Das 9:2-Torfest ist eine bemerkenswerte Bayern-Botschaft an Europa. Am „irren“ Abend trifft Kane viermal, dreimal vom Punkt. Müller hebt eine Mentalität hervor, Eberl will Kane bei der Garage helfen.
Lächelnd knipste Vier-Tore-König Harry Kane ein Selfie mit dem silbernen Mini-Pokal für den gefeierten Star dieses Rekord-Abends. Den Spielball der Elfmeter-Show als weitere Trophäe steckte der 31-Jährige in eine weiße Plastiktüte und verließ nach dem Signal an Fußball-Europa stolz das Endspiel-Stadion der Saison. Der FC Bayern ist mit dem 9:2 (3:0) als höchstem Sieg seiner Champions-League-Historie eindrucksvoll auf den langen Weg Richtung des Finales in München aufgebrochen. „Eine unglaubliche Nacht“, sagte Englands Nationalmannschaftskapitän Kane.
Drei Tage nach dem Dreierpack in der Bundesliga in Kiel demonstrierte Kane beim Königsklassen-Knallstart gegen Dinamo Zagreb eindrucksvoll, dass er das EM-Trauma nach dem verlorenen Endspiel gegen Spanien verarbeitet hat. Er führte die Münchner zum ersten Neun-Tore-Auftritt einer Mannschaft in Europas Elite-Liga. „Der Sieg ist so hoch ausgefallen, weil wir gierig waren“, frohlockte Thomas Müller nach der bestaunten Bayern-Botschaft in der reformierten Champions League. Nur Real Madrid und der FC Liverpool jeweils mit 8:0-Erfolgen gewannen überhaupt je höher.
Kane erlebt Novum und kommt ins Grübeln
Kane (4), Michael Olise (2), Raphaël Guerreiro und später die Joker Leroy Sané beim Saisondebüt und Leon Goretzka in schwierigen Münchner Tagen verzückten die 75.000 Zuschauer. Der im Vorjahr für 100 Millionen Euro verpflichtete Kane kam allerdings zwischenzeitlich ins Grübeln. Denn drei Elfmeter in einem Spiel waren selbst für den international so routinierten Three-Lions-Leader ein Novum.
„Beim dritten Elfmeter wusste ich gar nicht mehr, wohin ich schießen sollte“, sagte Kane. Seine 100-Prozent-Bilanz vom Punkt für Bayern steht nach den Versuchen 11 bis 13. „Schon irre“, staunte Bayern-Vorstandschef Jan-Christian Dreesen über das Elfer-Triple gegen Zagreb und erinnerte sich an einen 9:0-Abend mit fünf Toren von Gerd Müller vor einem halben Jahrhundert. „Das hat schon eine Kategorie. Das war außergewöhnlich“, sagte Dreesen.
Kompany weiter Gewinner zum Saisonstart
Als zweiter großer Gewinner des Abends ließ sich Neu-Coach Vincent Kompany nach seinem denkwürdigen Trainer-Debüt in Europas Krösus-Liga beglückwünschen. „Es hat einfach Spaß gemacht, die Energie war gut“, sagte der 38 Jahre alte Belgier. Kompany hob Kanes Qualitäten nach dem EM-Tiefschlag hervor: „Harry ist ein Führungsspieler. Solche Spieler wissen, dass sie aufstehen müssen.“
Nach drei Siegen in der Bundesliga sowie je einem im Pokal und in Europa wird beim tempogeladenen Pressingfußball mehr und mehr ersichtlich, wie es der FC Bayern nach der Titel-Nullnummer zu neuer Silberware und in ein zweites Finale dahoam am 31. Mai 2025 schaffen will. Defensiv verteidigt die Mannschaft hoch, vorn kommt das variantenreiche Offensivspiel mit den vielfältigen Qualitäten vor allem Kane zugute.
Neuer raus - aber Entwarnung
„Am ersten Spieltag ist noch keiner Meister oder Champions-League-Sieger geworden. Es ist ein langer harter Weg, gerade in der Champions League“, sagte Kapitän Manuel Neuer nach dem Sprung an die Tabellenspitze der neuen 36er Liga. Der 38-Jährige musste zur Pause wegen Oberschenkelproblemen raus, gab aber schnell Entwarnung: „Nichts Gravierendes, also eine Kleinigkeit.“ Gegen Bremen am Samstag will der Schlussmann, der das Finale in München aus dem Jahr 2012 noch in schmerzhafter Erinnerung hat, spielen.
Die Risiken der mutigen Verteidigungsarbeit deckten die Kroaten kurz nach der Pause durch zwei Treffer gegen Neuer-Vertreter Sven Ulreich auf und verkürzten auf 2:3. „Aber wir haben und werden auch in Zukunft aus diesen Pressingsituationen mehr Tore schießen, als wir kassieren“, entgegnete Müller. Belegt werden könnte diese These am 28. September im Liga-Gipfel mit Meister Bayer Leverkusen oder in den härteren Champions-League-Prüfungen gegen den FC Barcelona (23.10.) und Paris Saint-Germain (26.11.).
„Lust auf Tore“
In der Vorsaison kamen die Münchner nach solchen Phasen wie beim 2:3 oft ins Wanken. Diesmal folgten eine starke Reaktion und reichlich Tore. Müller stellte die Rückkehr der Tugend, „dieses Weitermachens“, fest. „Das kann man natürlich schon schön reininterpretieren in so ein 9:2.“ Nach dem Torfest als „ein Brett“ wies auch Mittelfeldchef Joshua Kimmich auf die Torgier hin. „Man hat schon gemerkt, dass jeder Lust hatte, Tore zu erzielen - aber nicht vogelwild“, beschrieb der Neuer-Kapitänsvertreter den Angriffsstil.
Mit dem 21. Auftaktsieg nacheinander wurden die Münchner am Dienstagabend ihrem Ruf als Startspezialisten auch im neuen Ligasystem gerecht. Und Kane dem als Tor-Trophäensammler. „Ich flachse schon immer, wie groß sein Schrank im Keller sein muss“, sagte Sportvorstand Max Eberl. „Er soll ruhig weiter mit ganz vielen Bällen rausgehen. Wir helfen ihm auch, bei der Garage anzubauen.“
Kane mit Forderung
Nach dem höchsten Sieg des FC Bayern in nun 295 Champions-League-Partien hofft Kane mehr denn je, dass er endlich auch einmal einen Mannschaftstitel gewinnen kann. Denn Man-of-the-Match-Trophäen und Spielbälle sind ihm nicht genug. „Wir haben diesmal all unsere Qualität gezeigt“, sagte Kane nach seinen Pflichtspieltreffern 50 bis 53 im Bayern-Trikot. „Wir müssen den Fuß auf dem Gaspedal lassen.“
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