Erster Flug der Spätzinnen
Weibliche Domspatzen: Regensburger Mädchenchor feiert Premiere

18.12.2022 | Stand 17.09.2023, 8:07 Uhr
Andreas Meixner

Eisig kalt war es im Regensburger Dom: Die Mädchen ließen sich davon bei ihrem ersten Auftritt aber nichts anmerken. Foto: altrofoto.de

Regensburg. Der Mädchenchor der Regensburger Domspatzen präsentierte sich erstmals in der Regensburger Kathedrale Sankt Peter. Ein bedeutender historischer Moment.



Es ist bitterkalt an diesem Vormittag des 4. Adventssonntags im Regensburger Dom. Das Kapitelsamt um 10 Uhr ist normalerweise liturgische Routine, die mächtigen Christbäume sind schon neben dem Altar aufgerichtet. Bald ist Weihnachten. Vor dem Hochaltar ist diesmal alles aber ganz anders, über 30 junge Mädchen sortieren sich in ihren roten Roben und weißen Krägen vor ihrer Leiterin Elena Szuczies.

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Es ist der erste Auftritt des neu gegründeten Mädchenchors der Regensburger Domspatzen im Dom. Es ist ein bedeutender historischer Moment an diesem Ort, weil damit offiziell am 18. Dezember 2022 die über 1000 Jahre alte Tradition der Domspatzen als reiner Knabenchor ihr Ende findet. Zumindest wird es künftig neben dem Markenkern eine weitere, dann weibliche musische Identität geben, die die liturgischen Verpflichtungen mit übernehmen wird. Und es wird auch das Haus und das Selbstverständnis der Domspatzen auf lange Sicht verändern. Mehr, als man heute vielleicht erahnen kann.

Schritt war notwendig

Der Schritt dorthin ist konsequent und war schon längst notwendig. Nicht nur, weil den Nachwuchssorgen der letzten Jahre erfolgreich begegnet werden konnte, sondern weil sich damit endlich eine musische Ausbildungsstätte und Schule internationalen Ranges öffnet, deren herausragende Qualität und Förderung begabten Mädchen bisher verwehrt blieb. Die epochenübergreifende Tradition des Knabenchores zu Gunsten einer völlig neuen – und der Gesellschaft mit offenen Armen zugewandten – Idee eines Musik-Campus aufzugeben, ist wohl die größte Veränderung Sie ist mit nichts in der Geschichte der Einrichtung vergleichbar.

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Für den neuen Domkapellmeister Christian Heiß war es keine Frage, diesen Schritt zu gehen und die Marke „Domspatzen“ damit weiter zukunftsfähig zu machen. Als langjähriger Leiter der Dommusik in Eichstätt kennt er gut die Vorzüge eines Vielklangs aus Domchor und Jugendkantorei, und dessen bereichernde Kraft. Er ist überzeugt, dass der neue Weg das Profil der Domspatzen sogar schärfen wird, weil die Basis breiter wird, auf der alles fußt und aufbaut.

Und da steht er, der neue Mädchenchor der Regensburger Domspatzen und singt „O Heiland, reiß die Himmel auf“. Inbrünstig, hell im Timbre und kraftvoll, als wolle man der versammelten Gemeinde und den Kameras der internationalen Presse zurufen: „Hier sind wir!“

Nervöser scheint Elena Szuczies zu sein. Sie spürt die Last des Moments, an dem alle auf das mit Spannung warten, was sie in nur drei Monaten seit Beginn des Schuljahres mit einer zusammengewürfelten Gruppe Mädchen auf die Beine gestellt hat. Der Chor singt den Introitus „Rorate coeli desuper“, Solistinnen übernehmen Zwischengesänge und den Kantorendienst mit großer Gelassenheit. Mit Claudio Casciolinis dreistimmiger „Missa sine nomine“ sowie dem berühmten „Veni, Domine“ von Felix Mendelssohn-Bartholdy bleibt es nicht bei einem vorsichtigen, erwartbaren Gehversuch auf neuem Terrain, sondern es wirkt so selbstverständlich, als hätte es den Mädchenchor schon immer an diesem Platz gegeben.

Zoltan Kodálys „Ave Maria“ legt die Latte im Repertoire noch ein wenig höher, damit gelingt den jungen Sängerinnen und ihrer Leiterin eine beeindruckende erste Klangprobe, weit weg von einem Achtungserfolg. Aufgeregt, aber hoch konzentriert singen sie die Stücke – auswendig und fokussiert auf das Dirigat, das nicht nur auf Sicherheit bedacht ist, sondern die Gestaltung und Klanglichkeit sucht.

Stolz und erleichtert

Neben dem Orgelspieltisch steht Christian Heiß im Hintergrund und drückt seiner neuen Kollegin und den Mädchen in diesem großen Moment fest die Daumen. Und er ist sichtlich stolz und erleichtert, die Premiere ist geglückt und wird neue Kräfte freisetzen. Herzlicher Beifall brandet nach der Messfeier auf, der ganze Dom feiert den gelungenen Einstand der jungen Damen.

Das neue Kapitel der Domspatzen ist aufgeschlagen, die neue Zeitrechnung hat begonnen. Und das ist auch gut so. Denn, wie heißt es bei Jean Jaurès: „Tradition ist nicht die Anbetung der Asche, sondern die Weitergabe des Feuers."