Das ist Deutschlands neuer Neuner
Der „Killer mit der Zahnlücke“: Füllkrugs Fußballmärchen – trotz Knorpelschaden in beiden Knien

29.11.2022 | Stand 19.09.2023, 3:03 Uhr

Niclas Füllkrug −Foto: imagoimages

Deutschland spielt wieder mit Mittelstürmer – und mit was für einem. Die Fußball-Welt staunt über den international bis dato unbekannten DFB-Retter Niclas Füllkrug.



Diesen verblüffenden „Killer mit der Zahnlücke“, wie die ehrwürdige britische „Times“ dichtete. „Einen unglaublich geilen Typen“, nannte WM-Veteran Thomas Müller den baumlangen Bremer Torjäger „mit dem Hammer mit dem rechten Fuß“. Kapitän Manuel Neuer diktierte seine Begeisterung im Telegrammstil: „Als Typ super – und als Spieler auch.“

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Den treffendsten Satz über Füllkrug, Spitzname „Lücke“, formulierte am Sonntagabend nach dem spannenden und rasanten 1:1 der Fußball-Nationalmannschaft gegen Spanien Abwehrchef Antonio Rüdiger. „Niclas gibt uns vorne etwas, was wir so nicht haben.“ Der Torjäger klassischer Prägung stillt die Sehnsucht im Land des viermaligen Weltmeisters nach dem echten Neuner. Dieser war Füllkrug in der 83. Minute, als er im Strafraum entschlossen zum Balldieb wurde und mit seinem fulminanten Torschuss für erste deutsche Glücksgefühle bei dieser umstrittenen WM in Katar sorgte.

Füllkrug: „Ich bin in solchen Situationen sehr entspannt“

Und danach? Stand der 29-Jährige, der erst elf Tage zuvor im Oman zum Nationalspieler geworden war (übrigens gleich mit dem Siegtor zum 1:0) nach Mitternacht im Al-Bait-Stadion und mochte sein so wichtiges Tor nicht noch wichtiger machen als es war. „Ich bin in solchen Situationen sehr entspannt. Es ist ja nicht das erste Tor, das ich geschossen habe, auch nicht das erste wichtige. Und das eine Tor von mir bringt mir relativ wenig, wenn wir am Ende nicht die Gruppenphase überstehen“, sagte Füllkrug nach seinem ersten WM-Treffer.

2. Bundesliga, Bundesliga, Weltmeisterschaft – ist doch ganz egal, wann und wo dieses coole Nordlicht als Stürmer trifft. „Lücke“ ist eben „Lücke“. Weltfußballer Robert Lewandowski, der Torminator schlechthin auf dem Fußball-Globus, vergoss Tränen, als er in Katar gegen Saudi-Arabien endlich sein erstes WM-Tor erzielte.

„Fülle“ liefert ein Adventsgedicht, dass sich noch zu einem WM-Weihnachtsmärchen entwickeln könnte. Die „L’Équipe“, Frankreichs Sport-Leitmedium, fragte: „Wer ist Niclas Füllkrug, der Angreifer von Werder Bremen?“ Und gab selbst die Antwort: „Die Überraschung auf der Liste von Hans-Dieter Flick für die WM in Katar.“ Der Mann, den die Spanier nicht auf dem Zettel hatten, weil sie ihn eben nicht aus der Champions League kennen.

Aber wer ist eigentlich dieser Niclas Füllkrug?

- Füllkrug (189 cm, 83 kg) wurde am 9. Februar 1993 in Hannover geboren. Bis zum Alter von 14 Jahren spielte er im hannoverschen Stadtteil Ricklingen. In der F-Jugend schoss er einmal 162 Tore in einer Saison.

- Fußball liegt Füllkrug im Blut. Papa Andreas, einst sein Trainer, spielte beim Heimatverein TuS Ricklingen, Opa Gerd kickte zeitweise sogar in der 2. Bundesliga (Arminia Hannover). Und: Auch Niclas Füllkrugs Schwester Anna-Lena ist erfolgreiche Torjägerin. Die 25-Jährige stürmt derzeit für Hannover 96, spielt in der Regionalliga.

- Seine heutige Frau Lisa lernte Füllkrug schon in der Grundschule kennen. Seit 2016 sind beide verheiratet, haben mittlerweile eine Tochter (Emilia).

- 2006 wechselte er zu Werder Bremen. Füllkrug spielte von der U18 bis zur U20 auch schon für den DFB, vor allem Trainer Horst Hrubesch förderte ihn. Doch bei Werder schaffte er zunächst nicht den Durchbruch ins Profiteam und musste einen weiten Umweg gehen: Fürth, Nürnberg, dann Hannover. Dort erst packte Füllkrug endgültig den Sprung ins Erstliga-Geschäft. Unter Andre Breitenreiter stand er in jeder Bundesliga-Partie auf dem Rasen, glänzte mit 14 Toren. Zur Saison 2019/20 kehrte Füllkrug zu Werder Bremen zurück.

- Mitte September 2019 zog er sich im Training einen Kreuzband- und Außenmeniskusriss am linken Knie zu, fiel lange aus. Heute spielt er mit einen Knorpelschaden in beiden Knien.

- Im Sommer verlängerte Füllkrug seinen Vertrag bei Bremen vorzeitig bis 2025. Und verzichtete dabei auf ordentlich Geld. Weil Werder trotz des Aufstiegs finanzielle Probleme hatte, verdient der Stürmer nun angeblich 30 Prozent weniger als vorher (geschätzt 2,5 Millionen Euro). Füllkrug sagte dazu im ZDF-Sportstudio: „Am Ende muss ich das nicht machen. Ich mache das, weil ich bei Werder Bremen spielen möchte, weil ich an die Mannschaft glaube.“ Und: „Ich kann noch gut leben.“

- Sein Mentor Horst Hrubesch ist auch heute noch Fülle-Fan. Einen so wuchtigen Stürmer habe Flick „sonst nicht im Kader“, der Bremer bringe „alle Voraussetzungen mit“, sagt er. Hrubesch mag den Typen Füllkrug, der „immer ein bisschen Schlitzohr“ sei. „Fülle ist ein Teamleader, er bringt viel Energie rein“, urteilt auch Flicks Assistent Danny Röhl. Und der Bundestrainer meinte nach dem Spanien-Spiel: „Ich denke, dass er mit seiner Entschlossenheit gezeigt hat, wie man Tore schießt. Das zeichnet ihn aus. Deswegen ist er auch dabei. Er gibt der Mannschaft sehr viel, nicht nur dieses Tor.“

- Manchmal, gibt Füllkrug zu, mache er aber „im falschen Moment den Mund auf“. Unvergessen bleibt sein Kabinen-Zoff mit Profi-Chef Clemens Fritz nach dem 0:3 in Darmstadt in der letzten Saison. Oder der Ärger mit Sturm-Partner Marvin Ducksch, den er in der Halbzeit anbrüllte: „Es geht darum, wie wir miteinander reden. Wenn du noch einmal deine Fresse aufmachst, ich schwöre es dir, ich gebe dir eine Schelle.“ Zu sehen in dies in der Werder-Doku auf DAZN.

- Spitzname Lücke. Bekam er einst von Ex-Teamkollege Marko Arnautovic verpasst. Als junger Kerl trug Füllkrug Zahnspange. Die Lücke wurde geweitet, um Platz für ein Implantat zu schaffen – doch dann wurde Füllkrug Profi und hatte keine Zeit, die Behandlung fortzusetzen. Jetzt „ist die Lücke mein Markenzeichen“, sagt er.

- Bei Bremen bildet Füllkrug mit Marvin Duksch ein kongeniales Sturmduo. Kurios: Als er nach einem Spitznamen gefragt wurde, welcher dieses Angriffsduo am besten beschreiben würde, antwortete Füllkrug: „die hässlichen Vögel“.

- Nach seiner Profi-Laufbahn will Füllkrug als Hobby-Kicker weitermachen: „Ich habe noch ein paar richtig gute Jahre vor mir. Wenn ich mit Profi-Fußball aufhöre, fange ich mit Amateur-Fußball an. Kicken werde ich immer.“

- Bei der WM hofft Füllkrug nun auf noch mehr Einsatzzeit. Flick habe in den Tagen vor Spanien viel mit ihm geredet, „viel Zuspruch gegeben“, berichtete Füllkrug: „Ich konnte seine Hoffnung erfüllen: Präsenz im Sechzehner, Torgefahr auf den Platz bringen, ja, was man sich einfach so von einem echten Stürmer erhofft.“ Und natürlich will der „Killer mit der Zahnlücke“ jetzt mehr, am liebsten auch von Anfang an. „Es geht immer um Leistung. Es geht um Form, gerade bei einem Turnier. Dementsprechend freut es mich, dass es kein Hindernis ist, bei einem Aufsteiger wie Werder Bremen zu spielen.“

- Übrigens: Horst Hrubesch, das legendäre Kopfball-Ungeheuer, debütierte 1980 kurz vor der Europameisterschaft in Italien in der Nationalelf. Für das Turnier war er nur nachnominiert worden, weil Klaus Fischer sich zuvor verletzt hatte. Beim 2:1 im Endspiel gegen Belgien erzielte Hrubesch prompt beide Tore. Hrubesch war damals 29 – so wie Füllkrug heute.

− la


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