Evakuierungseinsatz
Auswärtiges Amt: Noch mehr als 200 Deutsche in Afghanistan

25.08.2021 | Stand 26.08.2021, 10:09 Uhr

Blick in einen Bundeswehr-Airbus in Taschkent in Usbekistan nach der Ankunft aus Kabul.- Foto: Marc Tessensohn/Bundeswehr/dpa

Die Evakuierungsflüge der Bundeswehr aus Kabul enden möglicherweise schon vor dem Wochenende. Hintergrund ist der Zeitplan der USA. Das Verteidigungsministerium spricht von der schwierigsten Phase des Einsatzes.

Die Bundesregierung plant ein Ende der militärischen Rettungsflüge aus Afghanistan noch vor dem Wochenende. Der letzte Flug der Luftbrücke für deutsche Staatsbürger und gefährdete Ortskräfte könnte nach dpa-Informationen demnach bereits am Freitag organisiert werden.

«Die internationale Präsenz in Afghanistan endet absehbar am 31.08. - das bedeutet auch für die Bundeswehr, sich darauf einzustellen», teilt das Ministerium auf Twitter mit. Die Sicherheitslage in Kabul habe sich enorm verschärft. «Für uns beginnt jetzt die schwerste Phase. Vielen konnten wir helfen - allein gestern 983.»

Die USA hatten am Dienstag erklärt, dass sie an dem Plan festhielten, die amerikanischen Truppen bis zum 31. August aus Kabul abzuziehen. Ohne die Unterstützung der USA gilt auch eine Fortsetzung der Evakuierungsflüge anderer westlicher Staaten als undenkbar.

Das Auswärtige Amt geht davon aus, dass sich in Kabul insgesamt noch eine «hohe vierstellige oder niedrige fünfstellige Zahl» schutzbedürftiger Menschen befindet, die grundsätzlich für eine Evakuierung in Frage kämen.

In Kabul halten sich heute nach Angaben des Auswärtigen Amts noch mehr als 200 deutsche Staatsbürger auf. Die Zahl liege höher als noch am Dienstag, «weil sich weiterhin Menschen bei uns melden», sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amts in Berlin. 540 Deutsche seien bereits ausgeflogen worden.

21 Deutsche bei Helikoptereinsatz gerettet

Soldaten der Bundeswehr und der US-Streitkräfte haben bei ihrem gemeinsamen Helikoptereinsatz in der afghanischen Hauptstadt Kabul 21 Deutsche in Sicherheit gebracht. Dabei hätten die US-Soldaten ihre eigenen Hubschrauber geflogen und die Bundeswehrsoldaten die Aufstellung an einem Sammelpunkt organisiert, sagte Generalinspekteur Eberhard Zorn am Mittwoch in Berlin. «Die Operation ist in der Nacht durchgeführt worden», sagte er. Nach früheren Informationen waren Spezialkräfte an dem Einsatz beteiligt.

Größte Sorge mache inzwischen die Anschlagsgefahr bei Evakuierungen aus der Stadt. «Und zwar nicht die Anschlagsgefahr, die von den Taliban ausgeht», sagte Zorn dazu. «Die Taliban gewährleisten im Grunde die Sicherheit, und zwar die Sicherheit rings um den Flugplatz durch ihre Checkpoints, aber auch bei den jeweiligen Konvois, die durchgeführt werden.»

Die Bundeswehr hat bis Mittwochabend mit 34 Flügen bisher 5193 Menschen aus Kabul ausgeflogen, darunter mehr als 3600 Afghanen. Insgesamt wurden Menschen aus 45 Nationen von der Bundeswehr ausgeflogen. «Wir werden versuchen, bis wirklich zur letzten Sekunde und mit dem letzten Flieger auch zu evakuierende Personen mitzunehmen», sagte Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU). Einen genauen Zeitpunkt für das Ende der Luftbrücke nannte sie nicht.

US-Präsident Joe Biden will am Abzug der US-Truppen bis kommenden Dienstag festhalten, obwohl noch viele Tausend Afghanen auf eine Ausreise hoffen. Die Verbündeten sind auf die Sicherung des Flughafens durch US-Kräfte angewiesen. Auch der Abzug der Soldaten selbst bis zum Stichtag ist im Zeitplan zu berücksichtigen. Offenkundig ist, dass danach weitere Evakuierungen stark vom Mitwirken der Taliban und dem Betrieb ziviler Fluggesellschaften abhängig sind.

Weiter Tausende Menschen am Flughafen

Nach den Worten des Chefs des Bundeswehrverbands wird die US-Entscheidzung die Lage in Kabul noch schwieriger machen. «Das wird noch mal den Druck erhöhen», sagte Verbandschef André Wüstner am Mittwoch im ZDF-«Morgenmagazin». Er wies auch darauf hin, dass in der von den militant-islamischen Taliban übernommenen Hauptstadt auch andere Terrorgruppen zunehmend aktiv seien. Sie würden sicher versuchen, «nochmal auf sich aufmerksam zu machen», wie er sagte. Die Europäer merkten, dass sie nun kleinere Truppenteile für den Abzug vorbereiten müssten. Natürlich plane auch die Bundeswehr Optionen für einen schnellen Abzug.

Rund um den Flughafen Kabul harren derweil weiter Tausende Menschen aus. So zeigen am Mittwoch in sozialen Medien geteilte Videos Hunderte Afghanen, die teils bis zu den Hüften in einem Wassergraben vor einer Wand zum Flughafengelände stehen und warten. Ein Mann, der den Wassergraben hochgeklettert ist, wird von zwei Soldaten zurückgedrängt.

Aufgrund der weiter desaströsen Lage rund um die Eingänge zum Flughafen haben Länder begonnen, ihre zu Evakuierenden anderweitig in den Flughafen zu bringen. Zwei Personen, die auf einer US-Liste zur Evakuierung standen, sagten, sie seien zu einem Ort in der Stadt gerufen worden und von dort mit in einem gepanzerten Konvoi in den Flughafen gebracht worden.

Taliban üben Druck auf Bevölkerung aus

Ein Taliban-Sprecher sagte auf Nachfrage der Deutschen Presse-Agentur, dass aufgrund des Andrangs am Flughafen sich dort keine Afghanen ohne geeignete Dokumente für eine Ausreise ansammeln dürfen.

In einem in der Nacht zu Mittwoch versandten Landsleutebrief der deutschen Botschaft in Kabul hieß es, Deutschland plane weiterhin Evakuierungsflüge mit der Bundeswehr und zudem mit anderen befreundeten Staaten Flüge von Kabul ins Ausland. Gleichzeitig prüfe man weitere konkrete Maßnahmen zur Ermöglichung der Ausreise.

Aus Diplomatenkreisen hieß es in den vergangenen Tagen, nach Einstellung der Evakuierungsflüge könnten die zu Evakuierenden möglicherweise auf dem Landweg in Drittstaaten ausreisen und von dort nach Europa geflogen werden. Beide Grenzübergänge nach Pakistan etwa sind aktuell geöffnet, allerdings brauchen Afghanen Visa für das Nachbarland.