Afghanistan
Taliban machen Versprechungen - US-Regierung skeptisch

17.08.2021 | Stand 18.08.2021, 15:18 Uhr

Taliban-Sprecher Sabiullah Mudschahid schlägt versöhnliche Töne an.- Foto: Rahmat Gul/AP/dpa

In seiner ersten Pressekonferenz in Kabul schlägt der langjährige Taliban-Sprecher versöhnliche Töne an. Washington reagiert abwartend - und hofft zunächst, dass die Islamisten Zusagen bei den hektischen Evakuierungsaktionen halten.

Die militant-islamistischen Taliban beteuern, weitere politische Kräfte an der Macht in Afghanistan beteiligen zu wollen. Das sagte der langjährige Sprecher der Islamisten, Sabiullah Mudschahid, bei seiner ersten öffentlichen Pressekonferenz in Kabul am Dienstag.

«Wenn die Regierung gebildet ist, dann wird jeder einen Teil daran haben.» Die Islamisten mühten sich, auch andere düstere Befürchtungen zu zerstreuen, und die Menschen im Land in Sicherheit zu wiegen. Der Nationale Sicherheitsberater von US-Präsident Joe Biden, Jake Sullivan, reagierte betont zurückhaltend auf die Äußerungen. Er sagte allerdings, die Taliban hätten zugesagt, Zivilisten unbehelligt zum Flughafen in Kabul zu lassen, damit sie das Land verlassen könnten.

Nach ihrem rasanten Eroberungszug und der Flucht des Präsidenten Aschraf Ghani haben die Taliban am Sonntag faktisch die Macht im Land übernommen. Viele Afghanen befürchten nun eine Rückkehr der Schreckensherrschaft der Islamisten der 1990er-Jahre, während der etwa Frauen vom öffentlichen Leben ausgeschlossen waren und die Vorstellungen der Islamisten mit barbarischen Strafen durchgesetzt wurden. Viele, die für die Regierung, Streitkräfte oder Ausländer tätig waren, haben Angst vor möglichen Racheaktionen der Islamisten.

Der Flughafen in der Hauptstadt Kabul steht inzwischen unter der Kontrolle des US-Militärs. Die US-Soldaten sollen die Sicherheit des Flughafens gewährleisten und die Evakuierung unter anderen von Amerikanern und früheren afghanischen Mitarbeitern der US-Streitkräfte organisieren, die um ihr Leben fürchten.

Taliban-Sprecher Mudschahid versuchte Angst vor Racheakten zu zerstreuen. Die Taliban hätten mit niemandem Feindseligkeiten. Er versichere seinen Landsleuten - auch jenen, die in Opposition zu den Islamisten gestanden hätten -, dass eine allgemeine Amnestie gelte. Das betreffe auch ehemalige Übersetzer von ausländischen Streitkräften. Man habe außerdem alle Soldaten begnadigt, die in den vergangenen Jahren mit ihnen gekämpft hätten.

Mudschahid versicherte zudem, dass die Sicherheit von Botschaften und der Stadt Kabul gewährleistet sei. Die Taliban setzten sich auch für die Rechte von Frauen im Rahmen der islamischen Scharia ein, beteuerte er. Frauen könnten in der Gesundheit, Bildung und anderen Bereichen tätig sein. Auch Medien sollten sich keine Sorgen machen. Sie müssten unparteiisch bleiben, und Inhalte sollten nicht islamischen Werten entgegenstehen. Auf eine Frage nach dem Tod vieler unschuldiger Zivilisten sagte er, das sei ohne Absicht passiert.

Wie genau in Zukunft das Land geführt werden soll, wie eine Regierung aussehen wird, welchen Namen und Struktur sie haben soll, ist noch unklar. Am Dienstag landete der Taliban-Vizechef Mullah Baradar in Kandahar im Süden des Landes. Er ist der bislang ranghöchste Vertreter der Islamisten, der offiziell in Afghanistan eingetroffen ist. Es ist unbekannt, wo sich Taliban-Anführer Haibatullah Achundsada befindet. Baradar soll Geheimdienstkreisen zufolge einen Posten ähnlich einem Ministerpräsidenten erhalten («Sadr-e Asam») und allen Ministern vorstehen.

In Kabul übernahmen die Islamisten am dritten Tag nach ihrer Machtübernahme immer mehr Behörden und Ministerien. Bewohner der Stadt sagten, es hätten wieder vermehrt Geschäfte geöffnet und mehr Menschen seien auf der Straße. Ein Bewohner des Viertels Pul-e Sorch sagte, die Taliban riefen die Menschen über Lautsprecher-Autos auf, sie ohne Angst zu akzeptieren. Alles sei normal, alle seien Brüder. Allerdings gab es in den vergangenen Tagen Berichte über Sicherheitszwischenfälle in der Stadt. Taliban-Kämpfer sollen sich Zutritt zu Wohnhäusern verschafft und Autos mitgenommen haben.

Chaos herrschte weiter rund um den Flughafen der Stadt. Die Start- und Landebahn war am Dienstag zwar wieder in Betrieb, dennoch versuchten weiterhin Hunderte Menschen, auf das Gelände zu gelangen und einen Platz auf einem Evakuierungsflug zu ergattern. Ein Augenzeuge berichtete, die Taliban würden Menschen mit Peitschen schlagen und auch in die Luft schießen, um sie auseinanderzutreiben. Dennoch versuchten es die Menschen weiter.

Am Montag war der Flugverkehr eingestellt worden, da sich Menschenmassen auf dem Flugfeld aufhielten. US-Militärs versuchten, sie mit Warnschüssen zurückzudrängen.

Bidens Sicherheitsberater Sullivan sagte, die Taliban hätten zugesagt, Zivilisten unbehelligt zum Flughafen in Kabul zu lassen. Man gehe davon aus, dass die Zusage bis zum Monatsende gelte, spreche über den genauen Zeitplan und Ablauf aber mit den Taliban.

Sullivan wollte sich nicht darauf festlegen, ob die US-Soldaten in Afghanistan bleiben würden, bis alle geplanten Evakuierungen abgeschlossen seien. Er sagte auf Nachfrage, nach US-Erkenntnissen gelinge es Menschen «im Großen und Ganzen», zum Flughafen zu gelangen. «Es gab Fälle, in denen uns berichtet wurde, dass Menschen abgewiesen oder zurückgedrängt oder sogar geschlagen wurden.» Diese Fälle würden bei den Taliban angesprochen.

Auf die Frage, ob er den versöhnlichen Äußerungen der Taliban traue, sagte Sullivan: «Hier geht es nicht um Vertrauen.» Die Taliban müssten sich an ihren Worten messen lassen. Angesprochen auf mögliche Hebel der USA, um Druck auf die Islamisten zu machen, erwähnte Sullivan Sanktionen und Schritte, um sie international zu verurteilen und zu isolieren. Konkreter wurde er nicht.

Bei ihrem Vormarsch brachten die Taliban nach US-Angaben in signifikantem Ausmaß Waffen und andere Ausrüstung der afghanischen Sicherheitskräfte unter ihre Kontrolle. Es gebe zwar keine genaue Liste dazu, wo sich nun alle militärischen Gegenstände befänden, aber ein «ordentlicher Anteil» davon sei an die Taliban gefallen, sagte Sullivan. «Und wir haben natürlich nicht den Eindruck, dass sie diese bereitwillig am Flughafen an uns übergeben werden.»