Die Tötung der Nummer zwei der Islamisten-Organisation in Gaza hatte für Israel stets hohe Priorität. Mit einem Luftangriff zu diesem Zwecke nahm Israel eine hohe Zahl toter Palästinenser in Kauf.
Israels Armee hat im Gazastreifens den Anführer des militärischen Arms der Hamas, Mohammed Deif, angegriffen und dabei Dutzende andere Menschen getötet. Ob auch Deif bei dem Luftangriff getötet oder verletzt wurde, war zunächst nicht gewiss.
„Es besteht noch keine absolute Gewissheit“, sagte Ministerpräsident Benjamin Netanjahu bei einer Pressekonferenz in Tel Aviv. Die Armee hatte zuvor mitgeteilt, dass sie noch prüfe, ob Deif und Rafa Salama, der Kommandeur der Chan-Junis-Brigade, bei dem Luftschlag westlich von Chan Junis ums Leben gekommen seien. Beide seien „Drahtzieher des Massakers vom 7. Oktober“ auf israelischem Boden gewesen, hieß es.
Die israelische Zeitung „Haaretz“ hatte zuvor gemeldet, die Armee gehe davon aus, dass sich der Chef der sogenannten Kassam-Brigaden unter den Opfern befinde.
Die Hamas bestritt laut einer Erklärung einen israelischen Angriff auf ihre Führung nahe der Stadt Chan Junis im Süden des Küstengebiets.
Palästinensischen Angaben zufolge wurden bei dem israelischen Militäreinsatz mindestens 90 Menschen getötet. Mindestens 300 weitere Menschen seien zudem in der humanitären Zone Al-Mawasi verletzt worden, teilte die von der Hamas kontrollierte Gesundheitsbehörde mit.
Israels Armee: Keine Zelte in angegriffenem Gebiet
„Der Angriff wurde in einem eingezäunten Gebiet durchgeführt, das von der Hamas kontrolliert wird und in dem sich nach unseren Informationen nur Hamas-Terroristen und keine Zivilisten aufhielten“, hieß es von der Armee. „Es war ein präziser Angriff.“ Es werde vermutet, dass die meisten Opfer ebenfalls Terroristen gewesen seien, so das Militär.
Das getroffene Objekt habe sich auf offenem Gelände, umgeben von Bäumen, mehreren Gebäuden und Baracken befunden. Auf dem Areal gab es demnach keine Zelte.
Ein Vertreter des Militärs räumte in einem Online-Briefing für Journalisten ein, dass das getroffene Objekt in der von Israel so deklarierten humanitären Zone westlich von Chan Junis gelegen habe. „Es war aber eine abgezäunte, bewachte Hamas-Basis, besetzt mit Terroristen“, fügte er hinzu. Das Militär sei sich auch sehr sicher, dass sich zum Zeitpunkt des Angriffs keine israelischen Geiseln in dem Objekt befunden hätten.
Dagegen hieß es von palästinensischer Seite, Israels Armee habe Zelte von Vertriebenen getroffen. Viele der bei dem Angriff verletzten Palästinenser schwebten in Lebensgefahr, hieß es aus medizinischen Kreisen im Gazastreifen.
Die Angaben ließen sich allesamt zunächst nicht unabhängig verifizieren.
Lagebeurteilung der Armee
Israelische Medien hatten unter Berufung auf die Armee berichtet, es sei unklar, ob sich in der Gegend des Militäreinsatzes auch Geiseln befunden hätten. Es wird davon ausgegangen, dass Hamas-Führer einige der noch im Gazastreifen festgehaltenen Geiseln als menschliche Schutzschilde missbrauchen.
Israels Außenministerium teilte mit, Verteidigungsminister Joav Galant habe „angesichts der Entwicklungen in Gaza“ kürzlich eine Beurteilung der operativen Lage mit Generalstabschef Herzi Halevi sowie dem Chef des Inlandsgeheimdienstes Schin Bet, Ronen Bar, durchgeführt.
Ein Ziel Israels im Gaza-Krieg ist es, Deif sowie den Hamas-Führer im Küstengebiet, Jihia al-Sinwar, gefangenzunehmen oder zu töten. Sie gelten als die beiden wichtigsten Anführer der Organisation innerhalb des Gazastreifens. Im März hatte die Armee die Tötung des dritthöchsten Hamas-Führers im Gazastreifen, Marwan Issa, gemeldet.
Krankenhaus kann nicht alle Verletzten versorgen
Nach Angaben der palästinensischen Nachrichtenagentur Wafa gab es am Morgen mehrere heftige Angriffe in der Gegend. Mitarbeiter im nahe gelegenen Nasser-Krankenhauses berichteten, dass es nicht mehr ausreichend Betten gebe, um die große Zahl der Verletzten nach den Angriffen aufzunehmen.
In sozialen Medien verbreiteten sich Aufnahmen, die einen riesigen Krater nach dem Luftschlag zeigen sollen. Zu sehen sind auch Menschen, die im Sand und Schutt graben, vermutlich um nach Überlebenden zu suchen. Die Echtheit des Videos konnte zunächst nicht unabhängig verifiziert werden.
Israels Armee hatte zuvor mitgeteilt, dass die Einsätze im gesamten Gazastreifen andauerten.
© dpa-infocom, dpa:240713-930-172753/6