidigungszone vorgedrungen, hieß es am Mittwoch im täglichen Kurzbericht des britischen Verteidigungsministeriums. Damit näherten sich die Truppen einem Versorgungsknotenpunkt in der Stadt Swatowe.

Die Ukraine könne mit ihren Waffensystemen nun mutmaßlich eine wichtige Straße in der Region angreifen und damit die Möglichkeiten der Russen, ihre Truppen im Osten mit Nachschub zu versorgen, weiter einschränken, hieß es. Die Geheimdienste gehen davon aus, dass der ukrainische Vormarsch auf die Grenzen des Gebiets Luhansk für die russische Führung besorgniserregend sein dürfte, nachdem diese die Region in der vergangenen Woche annektiert hat.

Kremlchef Wladimir Putin hatte überdies zur Verstärkung der russischen Streitkräfte eine Teilmobilmachung angeordnet. Von 300.000 Reservisten, die eingezogen werden sollen, seien inzwischen zwei Drittel einberufen, hatte Verteidigungsminister Sergej Schoigu zuvor mitgeteilt.

Russland war am 24. Februar in die Ukraine einmarschiert und hat inzwischen vier Gebiete in der Süd- und Ostukraine annektiert. Präsident Putin hatte am Freitag mit den von Moskau eingesetzten Besatzern die international nicht anerkannten Verträge über den Beitritt unterzeichnet. Nach Russlands Staatsduma ratifizierte am Dienstag auch der Föderationsrat Moskaus die völkerrechtswidrige Einverleibung. Am Mittwoch trat das Gesetz mit der Unterschrift Putins in Kraft. Moskau kontrolliert aktuell nur Teile der annektierten Gebiete, aber sie stehen nun offiziell unter dem Schutz der Atommacht.

Derweil ist in Russland der Verkauf von Antidepressiva in Apotheken deutlich gestiegen. In der Woche vom 19. bis 25. September sei der Absatz um 120 Prozent gestiegen, meldete die Staatsagentur Tass am Mittwoch unter Berufung auf Zahlen des Chemiekonzerns DSM. Die Chefin der Allianz pharmazeutischer Verbände, Viktoria Presnjakowa, sagte der Staatsagentur, seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine Ende Februar sei die Nachfrage nach Antidepressiva, Schlaf- und Beruhigungsmitteln in Russland gegenüber den Vorjahren deutlich gestiegen. Sie führte das auf die «geopolitische und wirtschaftliche Lage» zurück.

Nach ihren Angaben gibt es viele Patienten, die sich zum ersten Mal solche Mittel verschreiben ließen. Die Bevölkerung kaufe aber auch nicht rezeptpflichtige Arzneimittel zur Beruhigung. Viele Medikamente, die etwa in Deutschland rezeptpflichtig sind, gibt es in Russland einfach in der Apotheke zu kaufen.

Fernsehredakteurin flieht aus Hausarrest

Des Weiteren ist die wegen ihrer Kritik an Russlands Krieg gegen die Ukraine bekannt gewordene frühere russische Fernsehredakteurin Marina Owsjannikowa nach eigenen Angaben aus dem Hausarrest geflohen. Die 44-Jährige schrieb am Mittwoch im Nachrichtendienst Telegram: «Ich betrachte mich als völlig unschuldig und da unser Staat sich weigert, sich an seine eigenen Gesetze zu halten, weigere ich mich seit dem 30. September 2022, mich an die mir auferlegte Zwangsmaßnahme in Form von Hausarrest zu halten, und ich entlasse mich selbst aus diesem.»

Der Hausarrest war nach früheren Angaben zunächst bis zum kommenden Sonntag angesetzt worden. Owsjannikowa steht inzwischen auf einer Fahndungsliste. Der Arrest ist Teil eines Strafverfahrens, in dem sie wegen der Verbreitung von angeblichen Falschinformationen über die russischen Streitkräfte angeklagt ist. Dabei drohen ihr der Agentur Interfax zufolge zwischen fünf und zehn Jahren Haft. Die frühere Journalistin machte zunächst keine Angaben zu ihrem Aufenthaltsort.

UN soll über russische Annexion beraten

Wie aus den von Putin unterschriebenen Dekreten hervorgeht, wird im Donezker Gebiet der bisherige Separatistenführer Denis Puschilin als Chef eingesetzt und in Luhansk der dortige Separatistenführer Leonid Passetschnik. Für das Gebiet Saporischschja wird demnach Jewgeni Balizki verantwortlich sein, der bisherige Statthalter dort. Wladimir Saldo wird Leiter des Gebiets Cherson. Er war zuvor schon Besatzungschef. Regionalparlamente in den besetzten Gebieten sollen den russischen Plänen zufolge erst im September nächsten Jahres gewählt werden.

Die Vollversammlung der Vereinten Nationen soll sich am kommenden Montag in einer Dringlichkeitssitzung mit der völkerrechtswidrigen Annexion von Teilen der Ostukraine durch Russland beschäftigen. Das geht aus einem Brief des größten UN-Gremiums an die 193 Mitgliedsstaaten hervor. Bei den Beratungen ab diesem Montag um 21 Uhr deutscher Zeit soll es Diplomaten zufolge auch eine Abstimmung über eine Resolution geben, die Moskaus Taten verurteilt.

Gegen einen ähnlichen Beschlussentwurf hatte Russland am Freitag im UN-Sicherheitsrat - dem mächtigsten Gremium mit 15 Mitgliedern - sein Veto eingelegt. China, Indien, Brasilien und Gabun hatten sich enthalten. Bei der Abstimmung in der UN-Vollversammlung wird mit einer großen Mehrheit für die Verurteilung gerechnet.

USA sagen der Ukraine weitere Waffenlieferungen zu

Für ihren Kampf gegen die russischen Eindringlinge setzt die Ukraine auf westliche Waffen. Die US-Regierung kündigte weitere Lieferungen im Wert von 625 Millionen US-Dollar (625 Millionen Euro) an. Das Paket beinhalte unter anderem weitere Mehrfachraketenwerfer von Typ Himars, Munition und gepanzerte Fahrzeuge, wie das Weiße Haus am Dienstag mitteilte.

In einem Telefonat mit Selenskyj betonte US-Präsident Joe Biden demnach, dass die USA die völkerrechtswidrige Annexion von Teilen der Ostukraine durch Russland niemals anerkennen werden. Biden betonte die Bereitschaft der US-Regierung, jedes Land, das die Annexion unterstütze, mit «hohen Kosten» zu belegen. Er versprach, der Ukraine bei ihrer Verteidigung so lange wie nötig zu helfen. Selenskyj bedankte sich in seinem Video bei Biden und den USA.

Bei dem Rüstungspaket für die Ukraine handelt es sich nach US-Angaben um Bestände des Pentagons. Damit erhöhe sich die militärische Unterstützung der USA für die Ukraine seit Beginn von Bidens Amtszeit auf einen Gegenwert von insgesamt 17,5 Milliarden Dollar. Der Großteil der Hilfen wurde seit Beginn des russischen Angriffskriegs gewährt. Erst vergangene Woche hatte die US-Regierung ein Rüstungspaket im Wert von 1,1 Milliarden US-Dollar zugesagt.

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