Essenbach
Tiny House im Selbstversuch: Wie lebt es sich darin?

01.07.2021 | Stand 01.07.2021, 12:52 Uhr

Achtung, Haus kommt! In zwei Einzelteilen, schon möbliert, kam das Mini-Haus an. Foto: lw

Von Veronika Bayer

Eine Nacht auf wenig Raum in Essenbach: Ein Selbstversuch.

Es ist ein lauer Samstagabend. Mit gepackter Tasche stehe ich auf dem Bürgersteig vor einem Grundstück in Oberahrain, einem Ortsteil des Marktes Essenbach. Ein wenig skeptisch beäuge ich das kleine Gebäude, das sich in Holzfassade und mit glänzendem Kaminabzug präsentiert. Es ist ein Tiny House. Ein Novum für die Region Landshut. Hier werde ich heute Nacht schlafen. Zur Probe. Wie lebt es sich in einem Tiny House?

Michelle Kammermeier von Freiräume Landshut überlässt mir den Schlüssel. Das Häuschen hat die Firma als Vorzeigeobjekt gebaut. Das Unternehmen gibt es noch nicht lange. Drei junge Menschen, der eine gerade mit der Uni fertig, die es gemeinsam anpacken: Tiny, diesen Trend mit den winzigen Häusern aus den USA, im idyllischen Niederbayern planen, bauen, verkaufen. Für ihre Modellhäuser sind sie in Vorleistung gegangen. Verkauft sei eins, in weiteren Gesprächen sei man schon, so die Firma.

In einem Video auf der Homepage des Familienunternehmens wird gezeigt, wie das Mini-Haus nach Oberahrain kam. Ein Stapler hob es von einem Anhänger, auf dem es – fertig gebaut – als Komplettset transportiert wurde.

Zwei Module, Wohnfläche 27 Quadratmeter, Almhütten-Stil, Kostenpunkt etwa 100.000 Euro brutto, referiert Frau Kammermeier. Ab 50.000 Euro könne man vernünftige Minihäuser bauen: „Perspektiven bieten“, sagt sie, „weil Wohnfläche teuer ist.“

Viele Möglichkeiten der Nutzung


Sie schwärmt von kleinen Tiny House Siedlungen, in denen sich Mehrgenerationen-Wohnen realisieren lassen würden oder auch von Möglichkeiten für ältere Menschen, nicht mehr allein zu leben, dennoch die eigenen vier Wände um sich herum zu haben. Bei einem Umzug könne man ein Tiny House ressourcenschonend mitnehmen.

Dazu müsse es nicht notwendigerweise auf Rädern stehen, erklärt Leon Pütz, einer der Gründer von Freiräume. Das Tiny House in Oberahrain steht auf Fundament, es ist in Modulbauweise errichtet: wie Lego, nur größer. An- und sogar Aufbau bei Familienzuwachs wären möglich. Außerdem eignen sich Tiny Homes als ausgelagertes Home-Office oder Gästehäuser.

Aber wie ist es nun, darin zu leben? Ich warte auf das Gefühl des Beengt-seins, als ich eintrete. Stattdessen umfängt intensiver Holzgeruch. Den Schwedenofen im Eck könnte man anheizen. Aber es ist sehr warm, fast Dachboden-Feeling. Ein weißes Fell liegt schon da, die Hängematte und der Cocktail fehlen. Auch noch, nachdem ich meine Tasche im Schlafraum abgestellt habe, fühle ich mich gelassen. Keine Platzangst.

Ein kleines Bad mit großer Dusche

Nebenan ist die üppig wirkende Wohn-Ess-Küche mit Spülmaschine – und mehr Arbeitsfläche als in meiner eigenen großen Küche, weil man hier Flächen aus der Schublade ziehen kann. Ein kleiner Backofen, Platz für eine Waschmaschine hinterm Einbauschrank. Es gibt ein kleines Bad mit großer Dusche.

Das kleine Waschbecken im Bad gefällt mir sehr, es schafft viel mehr Platz. Obwohl ich nie auf die Idee gekommen wäre, so etwas einzubauen, will ich mir den Tipp konkret merken. Tatsächlich stelle ich im Laufe des Abends fest: Es reicht zum Waschen, Zähneputzen. Man braucht nicht mehr. Ich bin überrascht, auch etwas gewurmt: Für mehr Platz zahle ich mehr, habe daheim aber weniger davon. Hier wirkt das Bad viel luftiger.

Plötzlich klopft es. Besuch erwarte ich nicht. Eine Dame steht vor der Tür. „Hallo“, sagt sie: „Ich wohne in der Nachbarschaft. Seit das Haus hier her gekommen ist, frage ich mich, wie das Bad aussieht. Kann ich mal sehen? Ist die Dusche so groß, wie normal?“ Nirgendwo sonst klingelt jemand an der Tür und fragt, ob er das Badezimmer besichtigen kann.

Ein Sturm bietet ein neues Erlebnis: Natur pur!

Sie ist nicht die einzige. Dreimal habe ich an diesem Abend Besuch von neugierigen Gästen. Kinder laufen sogar aufs Grundstück, um beim Spiel – freilich zufällig – ganz nah an den Fenstern stehen zu bleiben und herein zu gucken.

Zum Arbeiten komme ich jedenfalls lange nicht. In der Nachbarschaft feiert man Geburtstag. Ich könnte die Fenster schließen, aber ich möchte kochen und den Dunst nicht im Schlafzimmer haben. Ist das „Girls like us“? Wenig später treibt Regen die Familie ins Haus, die Musik verstummt.

Ein Sturm bietet ein neues Erlebnis: Natur pur! So viel Unwetter habe ich „in den eigenen vier Wänden“ noch nicht mitbekommen. Der Regen prasselt gegen die Fenster, die Türen, aufs Dach. Ich höre ihn Tröpfchen für Tröpfchen. Innerhalb der kleinen Behausung ist man geborgen. Das Feeling ändert sich: Von Dachgeschoss zu urig-bequemer Almhütte.

Zwar war das im Sinne der Erfinder. Dennoch notiere ich pflichtschuldig mit, dass geräuschempfindliche Menschen nach einem ruhigen Standort suchen sollten.


Transportierbar bis hin zu Sondergenehmigungen


Freiräume Mitbegründer Leon Pütz wohnt seit einigen Monaten selbst minimalistisch. Auf Rädern, ein paar hundert Meter neben der Autobahn im Landkreis. Die Hellhörigkeit ist ein Manko, das ihnen bewusst ist. Deswegen seien sie von Trailern eher wieder weg und zu Modulhäusern gekommen. Die Gewichtsbegrenzung bei Anhängern sei, meint er, auch beim Ausbau und bei Möbeln ein Problem.

„Gewicht ist hier einfach Masse, auch zum Dämmen. Bei Modulen gehen mehr Tonnen. Grenzen setzt die Straßenverkehrsordnung. Sondertransporte brauchen Genehmigungen.“ Die exakten Grenzen weiß er gerade nicht auswendig. Bis dahin haben sie noch nie gebaut. Im Kleinen entwickelt sich eine neue Morgenrutine: Weil alles so nah beieinander liegt, lassen sich Abläufe miteinander verknüpfen, die es bei Mehrgeschossebenen nicht geben kann. Aufgeräumt ist rasch und der Weg zu den Mülltonnen geht schneller, als würde man im Keller Wäsche waschen. Überhaupt ist Tiny so konzipiert, dass man den Wohnraum nach Draußen, ins Freie verlagert: etwa durch großzügige Terrassen. Das merkt man bereits nach der ersten Nacht.

Persönliches Fazit: Bisher hatte ich Platz mit Quadratmetern verknüpft. Nach der Nacht im Mini-Haus wird Raum zur Frage. Praktische Lösungsmöglichkeiten bieten gewiss viel Ansporn für Tüftler. (Ertappe mich beim Stöbern in Youtube-Videos.) Würde ich selbst dauerhaft so wohnen wollen? Ja, wenn eine Hecke für ein bisschen Privatsphäre sorgt, dann schon!


Normale Baugenehmigung:
Wer an ein Tiny House denkt, hegt vielleicht die Vorstellung vom Wohnen außerhalb jeglicher Ansiedlung. Das bleibt in aller Regel Wunschvorstellung.

In Deutschland kann man für gewöhnlich vom Wohnen in der kleinen Holzhütte in freier Natur nur träumen. Für Außenbereiche gilt beim Bauen der Grundsatz der größtmöglichen Schonung. Auf privilegierte Nutzung können sich etwa Landwirte berufen. Bei Mini-Wohnraum ist keine Privilegierung vorgesehen. Tiny Houses, so informiert das Landratsamt Landshut auf Anfrage, „werden grundsätzlich als bauliche Anlagen wie ein Haus gesehen.“ Damit unterliegen sie ebenfalls den ganz normalen Normen der Bauordnung. Dass man Trailer wegrollen könnte, ist nicht ausschlaggebend, nur die Nutzung zählt. Ist die ortsfest anstatt mobil, läuft auch bei Mini-Häuschen alles wie bei einem normalen Baugenehmigungsverfahren ab.