Studie: Pollenflug kann Coronavirus-Ausbreitung verstärken

11.03.2021 | Stand 11.03.2021, 9:45 Uhr

Wolfgang Kumm/dpa/Symbolbild

Viele Pollen - höheres Corona-Risiko: Das folgert ein internationales Forscherteam nach Auswertung von Wetter-, Pollen- und Infektionsdaten aus 31 Ländern. Die Wissenschaftler erklären auch, warum das aus ihrer Sicht so ist. Experten mahnen aber, nicht in Panik zu geraten.

Starker Pollenflug kann einer Studie zufolge das Corona-Risiko erhöhen. Gebe es viele Pollen in der Außenluft, stiegen die Infektionszahlen, berichtet ein internationales Team unter Leitung von Forschern der Technischen Universität München (TUM) und des Helmholtz Zentrums München im Fachmagazin «Proceedings of the National Academy of Sciences» («PNAS»).

Anlass zu übermäßiger Sorge gibt die Beobachtung nach Ansicht von nicht an der Studie beteiligten Experten aber nicht. Die Forscher selbst betonten am Dienstag, es gebe auch viele andere Faktoren. Zudem zeigt die Studie zwar eine Korrelation zwischen Pollenflug und Infektionsraten, weist aber nicht eine direkte Kausalität nach.

Die Forscher hatten Daten zu Pollenbelastung und Infektionsraten mit Sars-CoV-2 aus 130 Regionen in 31 Ländern auf fünf Kontinenten analysiert. Sie berücksichtigten auch demografische Faktoren und Umweltbedingungen, darunter Temperatur, Luftfeuchtigkeit, Bevölkerungsdichte sowie die Ausprägung des Lockdowns.

An Orten ohne Lockdown-Regelungen stieg die Infektionsrate im Schnitt um vier Prozent, wenn sich die Anzahl der Pollen in der Luft um 100 pro Kubikmeter erhöhte. In manchen deutschen Städten seien im Untersuchungszeitraum zeitweise pro Tag bis zu 500 Pollen auf einen Kubikmeter gekommen - zugleich stiegen laut Studie die Infektionsraten um mehr als 20 Prozent.

Die täglichen Infektionsraten korrelierten mit der Pollenzahl in Ländern mit und ohne Lockdown. Galten in den untersuchten Gebieten Lockdown-Regeln, halbierte sich die Zahl der Infektionen im Schnitt bei vergleichbarer Pollenkonzentration in der Luft. Luftgetragene Pollen könnten einen Teil der Variabilität bei den Infektionsraten erklären; aber auch Luftfeuchtigkeit und Lufttemperatur spielten dabei eine Rolle, schreiben die Wissenschaftler weiter.

Jörg Kleine-Tebbe, Allergologe und Pressesprecher der Deutschen Gesellschaft für Allergologie und klinische Immunologie (DGAKI) sagte in einer ersten Einschätzung auf dpa-Anfrage: «Die Korrelation zwischen Pollenflug und Infektionen ist offenbar vorhanden, aber gering ausgeprägt.» Es dürfe nun nicht Panik verursacht werden. «Das ist kein extremer Befund.»

Der Münchner Infektiologe Clemens Wendtner sagte, dass Pollenflug im Frühjahr zu einer erhöhten Infektanfälligkeit gegenüber bestimmten Viren führen könne, sei in der Fachliteratur beschrieben und prinzipiell bekannt. «Neu ist, dass dieser Effekt nun auch für das neue Coronavirus, also Sars-CoV-2, wissenschaftlich belegt wurde.»

Man dürfe sich aufgrund eines vermeintlich schützenden Effektes der UV-Strahlen im Frühjahr nicht zu sehr in Sicherheit wiegen und das Masken- und Abstandsgebot vergessen, sagte der Wendtner, der Chefarzt für Infektiologie an der München Klinik Schwabing ist. «Vielmehr sollte im Frühjahr, wenn besonders viele Pollen die Luft belasten können, ganz besonders auf das Tragen einer Partikelfiltermaske geachtet werden: die Maske filtert nicht nur zuverlässig die Pollen aus der Luft, sondern auch die Sars-CoV-2 Viren.»

Laut den Autoren, die dabei auf frühere Studien verweisen, führen Pollen zu einer veränderten Immunabwehr in den Schleimhäuten, so dass weniger gegen Viren gerichtete Abwehr-Botenstoffe produziert werden, sogenannte antivirale Interferone. Welche Stoffe in den Pollen dafür verantwortlich seien, müsse noch geklärt werden. Der Effekt halte etwa drei Tage an, so dass in dieser Zeit ein erhöhtes Risiko bestehe.

Die Autoren der Studie geben darüber hinaus an, dass die Pollen die eigentlich heilsame Entzündungsreaktion beeinflussen, die der Körper im Kampf gegen die Viren auslöse. Wenn viele Pollen fliegen, könne die Zahl der Atemwegserkrankungen daher ansteigen - dies gelte auch für Covid-19. Dabei spiele es nach bisherigem Erkenntnisstand keine Rolle, ob Betroffene an Allergien gegen Pollen leiden oder nicht.

«Betrachtet man die Verbreitung des Sars-CoV-2, müssen Umweltfaktoren wie Pollen mit in die Rechnung aufgenommen werden. Das Wissen um diese Auswirkungen eröffnet neue Wege für die Prävention und Abmilderung von Covid-19», sagte Erstautor Athanasios Damialis.

Die TUM-Umweltmedizinerin und Mitautorin Claudia Traidl-Hoffmann rät, in den nächsten Monaten Pollenflugvorhersagen zu Rate zu ziehen. «Staubfiltermasken zu tragen, wenn die Pollenkonzentration hoch ist, kann das Virus und den Pollen gleichermaßen von den Atemwegen fernhalten.»

Die weltweite Verbreitung von Covid-19 war den Autoren zufolge im Frühjahr 2020 mit dem ersten saisonalen Höhepunkt beim Flug von Baumpollen auf der Nordhalbkugel zusammengefallen. Unbekannt sei, ob andere Luftpartikel wie Pilzsporen oder Luftschadstoffe ebenfalls eine Rolle spielen könnten.