«Sorry for the mess»: Fußballstar Boateng verurteilt

09.09.2021 | Stand 10.09.2021, 22:22 Uhr

Der Fußball-Profi Jerome Boateng steht im Amtsgericht München.- Foto: Peter Kneffel/dpa

Die Ex-Lebensgefährtin von Jérôme Boateng wirft dem ehemaligen Fußball-Weltmeister vor, sie im Karibikurlaub heftig attackiert zu haben. Er bestreitet das. Doch das Gericht glaubt ihm nicht.

Jérôme Boateng schaut seine frühere Lebensgefährtin aufmerksam an. Immer wieder schüttelt er den Kopf und raunt seinem Anwalt etwas zu. Das, was die 31-Jährige am Donnerstag vor dem Amtsgericht München erzählt, passt so gar nicht zu dem Bild, das die Öffentlichkeit jahrelang von dem Weltklasse-Innenverteidiger hatte, von dem Idol und Fußball-Weltmeister von 2014. Denn das Bild, das sie vor Gericht zeichnet, ist das eines Gewalttäters.

«Mit dem Daumen hat er mein Auge so gegriffen», sagt die Frau vor Gericht. Dort tritt sie als Nebenklägerin auf. «Er hat an meinen Haaren gerissen, mir dann in den Kopf gebissen». Angespuckt habe er sie - mit Blut, weil er sich vorher die Lippe aufgerissen hatte. Womöglich beim Beißen, sagt sie. Auf die Knie sei sie dann gefallen, bevor er ihr so stark «in die Niere geboxt» habe, dass sie keine Luft mehr bekommen habe.

Der Vorfall im karibischen Urlaubsparadies der Turks- und Caicosinseln im Jahr 2018 sei nicht der erste Vorfall dieser Art gewesen, sagt die Frau. Aber der heftigste.

Und für den ist Boateng nun verurteilt worden: Eine Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu 30 000 Euro verhängt das Amtsgericht München wegen vorsätzlicher Körperverletzung und Beleidigung. Höher kann ein Tagessatz nicht sein. Insgesamt muss Boateng, wenn das Urteil rechtskräftig wird, 1,8 Millionen Euro zahlen. Das Gericht hatte für den Prozess nur einen Tag angesetzt.

Es gibt an diesem Donnerstag verschiedene Versionen von dem, was an jenem Tag in der Karibik geschehen sein soll. Die von Staatsanwaltschaft und Ex-Freundin in der Nebenklage geht so: Boateng soll nach Angaben von Staatsanwältin Stefanie Eckert «in voller Wucht» eine Glaslaterne und eine Kühltasche auf sie geworfen haben. Eine Bewährungsstrafe von anderthalb Jahren forderte sie - und eine Zahlung von 1,5 Millionen Euro an gemeinnützige Einrichtungen. Sie ging in ihrer Berechnung davon aus, dass Boateng beim FC Bayern 33 000 Euro am Tag verdiente und jetzt bei Olympique Lyon mindestens noch 20 000 Euro.

Dass es damals im karibischen Luxusressort mit Privatpool und Bediensteten eine Eskalation gab, das räumt auch Boateng vor Gericht ein. Er erzählt aber eine ganz andere Version: Seine ehemalige Lebensgefährtin sei aggressiv und beleidigend geworden, habe ihn in einem Streit an der Lippe verletzt und auf ihn eingeschlagen. Als er sie dann von sich habe wegschieben wollen, sei sie gestürzt. Er habe auch keine Laterne auf sie geworfen, sondern ein Kissen gegen einen Tisch - und dabei sei die Laterne zu Boden gefallen. Geschlagen, so betont er, habe er seine Ex-Freundin nie. Er müsse «zwingend freigesprochen werden», forderte sein Verteidiger Kai Walden in seinem Schlussplädoyer.

Ein medizinischer Sachverständiger hält anhand von dokumentierten blauen Flecken bei ihr allerdings eher ihre Version für wahrscheinlich - und nicht die von Boateng.

Und auch die junge Frau, die mit den beiden im Urlaub und damals mit dem mutmaßlichen Opfer befreundet war, will etwas anderes gesehen haben: Boateng habe «angefangen, auf sie einzuschlagen - mit Fäusten». Sie sei dann losgelaufen und habe einen Freund des Fußballers geholt, damit der eingreift. Sie selbst habe Angst vor Boateng gehabt, «Angst, auch vielleicht was abzubekommen». «Er ist einfach ein großer Mann.»

Boateng, der seit Kurzem in Lyon unter Vertrag steht, erzählt von einem Urlaub, der bis zu jenem Abend sehr schön und friedlich verlaufen sei. «War 'ne gute Stimmung», sagte er - bis es abends beim Kartenspielen zu einem Streit gekommen sei, weil seine damalige Partnerin und deren Freundin ihn beschuldigten, er habe geschummelt. Kurz darauf sei die Stimmung eskaliert.

Um Treue sei es dann in dem Streit gegangen, um andere, frühere Partnerinnen und Partner. «Eifersuchtsfilm», sagt die Lebensgefährtin irgendwann in ihrer Aussage. Ihre und auch die Aussage von Boateng strotzen vor Kraftausdrücken, die gefallen sein sollen an jenem 19. Juli im Urlaubsparadies. Zwischen Wutausbrüchen sei Boateng in seinem Bungalow hin und her gelaufen, sagt sie - «wie ein Tiger».

Seit 2007 führten die beiden ihren übereinstimmenden Angaben zufolge eine «On-Off-Beziehung», seit 2015 streiten sie vor dem Familiengericht um das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die gemeinsamen Kinder. «Unsere Beziehung war immer turbulent», sagt die 31-Jährige und spricht von einer «sehr toxischen» Verbindung. Der Fußballstar sagt, die Ex-Freundin wolle sich mit der Anzeige bessere Chancen vor dem Familiengericht beschaffen - ein Vorwurf, den die Frau zurückweist.

Staatsanwältin Stefanie Eckert bezeichnete die Frau als «Opfer häuslicher Gewalt». Allerdings sei nicht nur sie Opfer geworden, sondern auch Boateng - «Opfer ihrer gemeinsamen toxischen Beziehung». Die Kinder seien in der ganzen Geschichte die eigentlichen Leidtragenden, sagt Richter Kai Dingerdissen schließlich in seiner Urteilsbegründung. Das Gericht geht im Urteil von «einem Faustschlag» ins Gesicht der damaligen Freundin aus.

Zurück zu den Ereignissen im Urlaub: Am nächsten Tag hätten die beiden sich schon wieder versöhnt, sagt Boateng. «Wir hatten uns ausgesprochen, vertragen, die Kinder waren glücklich, haben getanzt.» Seine damalige Freundin sei «bester Laune» gewesen. Auf Videos, die vor Gericht gezeigt werden, ist zu sehen, wie sie ausgelassen an einem Lagerfeuer am Strand tanzt. Sie sagt, sie sei dabei sehr betrunken gewesen, habe sich nichts anmerken lassen wollen.

Die Luxus-Pavillons, die Boateng und seine Reisegruppe bewohnten, hatten ein ganz besonderes Extra, wie der Fußballer schildert: Es gab einen Butler. Der habe in jener Nacht auch die Scherben des Windlichts und der Gläser zusammengekehrt. «Ich habe dann gesagt - auf Englisch: Sorry for the mess», sagt Boateng: Entschuldigen Sie das Chaos.

Boateng verlässt das Gericht nach dem Urteil wortlos, geht stumm an den zahlreichen rufenden Journalisten und Fotografen vorbei, die dort auf ihn gewartet haben. Auch sein Anwalt Walden, der die Vorwürfe im Vorfeld noch als «völlig abstrus» abgetan hatte, bleibt still.