LKA hält islamistisches Motiv für naheliegend

29.06.2021 | Stand 30.06.2021, 22:05 Uhr

Karl-Josef Hildenbrand/dpa

Ist der Messerstecher von Würzburg ein Extremist? Die Ermittler sehen Hinweise für ein islamistisches Motiv. Fraglich ist, inwieweit der Mann organisiert war. Und welche Rolle seine psychische Verfassung spielte.

Im Falle des Messerstechers von Würzburg halten es die Ermittler für naheliegend, dass der Mann islamistisch motiviert war. Fraglich sei bisher allerdings, ob der Somalier in eine Terrororganisation eingebunden gewesen sei, sagte ein Sprecher des Landeskriminalamtes (LKA) am Dienstag in München. In der Unterkunft des 24-Jährigen in Würzburg seien bisher keine derartigen Hinweise gefunden worden - gleichwohl sprächen Zeugenaussagen für einen islamistischen Hintergrund.

Diese Zeugen wollen während der Attacke des 24-Jährigen zweimal den Ausruf «Allahu Akbar» gehört haben, wie Generalstaatsanwaltschaft München und LKA mitteilten. Zudem soll der später mit einem Polizeischuss gestoppte Mann im Krankenhaus einen Hinweis auf den «Dschihad» - also den «Heiligen Krieg» - gegeben haben.

«Bislang sind beim Tatverdächtigen noch keine Hinweise auf Propagandamaterial oder sonstige extremistische Inhalte gefunden worden», erklärten die Ermittler. Das Ermittlungsverfahren dauere an. Im Zuge dessen soll es ein psychiatrisches Gutachten geben, um zu klären, ob der Migrant bei der Tat schuldunfähig war und in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht werden muss.

Der in der Vergangenheit psychisch auffällige Mann hatte am Freitag in der Würzburger Innenstadt auf Menschen eingestochen, die er wohl gar nicht kannte. Drei Frauen starben, sieben Menschen wurden verletzt, darunter ein elfjähriges Mädchen. Der 24-Jährige sitzt in Untersuchungshaft - wegen dreifachen Mordes, versuchten Mordes und gefährlicher Körperverletzung sowie vorsätzlicher Körperverletzung.

Landesinnenminister Joachim Herrmann (CSU) hatte nach der Tat bereits von Hinweisen auf ein islamistisches Motiv des Täters gesprochen. Er stützte dies auf die Aussage eines Zeugen, wonach der Verdächtige bei der Tat «Allahu Akbar» (deutsch: «Gott ist groß») gerufen habe. Dschihadisten und Salafisten benutzen den Ausdruck oft wie einen Schlachtruf. Damit kapern die Extremisten die zentrale religiöse Formel des Islam, die seit Jahrhunderten von Muslimen weltweit benutzt wird. Herrmann schloss aber auch nicht aus, es könne die Tat eines psychisch Kranken mit islamistischen Bezügen sein.

Die Polizei hielt sich bei Vermutungen über das mögliche Tatmotiv bisher bedeckt und verwies darauf, das Ende der Ermittlungen abzuwarten. Schließlich müssten erst alle Gegenstände, die in der Obdachlosenunterkunft des Mannes in Würzburg gefunden wurden, untersucht und bewertet werden, unter anderem von Islamwissenschaftlern. Zu den Funden zählen auch zwei Handys, die dem 24-Jährigen gehören sollen.

«Außerdem gehen die Ermittler derzeit mehr als hundert Spuren nach», hieß es in der Mitteilung. «Abschließende Aussagen sind noch nicht möglich.» An dem Fall arbeiteten mehr als 130 Kräfte der Sonderkommission «Main» und der Kriminalpolizei. Auch Fachleute des Bundeskriminalamts seien involviert.

Der Somalier reiste nach Angaben der Ermittler am 6. Mai 2015 über Italien nach Deutschland ein. In der Außenstelle Chemnitz in Sachsen sei er vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erfasst worden. Danach seien verschiedene Ausländerbehörden für ihn zuständig gewesen, seit dem 4. September 2019 die in Würzburg.

«Seinen am 21.05.2015 gestellten Asylantrag begründete der Beschuldigte damit, dass von der Terrororganisation Al-Shabaab in Somalia verfolgt und bedroht werde und er daher habe flüchten müssen», hieß es in der LKA-Mitteilung. Mittlerweile genießt der Mann subsidiären Schutz, das heißt, er darf derzeit nicht in das Bürgerkriegsland abgeschoben werden.

In Würzburg fiel er im Januar auf, als er bei einem Streit in seiner Obdachlosenunterkunft ein Messer bedrohlich in der Hand hielt. Verletzt wurde niemand. Allerdings kam der Somalier den Behörden zufolge für gut eine Woche in eine Psychiatrie.

Im selben Monat habe ein Zeuge die Behörden darüber informiert, er habe im Jahr 2015 ein Telefonat des Beschuldigten mitgehört, hieß es. Dabei soll der 24-Jährige erzählt haben, dass er in Somalia 2008/2009 für die islamische Terrororganisation Al-Shabaab Zivilisten, Journalisten und Polizisten getötet habe. Der Generalbundesanwalt in Karlsruhe prüfte laut LKA den Fall, es gab aber keine Ermittlungen. Grund: Konkrete Tatsachen fehlten, und der Somalier war zum angeblichen Tatzeitpunkt elf beziehungsweise zwölf Jahre alt - also strafunmündig.

In Würzburg belästigte der Migrant laut Polizei am 14. Juni in psychisch angeschlagenem Zustand Verkehrsteilnehmer, setzte sich bei einem Autofahrer sogar auf den Beifahrersitz. Daraufhin kam der 24-Jährige in eine psychiatrische Einrichtung, verließ sie aber nach einem Tag auf eigenen Wunsch wieder.

Früher hatte der Verdächtige bereits in Sachsen einen Streit, in dem ein Messer eine Rolle spielte. Bei der Auseinandersetzung in einer Asylunterkunft Ende 2015 erlitten der 24-Jährige und sein Kontrahent leichte Schnittverletzungen, wie eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft Chemnitz am Dienstag sagte.

Bei dem Streit ging es um die Benutzung eines Kühlschranks. Die Ermittlungen wegen gefährlicher Körperverletzung wurden laut Staatsanwaltschaft Anfang 2017 eingestellt, weil es den Angaben zufolge aufgrund widersprüchlicher Aussagen keinen Tatnachweis gab.