Zweifel
Exit Kirche?: Beratung für austrittswillige Katholiken

30.06.2022 | Stand 02.07.2022, 8:33 Uhr

Jesuitenpater Wiedenhaus - Ansgar Wiedenhaus sitzt in der Offenen Kirche St. Klara. - Foto: Daniel Löb/dpa

Mit der Kirche ist es ein bisschen wie mit einer Partnerschaft. Eine Trennung tut weh, aber darüber reden hilft. Die katholischen Kirchen wollen mit Enttäuschten ins Gespräch kommen - und daraus lernen.

Wer aus der katholischen Kirche austritt, wie zuletzt Hunderttausende in Deutschland, macht das meist nicht leichtfertig. Oft ringen die Gläubigen lange mit sich. Der Nürnberger Jesuitenpater Ansgar Wiedenhaus will diese dabei begleiten. Er wolle sie nicht vom Austritt abhalten, denn er könne ihr Gründe nachvollziehen, sagt der Katholik. «Mein Job ist, dass es eine gute Entscheidung wird.»

«Exit?» heißt sein Gesprächsangebot in der offenen Kirche St. Klara in der Innenstadt, das sich an alle wendet, die enttäuscht von der Kirche sind, austreten wollen oder es bereits sind. Der Bayerische Rundfunk hatte zuerst darüber berichtet. Aber auch anderswo will die katholische Kirche mit diesen Menschen ins Gespräch kommen. Es gibt Beratungen per Telefon, E-Mail oder Brief.

Die Menschen, die sich bei Ansgar Wiedenhaus melden, seien in ihrem Grundfesten erschüttert, erzählt er. «Sie haben das Gefühl, ihre Heimat verloren zu haben. Sie erfahren ihre Kirche als Trümmerhaufen.» Viele dieser Menschen sagten noch immer, dass sie gerne glaubten, viele von ihnen seien seit langer Zeit in der Kirche aktiv.

Sie wendeten sich nun ab aus Entsetzen über den Umgang der Kirche mit sexuellem Missbrauch, dem Ignorieren gesellschaftlicher Errungenschaften und Geschehnissen in der Gemeinde, sagt Wiedehaus. «Es ist eine moralische Frage: Darf ich überhaupt noch in dieser Kirche bleiben oder unterstütze ich damit ein Unrechtssystem?» Diese Frage treibe viele der Zweifelnden um, hat er erlebt.

Auch das Erzbischöfliche Generalvikariat in Paderborn sucht das Gespräch mit ausgetretenen oder austrittswilligen Gläubigen. «Die bereits Ausgetretenen, die zum Teil lange Briefe schreiben, sind meist zwischen 60 und 70 Jahren alt und möchten die Beweggründe für ihren Schritt mitteilen: Genannt werden Empörung über Missbrauch und Vertuschung, Enttäuschung über ausbleibende Reformen oder Unverständnis gegenüber kirchlichen Haltungen», erläutert die Leiterin der Abteilung Evangelisierung, Andrea Keinath. Manchmal seien sie auch verärgert über ihre lokale Kirchengemeinde.

Meist seien es Menschen, die lange mit sich gerungen hätten, berichtet Keinath. «Sie machen deutlich, dass sie sich nicht mehr mit der Institution identifizieren können, ihnen der Schritt zum Kirchenaustritt aber selbst weh tut und sie an ihrem Glauben festhalten möchten.» In den Antwort-Briefen und E-Mails, aber auch Gesprächsangeboten, gehe es darum, den Menschen Verständnis entgegenzubringen. Seit Januar 2021 seien rund 100 Anfragen zum Thema Kirchenaustritte eingegangen.

Dass viele Menschen über ihre Enttäuschung sprechen möchten, bekommt auch das Bistum Trier zu spüren. Dieses hat eigenen Angaben nach 2013 als erstes Bistum eine Beschwerdestelle eingerichtet. Etwa bei 20 Prozent der Anfragen gehe es um einen Austritt, die Haltung der Kirche oder kirchenpolitische Entscheidungen, sagt Sprecherin Judith Rupp. Insbesondere am Telefon komme es dabei öfters zu sehr emotionalen Gesprächen.

Das Bistum Regensburg hat gerade wieder für zwei Wochen sein Austrittstelefon geschaltet. «Seit 2019 sind ehrenamtliche Mitarbeiter des Bistums Regensburg Ansprechpartner für Menschen, die mit dem Gedanken spielen, aus der Kirche auszutreten oder die ein sehr persönliches Gespräch wünschen, um in ihrem Glauben bestärkt zu werden», erläutert Bistumssprecher Stefan Groß. Meist gingen 20 bis 30 Anrufe pro Woche ein. Nach der Veröffentlichung des Münchner Missbrauchsgutachten im Februar 2022 sei die Zahl erheblich gestiegen. Mehrere Hundert Anfragen habe es gegeben.

Mehr als 350.000 Katholiken wendeten sich vergangenes Jahr nach Zahlen der Deutschen Bischofskonferenz in Deutschland von der Kirche ab - so viel wie noch nie. Ein Trend, der nach Ansicht von Pater Wiedenhaus nur schwer aufzuhalten ist. «Meine Befürchtung ist ja, es ist zu spät, das Vertrauen wieder zu gewinnen», sagt er.

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